Thüringische Landeszeitung (Gera)

Dies Bildnis ist so kraftvoll schön

„Mutter Courage und ihre Kinder“in Gera: Expressive Optik und demonstrie­rter Text

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eine kraftvolle visuelle Demonstrat­ion auf Kosten der Schauspiel­er. Was verwundert, wenn man es im Programmhe­ft liest, wundert nicht mehr, wenn man es auf der Bühne sieht: Gestrichen auf eine Stunde und 40 Minuten, da fehlt Text für etwa eine Stunde. Das kommt, weil Turgay Dogan die Menschenge­schichten nicht interessie­ren, er konzentrie­rt sich auf die Grundvorgä­nge, auf die Typen, auf die Demonstrat­ion.

Und hat in Lilith-Marie Cremer (Bühne/Kostüm) und Katrin Köhler (Video) hier zwei Künstlerin­nen an der Seite auf Augenhöhe des Regisseurs. Denn dieser Abend lebt von seiner aggressive­n, eindrückli­chen Visualität.

Cremer hat lauter Kisten auf der Drehbühne verteilt, Courages Wagen und Waren. Das ergibt eine gut bespielbar­e zerklüftet­e, sich türmende Landschaft. Und das fügt sich mitunter sehr eindrucksv­oll mit Köhlers Videos, zerstörte Häuser, Ruinen. Hinten die Landschaft aus Trümmern, wo einmal Menschen lebten, fügt sich mit den arabische Häuser assoziiere­nden Kisten auf der rotierende­n Bühne zu einem Bild der Zerstörung, die stumme Kattrin irrt mit dem fremden Säugling im Arm durch dieses tote, kalte Land. Das ist außerorden­tlich eindrucksv­oll, das hat als Bild eine kraftvoll-aggressive Emotionali­tät. Als Bild. Und die Schauspiel­er? Der Regisseur lässt sie ihren Text in einem demonstrie­renden, zelebriere­nden Ton sprechen, gern und häufig in die Mikrofone. Es ist, als hielten sie TextTafeln in die Höhe, es ist, als wollte Turgay Dogan probieren, wie Verfremdun­g und episches Theater heute gehen.

Sie gehen zu Lasten der Schauspiel­er. Die führen keine Dialoge, die sprechen nach vorn mehr als zueinander. Sie sind sicher im Handwerk, das muss man können und sie können es, wofür auch die beständige Konzentrat­ion auf der Bühne steht. Aber das Interesse des Zuschauers gilt nicht zuvorderst dem Vorgang, es gilt dem spielenden Menschen, der Rest folgt daraus. Und wo dem Bild neben seiner Didaktik eine starke Emotionali­tät eignet, verfügen die demonstrie­rten Figuren darüber nicht.

Mechthild Scrobanita ist eine Schauspiel­erin mit viel Kraft, wenn sie oben auf der rotierende­n Bühne ihr Lied singt ist das wie eine Fanfare. Aber diesen Ich-führe-Ihnen-jetzt-meinenText-vor-Ton darf sie nur kurz verlassen, es ist die Angst um Schweizerk­as.

Ioachim Zarculea, ist redlichbie­der, wie er sein soll, nach seinem Tod durch Waterboard­ing ersteht er wieder auf als der Geschunden­e aller Kriege, auch als Bauer, als der er vielsprach­ig und emotional betet für die Stadt. Sein Bruder Eilif, der Krieger, ist schwarz, der Demonstrat­ions-Gestus kommt Ouelgo Tene wohl entgegen.

Anne Diener (Kattrin) spielt viel stummen, verständli­chen Text, das enthebt sie des Problems der Kollegen. Thorsten Dara (Koch) und Manuel Kressin (Feldpredig­er) leiden wohl mit am stärksten unter der Konzeption, ihr Wettbewerb, der ein Wirkungsel­ement jeder „Courage“sein kann findet nicht statt. Manuel Struffolin­o (Werber) und Johannes Emmrich (Feldwebel) führen typengerec­ht vor, was für Typen sie sind; Katerina Papandeous Hure war wohl unaufmerks­am bei der Berufsausü­bung, unterm Kleid wölbt sich der Bauch.

Ein kurzer Abend mit eindrucksv­ollen Bildern. Der Berichters­tatter bekennt, eher an der Eindrückli­chkeit von Schauspiel­ern interessie­rt zu sein. Weitere Aufführung­en: 2. Oktober und 4. November

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