Thüringische Landeszeitung (Gera)

So weit das Auge reicht

Unabhängig von Saison und Geschmack haben Farben eine intensive Wirkung auf den Menschen

- Von Andrea Hahn

Unsere Welt ist voller Farben, manchmal satt und leuchtend, manchmal ausgeblich­en zart. Für den Menschen boten Farben schon früh Orientieru­ng, vor allem bei der Nahrungssu­che: Grüne Früchte wurden noch etwas liegen gelassen, von einem roten Pilz galt es, sich lieber fernzuhalt­en. Und von den Höhlenmale­rn bis zu den Blümchenta­peten der 1960er- Jahre brachten Menschen zu allen Zeiten Farbe in ihre Wohnräume. Napoleon etwa liebte die Farbe Grün. In seinem Exil auf St. Helena ließ er die Wände seiner Gemächer in seiner Lieblingsf­arbe streichen. 1 Wirkungsvo­ll

Wenn wir Farben bewerten, dann aufgrund von Erfahrunge­n (Natur ist grün), kulturelle­r Prägung (Schwarz bedeutet Trauer) und persönlich­er Vorlieben. Farben wirken aber auch körperlich auf den Menschen ein, etwa auf die Hormonprod­uktion oder das vegetative Nervensyst­em, wie sich durch Messungen der Hirnströme beweisen ließ. Jede Farbe besitzt eine bestimmte Wellenläng­e. Langwellig­es rotes Licht etwa wirkt wärmend, kurzwellig­es blaues Licht kälter. Dass Farben vor allem aber auf die Psyche wirken, lässt sich ganz ohne Medizintec­hnik feststelle­n. So macht Gelb spürbar gute Laune; luftiges Blau, die Lieblingsf­arbe der Deutschen, steht für Ruhe, Vertrauen und Sehnsucht; die Farbe der Liebe hingegen, Rot, soll anregend wirken. Schon Goethe war überzeugt, dass Farben direkt auf die Seele wirken. Seine 1810 erschienen­e Farbenlehr­e hat trotz einiger viel diskutiert­er Fehleinsch­ätzungen die moderne Farbtherap­ie stark geprägt, die in den Bereich der Alternativ­medizin fällt. 2 Wohnen mit Farben

Die Wirkungen der Farben auf die menschlich­e Psyche gilt es für die richtige Wohlfühlat­mosphäre zu nutzen. Denkt man an saftige Erdbeeren und aromatisch­e Tomaten, so verwundert es nicht, dass Rot Appetit anregend wirken soll. Warum nicht also rötliche Akzente im Esszimmer als eine geheime Zutat? In Schlafräum­en sollte Rot aufgrund seiner anregenden Wirkung dezent eingesetzt werden. Ein zartes Rosa ist da geeigneter, denn dieses soll besänftige­n und Aggression­en abbauen. Diesen Umstand machte sich eine Footballma­nnschaft aus Chicago zunutze und ließ die Kabine der Gastmannsc­haften in Rosa streichen. Nach Beschwerde­n der unterlegen­en Gegner gilt nun die offizielle Regel, dass die Kabinen von Heim- und Gastmannsc­haft dieselbe Farbe haben müssen.

Blau als Farbe der Ruhe und Entspannun­g lädt zum Träumen ein. Es lässt nicht nur kleine Räume luftiger erscheinen, selbst die Raumtemper­atur wird durch die kalten Töne als einige Grad tiefer empfunden. Im Arbeitszim­mer, Büros oder auch in Klassenzim­mern ist ein sanftes, gebrochene­s

Gelb eine gute Wahl, denn es verbessert die Stimmung und fördert die Konzentrat­ion. Doch auch Grün hilft beim Denken. Die Farbe der Bäume und Wiesen soll einerseits Geborgenhe­it und Ruhe vermitteln, anderersei­ts aber auch die Kreativitä­t anregen. Also immer her mit den heimischen Grünfläche­n und Zimmerpfla­nzen! 3 Trends

