Thüringische Landeszeitung (Gera)
So weit das Auge reicht
Unabhängig von Saison und Geschmack haben Farben eine intensive Wirkung auf den Menschen
Unsere Welt ist voller Farben, manchmal satt und leuchtend, manchmal ausgeblichen zart. Für den Menschen boten Farben schon früh Orientierung, vor allem bei der Nahrungssuche: Grüne Früchte wurden noch etwas liegen gelassen, von einem roten Pilz galt es, sich lieber fernzuhalten. Und von den Höhlenmalern bis zu den Blümchentapeten der 1960er- Jahre brachten Menschen zu allen Zeiten Farbe in ihre Wohnräume. Napoleon etwa liebte die Farbe Grün. In seinem Exil auf St. Helena ließ er die Wände seiner Gemächer in seiner Lieblingsfarbe streichen. 1 Wirkungsvoll
Wenn wir Farben bewerten, dann aufgrund von Erfahrungen (Natur ist grün), kultureller Prägung (Schwarz bedeutet Trauer) und persönlicher Vorlieben. Farben wirken aber auch körperlich auf den Menschen ein, etwa auf die Hormonproduktion oder das vegetative Nervensystem, wie sich durch Messungen der Hirnströme beweisen ließ. Jede Farbe besitzt eine bestimmte Wellenlänge. Langwelliges rotes Licht etwa wirkt wärmend, kurzwelliges blaues Licht kälter. Dass Farben vor allem aber auf die Psyche wirken, lässt sich ganz ohne Medizintechnik feststellen. So macht Gelb spürbar gute Laune; luftiges Blau, die Lieblingsfarbe der Deutschen, steht für Ruhe, Vertrauen und Sehnsucht; die Farbe der Liebe hingegen, Rot, soll anregend wirken. Schon Goethe war überzeugt, dass Farben direkt auf die Seele wirken. Seine 1810 erschienene Farbenlehre hat trotz einiger viel diskutierter Fehleinschätzungen die moderne Farbtherapie stark geprägt, die in den Bereich der Alternativmedizin fällt. 2 Wohnen mit Farben
Die Wirkungen der Farben auf die menschliche Psyche gilt es für die richtige Wohlfühlatmosphäre zu nutzen. Denkt man an saftige Erdbeeren und aromatische Tomaten, so verwundert es nicht, dass Rot Appetit anregend wirken soll. Warum nicht also rötliche Akzente im Esszimmer als eine geheime Zutat? In Schlafräumen sollte Rot aufgrund seiner anregenden Wirkung dezent eingesetzt werden. Ein zartes Rosa ist da geeigneter, denn dieses soll besänftigen und Aggressionen abbauen. Diesen Umstand machte sich eine Footballmannschaft aus Chicago zunutze und ließ die Kabine der Gastmannschaften in Rosa streichen. Nach Beschwerden der unterlegenen Gegner gilt nun die offizielle Regel, dass die Kabinen von Heim- und Gastmannschaft dieselbe Farbe haben müssen.
Blau als Farbe der Ruhe und Entspannung lädt zum Träumen ein. Es lässt nicht nur kleine Räume luftiger erscheinen, selbst die Raumtemperatur wird durch die kalten Töne als einige Grad tiefer empfunden. Im Arbeitszimmer, Büros oder auch in Klassenzimmern ist ein sanftes, gebrochenes
Gelb eine gute Wahl, denn es verbessert die Stimmung und fördert die Konzentration. Doch auch Grün hilft beim Denken. Die Farbe der Bäume und Wiesen soll einerseits Geborgenheit und Ruhe vermitteln, andererseits aber auch die Kreativität anregen. Also immer her mit den heimischen Grünflächen und Zimmerpflanzen! 3 Trends
Ein Grünton wurde auch zur Farbe des Jahres erkoren. Ein internationaler Farbenhersteller bestimmt in jedem Jahr die Trendfarbe, die erfahrungsgemäß von Mode, Produkt- und Innendesignern dankend angenommen und interpretiert wird. Und für 2017 ist die Trendfarbe „Greenery“, ein frischer gelbgrüner Farbton. Das Fruchtfleisch einer Avocado etwa liegt genau im Trend. Furore gemacht hat kürzlich aber eine andere Farbe beziehungsweise Nichtfarbe. Nanowissenschaftler aus dem südenglischen Newhaven haben das schwärzeste Schwarz der Welt hergestellt. Das sogenannte Vantablack absorbiert 99,8 Prozent des einfallenden Lichts und lässt dreidimensionale Gegenstände zweidimensional erscheinen.
4 In der Geschichte
Nicht der persönliche Geschmack, sondern vielmehr das Geld und die Standeszugehörigkeit entschieden in früheren Tagen über die Farben, mit denen sich die Menschen umgaben. Rot etwa war – lange vor Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie – die Farbe der Macht und der Mächtigen. Der aus den seltenen Purpurschnecken gewonnene Farbton war sehr teuer und Königen und hohen Würdenträgern vorbehalten. Blau hingegen wurde aus dem eher preiswerten Farbstoff Indigo gewonnen. Der kam mit Vasco da Gama aus Indien nach Europa. Auch die hierzulande oft zum Färben verwandte Pflanze Färberwaid ermöglichte blaue Kleidung für einfache Leute. Wer sich im Mittelalter in Braun kleidete, war Bauer, Knecht, Bettler oder Diener. Bettelmönche bezeugten mit ihrer braunen Kutte ihre Abkehr von allem weltlichen Besitz. Farbvorstellungen können sich allerdings drastisch wandeln. So zum Beispiel die Zuteilung „Rosa für die Mädchen und Hellblau für die Jungs“. Diese heute oftmals als antiquiertes Klischee kritisierte Vorstellung ist in Wirklichkeit noch sehr jung. Noch zu Anfang des letzten Jahrhunderts und viele Jahrhunderte davor war es genau umgekehrt. Denn wenn Rot als Farbe
von Macht und Tapferkeit galt, dann war das „kleine Rot“genau das Richtige für die Söhne. Blau als Farbe der Ruhe, der Sanftmut und des Ausgleichs wurde als dem weiblichen Geschlecht angemessen empfunden. 5 Andere Kulturen
Farben haben auch nicht nur im Wandel der Zeit neue Bedeutungen erhalten, auch zwischen den verschiedenen Kulturkreisen gibt es Unterschiede. So ist in China etwa Weiß die Trauerfarbe. Geheiratet wird traditionell in Rot. Und manchmal bestimmt das Angebot die Bedeutung. In waldreichen Gegenden wie Europa wird Grün schlicht mit Natur verbunden, in eher wüstenreichen Ländern, in denen jedes Fleckchen Grün kostbar ist, gilt die Farbe als heilig. So ist Grün die Farbe des Islam und wird auch nur im religiösen Kontext verwendet. Der Farbname Orange ist auch erst mit der Verbreitung der namensstiftenden Zitrusfrucht in nördlichen Breitengraden bekannt geworden. Goethe schrieb in seiner Farbenlehre noch von „Rothgelb“und „Gelbroth“.