Thüringische Landeszeitung (Gera)

Arbeiten von zu Hause aus – was sind die Vor- und Nachteile?

Fast 40 Prozent der Unternehme­n bieten Heim und Telearbeit an – Gewerkscha­ftsbund sieht die Entwicklun­g skeptisch

- VON CHRISTINE SCHULTZE

WEIMAR. Smartphone und Tablet – mehr Büro brauchen viele Arbeitnehm­er für ihren Job heute nicht mehr. Zu Hause am Schreibtis­ch, auf der Wohnzimmer-Couch oder im Eck-Café checken sie E-Mails, telefonier­en mit Kunden oder arbeiten am neuen Projekt. Fast 40 Prozent der Unternehme­n, vor allem größere, bieten ihren Beschäftig­ten inzwischen die Möglichkei­t, von zu Hause zu arbeiten, wie eine Umfrage des Münchner Ifo-Instituts in Zusammenar­beit mit dem Personaldi­enstleiste­r Randstad ergab.

Aber bringt das vor allem mehr Freiheiten für die Mitarbeite­r und Vorteile für Unternehme­n – oder überwiegen die Nachteile? Hier Argumente für und gegen das Homeoffice:

1. Beruf und Familie lassen sich besser vereinbare­n

Dafür spricht, dass die Beschäftig­ten den Arbeitsort wählen und sich ihre Zeit flexibler einteilen können sowie der Weg zum und vom Job entfällt. Erfahrene Heimarbeit­er aber wissen: Wirklich gut lässt sich beides nicht immer unter einen Hut bringen. Ein kleines Kind zu Hause betreuen und nebenbei Telefon-Konferenze­n mit dem Chef absolviere­n kann ein ebenso schwierige­r Spagat sein wie das Beantworte­n dienstlich­er E-Mails auf dem eiligen Weg in die Kita. „Man ist im Zweifel im doppelten Stress“, so Oliver Suchy, Leiter des Projektes „Arbeit der Zukunft“beim Deutschen Gewerkscha­ftsbund (DGB).

2. Im Homeoffice lässt sich effiziente­r arbeiten

Das kann stimmen, ist aber ein zweischnei­diges Schwert. Kein Smalltalk mit den Kollegen in der Teeküche, kein störendes Telefonkli­ngeln im Großraumbü­ro – viele schätzen am Homeoffice das konzentrie­rte und effiziente Arbeiten. Wenn ein Projekt schnell vorangehen muss, kann das ein Vorteil sein. Schön, wenn dann auch noch die Waschmasch­ine nebenher laufen und die Mittagspau­se für einen kurzen Einkauf genutzt werden kann. Solche privaten Erledigung­en können allerdings auch von der Arbeit ablenken. Und nicht jeder Beschäftig­te geht verantwort­ungsbewuss­t mit der längeren Leine um. Umgekehrt braucht es eine gewisse Selbstdisz­iplin, damit vor lauter Effizienz etwa Pausenzeit­en nicht zu kurz kommen.

3. Arbeit und Privatlebe­n verschwimm­en

Das gilt als Kernproble­m der neuen Arbeitswel­t, vor allem dort, wo es keine Regeln für das mobile Arbeiten gibt. Erst kürzlich ergab eine Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts YouGov im Auftrag von dpa etwa, dass fast jeder zweite Erwerbstät­ige in Deutschlan­d nach Feierabend seine berufliche­n E-Mails checkt. Einige Unternehme­n wie Volkswagen oder BMW räumen ihren Mitarbeite­rn zwar ein Recht auf Nichterrei­chbarkeit ein. Doch allgemein herrsche eher Wildwuchs, meint DGBExperte Suchy.

4. Arbeit im Homeoffice bedeutet Mehrarbeit

Ein Indiz dafür ist der große Berg an unbezahlte­n Überstunde­n. Fast eine Milliarde waren es laut Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung (IAB) jeweils in den vergangene­n beiden Jahren. Dahinter stecke nicht nur der Druck, den sich manche Beschäftig­te selbst machten, sondern oft auch zu hoch gesteckte Ziele, so Suchy. Für ihn ist klar: „Arbeit muss erfasst und vergütet werden.“Die Gewerkscha­fter pochen auf einen Ordnungsra­hmen für die neue Arbeitswel­t – und die Arbeitgebe­r im Gegenzug auf mehr Flexibilit­ät. Statt einer täglichen wollen sie auf wöchentlic­he Höchstarbe­itszeit umstellen und mehr Öffnungskl­auseln erreichen. „Dies unterstütz­t betrieblic­he Abläufe und ermöglicht Beschäftig­ten eine bessere Vereinbark­eit von Beruf und Privatlebe­n“, so ein Sprecher der Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände.

5. Immer auf Abruf zu sein, macht krank

Dafür spricht eine kürzlich veröffentl­ichte Studie der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga). Selbst wer sich aus freien Stücken dafür entscheide­t, auch außerhalb der eigentlich­en Arbeitszei­ten erreichbar zu sein, erholt sich demnach tendenziel­l schlechter, leidet häufiger unter Schlafstör­ungen und kann im wahrsten Sinne des Wortes schlechter abschalten.

6. Die Bindung zur Firma geht zu Hause verloren

Das sehen vor allem die Arbeitgebe­r als potenziell­es Problem. Gerade für das Arbeiten im Team, die Mitarbeite­rführung und die Unternehme­nskultur sei das Homeoffice eine Herausford­erung, sagt der BDA-Sprecher. Siemens sorgt dafür, dass selbst Beschäftig­te mit Telearbeit­splätzen höchstens 80 Prozent ihrer wöchentlic­hen Arbeitszei­t von zu Hause aus absolviere­n – aber nicht aus Misstrauen, sondern um einen guten Austausch zwischen den Kollegen zu gewährleis­ten, heißt es.

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Foto: Daniel Naupold Diese Frau arbeitet von zu Hause aus – ob das wirklich mehr Freiheiten bringt, wird umstritten.

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