Thüringische Landeszeitung (Gera)
Die Tonnen täglich im Griff
Eine Schicht: mit Andreas Richter und Mario Schmiedeberg von den Geraer Umweltdiensten
GERA. Über ungeduldige Autofahrer, deren Finger auf der Hupe kleben, ärgern sich die Müllmänner nicht. Ihnen stinkt es zum Himmel, stellen Pkw Einfahrten zu oder parken Halter bis zur Kreuzung wie so oft am Gries oder in der Cubaer Straße. Dann muss Andreas Richter geschickt sein zehn Meter langes Gefährt manövrieren. „Es schwenkt ja immer mit dem Hinterteil aus.“Leer wiegt das Müllauto 15 Tonnen.
Seit 27 Jahren kutschiert Richter das Papier der Leute von der Haustür und später nach GeraLangenberg in die Presse. Mit seinem Partner Christoph Simon ist er ein eingespieltes Team. Der hat Urlaub und Mario Schmiedeberg ist an Bord. „Ich fahre sonst Hausmüll, aber der Wagen musste in die Werkstatt, kaputte Hydraulik“, erklärt der 51-Jährige seine Gastrolle.
Es ist Freitag. 35 Fahrzeuge stehen in Reih und Glied im Betriebsteil Gera des Abfallwirtschaftzweckverbandes Ostthüringen Hinterm Südbahnhof. Er hat die Geraer Umweltdienste GmbH & Co.KG (GUD) für die Müllentsorgung beauftragt. Bis
6 Uhr müssen die elf Fahrzeuge in Orange, die nur in der Stadt unterwegs sind, vom Hof. Die meisten Männer haben ihre Tourpläne schon in der Hand, quatschen kurz oder stecken sich noch eine Zigarette an.
22 Fahrer und Lader räumen den Müll der Geschäfte und der Haushalte weg. Die Arbeit braucht Geduld, Gespür, Kraft. Ein Knochenjob im Winter. Mario Schmiedeberg macht, bevor er aufsteigt, eine Probeschüttung. Kontrolle des Presswerkes. Der Schlund des Autos frisst heute den Inhalt von etwa 300 Papiertonnen. Nicht auf einmal. Sieben Tonnen passen rein, bis der Wagen voll ist. Dann geht es nach Langenberg in den Recyclinghof, das Auto wird entleert und startet erneut.
Die Tour von Richter beginnt wie jeden Freitag in der Schülerstraße und endet nach weit über 100 Haltepunkten in der Kepplerstraße. Im Sonnenhof schließt Schmiedeberg den ersten „Käfig“auf, wie die Box bei den Müllmännern genannt wird. Er zieht die Tonnen ruck, zuck zum Wagen. 15 verschiedene Schlüssel hängen am Bund für die Fahrt. Früher haben viele Hausmeister die Käfige geöffnet und die Tonnen bereitgestellt. Aber überall wird gespart.
„Bis die Geschäfte aufmachen, sollten wir aus der Innenstadt weg sein“, erklärt Andreas Richter. Bis jetzt funktioniert alles reibungslos. In der Steinstraße rangiert der 56-Jährige. Er muss einem Auto ausweichen. Ein paar Meter weiter sitzt ein kleiner Knirps auf dem Fensterbrett und winkt den Müllmänner zu. Sie lachen. Müllmann ist immer noch ein Traum vieler kleiner Jungen.
Die moderne Berufsbezeichnung heißt Fahrer und Lader oder Entsorger. Weder Richter noch Schmiedeberg stören sich daran, Müllmänner genannt zu werden. Andreas Richter kam auf Umwegen nach Gera und auf sein Auto. Der Zimmermann unter Tage aus Stollberg zog nach der Wende hierher. Wer leben will, braucht Arbeit. Er fand sie und blieb. Fast 95 Prozent hier im Job seien Quereinsteiger. „Prima Zusammenhalt. Die Technik der Autos fasziniert mich schon“. Er fühlt sich „wie ein Kapitän auf einem Schiff in der Landschaft.“Er lenkt es ruhig und besonnen. Das Rückwärtsfahren in der Johannisstraße erfordert von Richter viel Aufmerksamkeit. Der Raum hinter dem Auto ist schlecht einsehbar. Während Schmiedeberg die Tonne auf die Vorrichtung zum Schütten schiebt, macht er seinem Herzen Luft. „Vor zwei oder drei Jahren fand ich in einer Papiertonne in der Greizer Straße rund 15 Kilogramm Fleischknochen. Die „Schweinerei“wurde fotografiert und gemeldet. Auch Mario Schmiedeberg hält sich nicht zurück. „Im Hausmüll hat Bauschutt zugenommen. Ich merke sofort am Gewicht, wenn was nicht stimmt. Autoteile – Stoßstangen oder Kotflügel – stecken in den Tonnen. Alles, was reinpasst. Gäbe es eine Müllpolizei, hätte die straff zu tun.“Das Desinteresse der Leute habe zugenommen, meint der 51-Jährige. „Lassen wir aber Tonnen stehen, weil wir wegen zugeparkter
15 Kilogramm Fleischknochen entsorgt
Straßen nicht leeren können oder im Behälter steckt etwas, das nicht reingehört, wird sofort gemeckert und sich beschwert.“Schmiedeberg, der sonst im ländlichen Bereich unter anderem in Hermsdorf, Söllmnitz und Röpsen unterwegs ist, freut sich deshalb über ein Dankeschön der „Omis und Opis.“Bei brütender Hitze reichen sie uns auch mal ein Wasser. 1988 hatte es den gelernten Straßentiefbauer von nach Gera verschlagen. Seit 2008 ist er bei der GUD. „Ich bin in einer krisensicheren Branche. Müll wird es immer geben. Das Schöne: Ich bin an der frischen Luft und habe Verantwortung. Außerdem kenne ich jeden Schleichweg.“In sein Gefährt kommen täglich 370 Hausmülltonnen. „Kübel kloppen“, nennen die Müllmänner das Entleeren der Behälter. Dieser Inhalt landet auf dem Umschlagplatz in Untitz. Schmiedebergs Runde ist zwischen 70 und 100 Kilometer lang. Heute fährt er mit Andreas Richter 70 Kilometer. Nach der Innenstadt geht es auch in die Kaimberger Straße, Gartenstraße und nach Lusan. Digitale Fahrtenschreiber lesen aus, dass jeder Ort angefahren wurde.
Gegen 15 Uhr steht das Auto wieder im Fuhrpark. Nichts ist passiert. Feierabend. Andreas Richter will nun an seinen Oldtimern schrauben. Mario Schmiedeberg findet Entspannung bei seinen Fischen.