Thüringische Landeszeitung (Gera)
Thüringer Staatsschützer rücken enger zusammen
Rechtsrockevents in Thüringen: LKA und KripoBeamte tauschen sich monatlich direkt aus
ERFURT. Während die Ermittler der Besonderen Aufbauorganisation Zesar vor allem in den Strukturen der rechtsextremen Szene unterwegs sind, müssen sich die Staatsschutzbeamten der Kriminalpolizei regelmäßig vor Ort mit der Szene auseinandersetzen – der Austausch funktionierte in der Vergangenheit nicht immer reibungslos. Deshalb gibt es jetzt regelmäßige Treffen zwischen den Staatsschützern des LKA und der Kriminalpolizei. „Wir setzen uns monatlich zusammen, um den Austausch direkter zu gestalten“, sagt Norman Kleine, Dezernatsleiter Staatsschutz beim Landeskriminalamt.
Damit soll gewährleistet werden, dass die Beamten vor Ort über sämtliche Erkenntnisse der BAO Zesar verfügen, vor Ort gewonnene Erkenntnisse schnell an die Sonderermittler herangetragen werden können. Gegründet, beziehungsweise aus ihrer Vorgängerstruktur wieder mit Leben erfüllt, wurde sie unter Ex-Innenminister Jörg Geibert (CDU). „Dass sich die BAO bewährt hat, wird seit nunmehr fünf Jahren durch die guten Ermittlungserfolge unter Beweis gestellt“, sagt er im TLZ-Gespräch. Er fordert: „Die Organisationseinheit sollte daher endlich in die allgemeine Struktur des LKA integriert und zeitnah um die wichtigen Bereiche Ausländerextremismus und „Linksextremismus“erweitert werden.“ Nur so werde es möglich sein, „für diese zentralen Kriminalitätsbereiche jederzeit ein landesweites Lagebild zu haben und wirksam spezifische Kriminalität zu bekämpfen“.
Im Innenministerium hält man sich dazu bedeckt. Die BAO Zesar sei Teil der Evaluierung bei der Thüringer Polizei. In diesem Rahmen werde über ihre Zukunft entschieden, sagte ein Sprecher auf TLZ-Anfrage.
ERFURT. Die Schreibtische der Ermittler liegen voll. Zwar scheint es ruhig geworden zu sein um die Besondere Aufbauorganisation (BAO) namens Zesar, die sich in Thüringen vor allem um die Aufklärung von Entwicklungen und Strukturen in der rechtsextremen Szene kümmert – aber der Eindruck täuscht. Norman Klein, Dezernatsleiter Staatsschutz beim Landeskriminalamt, sagt im TLZ-Gespräch: „Seit dem 1. Mai haben wir 103 neue Ermittlungsverfahren auf dem Tisch liegen.“
Die 30 Ermittler der BAO, die für Thüringer Polizeiverhältnisse gut ausgestattet ist, müssen sich unter anderem mit dem Neonazi-Überfall auf Apolda befassen. Am 1. Mai reiste eine Gruppe um einen bekannten Rechtsextremen von Weimar nach Halle, dort konnten sie nicht demonstrieren – auf der Rückfahrt wurde in Apolda gewütet. Unter anderem Landfriedensbruch lautet der Vorwurf. Mehr als 100 Polizisten waren im Einsatz, verhafteten 103 Personen. „Die Ermittlungen stehen aber noch ganz am Anfang“, sagt Klein. Was er aber bereits jetzt feststellen kann, ist besorgniserregend: „Die Qualität der Hemmschwellenabsenkung nehmen wir mit großer Sorge
„Wir versuchen es der Szene unbequemer zu machen mit unseren Ermittlungen.“Norman Klein, Dezernatsleiter Staatsschutz beim LKA
zur Kenntnis.“Oder anders: Die Szene geht immer brutaler vor. Die Aggressivität, mit der Beamte in Apolda sofort attackiert wurden, hatte auch die vor Ort eingesetzten Polizeibeamten schockiert.
Für die BAO steht dieses Ermittlungsverfahren aktuell im Mittelpunkt der Arbeit. Zumindest offiziell. Im Hintergrund sind vor allem Gruppen im Visier des Landeskriminalamtes, die vor allem in Szenekreisen bekannt sind. Dazu gehört zum Beispiel das „Kollektiv 56“aus Erfurt, das vor allem online gegen Flüchtlinge hetzt. Klein bestätigt, dass diese Gruppe im Fokus steht. Details nennt er nicht. Was über „K56“bekannt ist: Ein bekannter Rechtsextremist spielt hier eine ebenso große Rolle wie bei der Partei „Die Rechte“für die er Demonstrationsfahrten – Stichwort 1. Mai in Halle – organisiert und wo er als eine Art „Reiseleiter“auftritt. „Er bringt sein Klientel auch von K56 mit“, sagt Norman Klein. Bekannt ist auch, dass die Gruppe weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus vernetzt ist und sich bei der Organisation von Rechtsrockkonzerten verdingt. „Es gibt einen extrem hohen Vernetzungsgrad“, sagt Klein. Regional zeigte sich diese Vernetzung zuletzt auch im Oktober 2016. Vom Thüringer Verfassungsschutz wird „Kollektiv 56“als eine teilnehmende Neonazi-Gruppierung bei einer Demonstration in Gotha benannt. Das geht aus der Monatschronik des Amtes hervor. Das rechte „Bündnis Zukunft Landkreis Gotha“(BZGL) hatte diese Demo angemeldet.
