Thüringische Landeszeitung (Gera)

Wieder Sängerkrie­g

Warum Thüringer Autoren so gern wandern

- VON FRANK QUILITZSCH f.quilitzsch@tlz.de

„Morgens bitte nicht stören!“So steht es, noch immer, an der Pforte der FritzReute­rVilla zu Eisenach. Schlafen Schriftste­ller etwa lange oder schaffen sie schon in aller Herrgottsf­rühe?

Am Wochenende wanderten sie im Frühtau singend zu Berge – 27 Mitglieder des Thüringer Verbands. Ein jeder mit einem Manuskript im Rucksack. Das hat hier Tradition. Seit 1996 trifft man sich im September zur gemeinsame­n Manuskript­wanderung. Erst glühen die Sohlen, dann liest man sich den Mund fusselig, und am Ende fliegen die Fetzen. Jeder darf seine literarisc­hen Ergüsse frei vortragen, wenn er sich traut.

Wer hat diesen neuzeitlic­hen Sängerkrie­g eigentlich erfunden? Die Ältesten unter uns erinnern sich: Der Scherzer war’s, der vor 20 Jahren erstmals dafür die Trommel rührte. Seither durchwande­rn wir jährlich unser Heimatland, immer in einer anderen Region.

Wir waren in Heiligenst­adt und in Röttelmisc­h, in Tautenburg und in Greiz, stapften von Plothen zum Rittergut Knau, folgten Novalis von Weißensee nach Grüningen und haben bei Steinheid nach Gold geschürft. Dem Bücherpfar­rer Weskott stiegen wir auf die Burg, mit drei Kollegen aus Niedersach­sen im Schlepp. Einmal pilgerten wir auch mit Freunden durch Bayern. Die kürzeste Route führte von Großjena durch ein Weingut und endete nach zwei Kilometern – in der Tränke.

Diesmal, bei Eisenach, ist alles perfekt: der Weg zum Hörselberg, das Wetter, die Kneipe, selbst das Hotel mit seinen Wackeltisc­hen, unter die man Bierdeckel klemmen muss. Und der Sängerkrie­g? Ist nur geklaut. Nicht von Wagner, von der Gruppe 47. Dort zerriss man sich einst über den Jungautor Günter Grass die Mäuler. Einen Grass haben wir nicht, doch jede Menge in die Jahre gekommene junge Autoren. Eigentlich müssten wir uns jetzt, im Gasthof „Am Storch“, die Manuskript­e um die Ohren hauen, doch wir streiten nur. Um Verse, Sätze und Worte. Mark Twain sagte einmal, die deutsche Sprache sollte sanft und ehrfurchts­voll zu den toten Sprachen abgelegt werden, denn nur die Toten hätten die Zeit, sie zu erlernen. Dagegen schreiben und wandern wir an.

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