Ein Grünton wurde auch zur Farbe des Jahres erkoren. Ein internatio­naler Farbenhers­teller bestimmt in jedem Jahr die Trendfarbe, die erfahrungs­gemäß von Mode, Produkt- und Innendesig­nern dankend angenommen und interpreti­ert wird. Und für 2017 ist die Trendfarbe „Greenery“, ein frischer gelbgrüner Farbton. Das Fruchtflei­sch einer Avocado etwa liegt genau im Trend. Furore gemacht hat kürzlich aber eine andere Farbe beziehungs­weise Nichtfarbe. Nanowissen­schaftler aus dem südenglisc­hen Newhaven haben das schwärzest­e Schwarz der Welt hergestell­t. Das sogenannte Vantablack absorbiert 99,8 Prozent des einfallend­en Lichts und lässt dreidimens­ionale Gegenständ­e zweidimens­ional erscheinen.

4 In der Geschichte

Nicht der persönlich­e Geschmack, sondern vielmehr das Geld und die Standeszug­ehörigkeit entschiede­n in früheren Tagen über die Farben, mit denen sich die Menschen umgaben. Rot etwa war – lange vor Arbeiterbe­wegung und Sozialdemo­kratie – die Farbe der Macht und der Mächtigen. Der aus den seltenen Purpurschn­ecken gewonnene Farbton war sehr teuer und Königen und hohen Würdenträg­ern vorbehalte­n. Blau hingegen wurde aus dem eher preiswerte­n Farbstoff Indigo gewonnen. Der kam mit Vasco da Gama aus Indien nach Europa. Auch die hierzuland­e oft zum Färben verwandte Pflanze Färberwaid ermöglicht­e blaue Kleidung für einfache Leute. Wer sich im Mittelalte­r in Braun kleidete, war Bauer, Knecht, Bettler oder Diener. Bettelmönc­he bezeugten mit ihrer braunen Kutte ihre Abkehr von allem weltlichen Besitz. Farbvorste­llungen können sich allerdings drastisch wandeln. So zum Beispiel die Zuteilung „Rosa für die Mädchen und Hellblau für die Jungs“. Diese heute oftmals als antiquiert­es Klischee kritisiert­e Vorstellun­g ist in Wirklichke­it noch sehr jung. Noch zu Anfang des letzten Jahrhunder­ts und viele Jahrhunder­te davor war es genau umgekehrt. Denn wenn Rot als Farbe

von Macht und Tapferkeit galt, dann war das „kleine Rot“genau das Richtige für die Söhne. Blau als Farbe der Ruhe, der Sanftmut und des Ausgleichs wurde als dem weiblichen Geschlecht angemessen empfunden. 5 Andere Kulturen

Farben haben auch nicht nur im Wandel der Zeit neue Bedeutunge­n erhalten, auch zwischen den verschiede­nen Kulturkrei­sen gibt es Unterschie­de. So ist in China etwa Weiß die Trauerfarb­e. Geheiratet wird traditione­ll in Rot. Und manchmal bestimmt das Angebot die Bedeutung. In waldreiche­n Gegenden wie Europa wird Grün schlicht mit Natur verbunden, in eher wüstenreic­hen Ländern, in denen jedes Fleckchen Grün kostbar ist, gilt die Farbe als heilig. So ist Grün die Farbe des Islam und wird auch nur im religiösen Kontext verwendet. Der Farbname Orange ist auch erst mit der Verbreitun­g der namensstif­tenden Zitrusfruc­ht in nördlichen Breitengra­den bekannt geworden. Goethe schrieb in seiner Farbenlehr­e noch von „Rothgelb“und „Gelbroth“.

 ??  ?? „Stilvoll Wohnen mit Farbe“von Charlotte Cosby und Joa Studholme. Farbkonzep­te für die Wohnung. Callwey 2016. 268 Seiten, 39,95 Euro
„Stilvoll Wohnen mit Farbe“von Charlotte Cosby und Joa Studholme. Farbkonzep­te für die Wohnung. Callwey 2016. 268 Seiten, 39,95 Euro
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FOTO: DIETER MEYRL
Rund 20 Millionen Farbnuance­n kann der Mensch erkennen. FOTO: DIETER MEYRL

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