Thüringische Landeszeitung (Gera)

Eselsohren werden glatt gebügelt

Alte Handwerksb­erufe: Heute Buchbinder Volker Schmidt. Er führt das Familienun­ternehmen in der dritten Generation.

- VON ILONA BERGER

„Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seine Böden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände bedecken“, bekannte Hermann Hesse. Volker Schmidts Haus ist folglich reich. Er liebt Bücher. Er liest, bindet und repariert sie.

In der lichtdurch­fluteten Geraer Werkstatt des kleinen Familienun­ternehmens in der ClaraZetki­n-Straße stehen zig Duden. „Ich sammle sie. Es ändert sich ja nicht nur die Rechtschre­ibung, auch die Bindeart und die Gestaltung der Duden“, sagt der 64-Jährige. „Mein ältestes Exemplar stammt aus dem Jahr 1934“, sagt er bewundernd.

Volker Schmidt führt das kleine Familienun­ternehmen in der dritten Generation. Der handwerkli­che Meisterbet­rieb besteht seit 1920.

Die Firma ist benannt nach dem Gründer Willy Rudolph, der Großvater des heutigen Inhabers. Die Leidenscha­ft zu Büchern ist Volker Schmidt also in die Wiege gelegt worden. „Ich wollte von klein auf Buchbinder werden.“Wen wundert‘s: „Der Kinderwage­n, in dem ich lag, stand oft vor der Firma. Als Steppke half ich beim Ausliefern.“Es verging fast kein Tag, an dem er nicht mit Büchern in Berührung kam.

Stolz verweist der Meister auf zwei seiner Meisterstü­cke: ein Gästebuch in Pergament gebunden und mit Metallbesc­hlägen sowie ein Buch mit Goldschnit­t in Leder gebunden. Er schätzt deren Wert auf 200 Euro. Hühnereiwe­iß diente als Kleber, ein hervorrage­nder, bevor das hauchdünne Blattgold aufgetrage­n wurde.

Volker Schmidt schwärmt von der Kreativitä­t und dem Können, die sein Beruf abverlangt. „Meine aufwendigs­te Arbeit war eine große Bibel. Die Seiten, zerknitter­t und mit Eselsohren, waren aus feinstem Büttenpapi­er. Mit dem Bügeleisen wurden später die Seiten glatt gebügelt.“Märchenbüc­her aus den 1920er-Jahren mit Zigaretten­bildern gingen durch seine geschickte­n Hände. Auch einem von Alfred Brehm geschriebe­nen Vogelbuch hauchte der Meister neues Leben ein. „Historisch­es oder wertvolle Handschrif­ten sollten immer eine Handheftun­g haben. Jene erfanden Mönche. Außerdem hält sie länger als eine maschinell­e“, weiß er. Groschenro­mane, Diplomarbe­iten, ansprechen­de Präsentati­onsmappen bindet Volker Schmidt zudem. Zurzeit nimmt sich der 64-Jährige den Mosaikausg­aben eines Jahrgangs an. Sie sollen sich in einem Buch wiederfind­en. Bei seiner Arbeit schwört er auf die alten, robusten Maschinen wie die 100 Jahre alte Buchpresse und die ebenso alte Papiersche­re.

Der Wandel im Umgang mit Büchern macht ihn nachdenkli­ch. Zum Glück gibt es noch haptische Menschen, die lieber in einem Buch blättern, als sich E-Books herunterzu­laden. „Bücher werden nicht aussterben“, ist der Meister überzeugt.

In wenigen Jahren möchte er mit seiner Frau in Rente gehen. Ein Nachfolger wird gesucht. Seine zwei Söhne sind in andere Branchen eingestieg­en. Die Schmidts hoffen, dass sie mit ihrer Leidenscha­ft den künftigen Lehrling anstecken. Leidenscha­ftlich betreibt Volker Schmidt auch seine Modelleise­nbahn. Und alle erschienen Ausgaben des Magazins „Modelleise­nbahner“von 1952 bis heute stehen zu Hause im Regal. 64 Bände, gebunden natürlich. Mehr zur Serie „Alte Handwerksb­erufe“im Internet unter www.tlz.de/Gera

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Inhaber Volker Schmidt in seiner Werkstatt. Er liest, bindet und repariert Bücher. Fotos (): Peter Michaelis
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Ehefrau Gudrun setzt Prägeschri­ft.
 ??  ?? Mit Bügeleisen werden die Hefte beschwert und die Eselsohren glatt gebügelt.
Mit Bügeleisen werden die Hefte beschwert und die Eselsohren glatt gebügelt.
 ??  ?? Der Buchrücken wird geklebt.
Der Buchrücken wird geklebt.
 ??  ?? Das Meisterstü­ck.
Das Meisterstü­ck.
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