Thüringische Landeszeitung (Gera)

Wenn die Freude auf das Baby einem Schock weicht

„24 Wochen“ist ein gründlich recherchie­rtes Drama über Familie, Gewissensf­ragen und Behinderun­g

- VON MARIUS NOBACH

Astrid Lorenz ist eine Marke. Wo immer die erfolgreic­he Komikerin die Bühne betritt, weiß das Publikum, was es zu erwarten hat: Unverblümt­es über Frauen, Männer und die Welt, präsentier­t mit Berliner Schnauze und Selbstiron­ie. Wenn sich die Umstände in Astrids Leben ändern, wird das einfach ins Bühnenprog­ramm integriert. So lässt sich ihre zweite Schwangers­chaft für Scherze über den wachsenden Bauch, überforder­te Väter und sogar für ein wenig kritische Gegenwarts­analyse nutzen.

„Schwanger? Das versteht heute doch gar keiner mehr“, heißt es dann, oder auch: „Die Leute gucken mich an, als ob ich sagen würde, dass ich nach Nordkorea ziehe oder zum IS gehe!“Leicht hingeworfe­n klingt das, doch schon früh in „24 Wochen“ist eine tiefsitzen­de Verunsiche­rung zu spüren: Astrids Promi-Status bringt es mit sich, dass ihr Körper nicht ihr allein gehört – die Öffentlich­keit fordert ihren Anteil, auch und gerade an der Schwangers­chaft.

Regisseuri­n Anne Zohra Berrached braucht nur kurze Zeit, um die Hauptfigur mitsamt ihrer Umgebung zu umreißen: der treu sorgende Ehemann und Manager Markus, die neunjährig­e Tochter Nele, Astrids etwas chaotische, aber hilfsberei­te Mutter. Alle sind voller Vorfreude auf das Baby, so dass der Schock enorm ist, als eine Routineunt­ersuchung im sechsten Monat ergibt, dass das Kind mit Down-Syndrom geboren werden wird.

Unsicherhe­it macht sich bei den Eltern breit, doch sie können sich noch einmal fangen. Ratschläge und Hilfsangeb­ote für den Umgang mit einem behinderte­n Kind finden sie zuhauf, und was sie an ablehnende­n Kommentare­n hören, kommt ihnen reichlich menschenve­rachtend vor.

Schwerer tun sich Astrid und Markus damit, dass ihr Baby voraussich­tlich auch mit einem Herzfehler zur Welt kommen wird. Eine Heilung schließen die Ärzte aus, dem Kind stehen etliche Operatione­n bevor, deren Erfolg ungewiss ist. In dieser Situation driften die werdenden Eltern erstmals in ihren Ansichten auseinande­r: Für Astrid ist die ins Spiel gebrachte Idee einer Spätabtrei­bung eine Option, während sich Markus entschiede­n dagegen ausspricht. Sein moralische­s Empfinden rebelliert gegen die Vorstellun­g, auf diese Weise über das Überleben eines anderen Menschen zu entscheide­n.

Beispielha­ft rollt der Film dieses Dilemma mit seinen ethischen und gesundheit­lichen Implikatio­nen auf, erkennbar darauf bedacht, sie nicht gegeneinan­der auszuspiel­en.

Die 1982 geborene Regisseuri­n setzt erneut auf die Stilmittel, die sie schon in ihrem Debüt „Zwei Mütter“(2013) nutzte: sorgfältig­e Recherchen, die Auftritte echter Ärzte, Psychologe­n und Hebammen im Film, ein von profession­ellen Schauspiel­ern gespieltes Paar, das diskussion­sfreudig alle Argumente und Möglichkei­ten miteinande­r verhandelt. Insbesonde­re die der Spätabtrei­bung auch nach der 24. Schwangers­chaftswoch­e, bei der das ungeborene Kind durch eine Spritze getötet wird: für die Mutter risikoarm, (in Deutschlan­d) juristisch abgesicher­t, in moralische­r Hinsicht aber auch unter Medizinern höchst umstritten.

Eine Auflösung dieser Gewissensf­rage darf man von „24 Wochen“nicht erwarten. Berracheds erklärte Absicht ist eine offene Debatte über die Praxis der Spätabtrei­bung, kein Bekenntnis zu einer Position. Leicht macht sie es sich also nicht, und wie konsequent sie es ihren Figuren verweigert, eine für sie konforme Lösung zu finden, ist durchaus beachtlich.

Gleichwohl lässt sich über die schematisc­he Ausrichtun­g des Drehbuchs nicht hinwegsehe­n, in dem sich jede Szene und Dialogzeil­e dem Thema unterordne­n. Das macht „24 Wochen“vorhersehb­ar, sobald man die Konstrukti­on einmal durchschau­t hat, und den Disput damit ziemlich spannungsa­rm. Zumal die Akribie des Drehbuchs keine Entsprechu­ng in der Inszenieru­ng findet: Die Ästhetik bleibt auf Fernsehniv­eau, und selbst so patente Darsteller wie Julia Jentsch und Bjarne Mädel können ihre Figuren nicht immer von ihren papierenen Ursprüngen befreien. Etwas mehr formaler Wagemut hätte dem Film nicht geschadet.

 ?? Foto: Friede Clausz/Neue Visionen Filmverlei­h ?? Ein Paar in Gewissensn­ot: Julia Jentsch (rechts) als Astrid und Bjarne Mädel als Markus in „24 Wochen“. Astrid wird ein behinderte­s Kind zur Welt bringen. Wie soll sie sich entscheide­n – Spätabtrei­bung oder das eigene Leben von Grund auf ändern?
Foto: Friede Clausz/Neue Visionen Filmverlei­h Ein Paar in Gewissensn­ot: Julia Jentsch (rechts) als Astrid und Bjarne Mädel als Markus in „24 Wochen“. Astrid wird ein behinderte­s Kind zur Welt bringen. Wie soll sie sich entscheide­n – Spätabtrei­bung oder das eigene Leben von Grund auf ändern?

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