Neben „Kollektiv 56“registrierten die Verfassungsschützer hier auch Thügida-Vertreter, Parteimitglieder von „Die Rechte“und Mitglieder der „Kameradschaft Unterfranken“.
Norman Klein stellt klar, dass viele Mitglieder gleich in mehreren Gruppen aktiv seien. Oft tauchten immer wieder identische Personen auf, was die Szene unübersichtlich mache. Allerdings gebe es aktuell niemanden in der Thüringer NeonaziSzene, der diese komplett hinter sich bringen könne.
Gleichwohl steht aus Sicht von Klein das Thema Rechtsrockkonzerte besonders im Blickpunkt. Zuletzt war bekannt geworden, dass beim Neonazi-Fest im eichsfeldischen Leinefelde die Beamten des Staatsschutzes indizierte Lieder nicht erkannt hatten. Mangelnde Englischkenntnisse wurden als Grund dafür genannt. Die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (Linke) hat deshalb ein Thema wieder aufgeworfen, das schon vor einigen Jahren eine Rolle spielte: Sie fordert die Einführung einer sogenannten „Nazi-Shazam“-App.
Wo ist der Migrantenschreck?
„Um die Staatsschützer zu unterstützen, sollte der Freistaat die Entwicklung einer ‚NaziShazam‘-App vorantreiben, damit Beamte per Smartphone Titel automatisiert erkennen können. Dies würde die Polizeiarbeit effektiver machen und Polizeibeamte entlasten“, sagt sie. Seit Jahren, so König, liege für diese App ein Lösungsansatz in der Schublade. 2013 sei das Thema bereits in den Polizeiländergremien diskutiert worden – auch einen Prototypen gebe es. Ein Sprecher des Thüringer Innenministeriums sagt der TLZ: „Der Nutzen eines solchen Werkzeuges als polizeiliches Auskunftssystem wird grundsätzlich begrüßt.“Auch nach Kenntnissen des Innenministeriums gibt es bereits einen Prototypen. „Bei der angesprochenen App handelt es sich nicht um eine Entwicklung der Thüringer Polizei oder eines mit ihr kooperierenden Unternehmens, sondern um ein in Sachsen betriebenes Projekt.“
Für den Verfolgungsdruck vor Ort könnte ein solches System hilfreich sein – bisher scheint es aber nicht in Sicht. Deshalb wird nach Möglichkeiten gesucht, dennoch intensiver auf das zu schauen, was sich meist hinter verschlossener Tür abspielt. Beispiel Kirchheim: Hier mieten sich regelmäßig rechtsextreme Gruppierungen ein oder werden Rechtsrockkonzerte veranstaltet, die von privaten Personen angemeldet werden, die der Szene angehören. „Hier gibt es ein erhöhtes Kontrollverhalten der Polizeibeamten vor Ort in Zusammenarbeit mit anderen Behörden“, sagt Norman Klein.
„Wir haben erkannt, dass wir das tun müssen“, sagt er. In der Vergangenheit hatten Politiker immer wieder kritisiert, dass es den Neonazis zu einfach gemacht werde. Diese Kritik trifft auch die Polizei. „Wir sind nicht stolz auf die Konzertsituation in Thüringen“, entgegnet Norman Klein jenen, die der Polizei mangelnde Einsatzbereitschaft bei den Kontrollen unterstellen wollen.
Und deutlich verweist der Dezernatsleiter auch darauf, dass in Thüringen kein Rechtsextremist, der per Haftbefehl gesucht werde, untergetaucht sei. „Es gibt insgesamt sechs nicht abgearbeitete Haftbefehle“, sagt Klein. Allerdings, schränkt er ein, werde auch der Erfurter Mario R., mutmaßlich Betreiber von Anonymus. Kollektiv und Betreiber der Seite migratenschreck.ru, mit zwei Haftbefehlen gesucht. Ihm wird zur Last gelegt, mit migratenschreck.ru, die Seite ist seit Jahresbeginn offline, versucht zu haben, einen illegalen Waffenhandel aufzubauen. R.‘s Aufenthaltsort: irgendwo im Ausland.