Thüringische Landeszeitung (Gera)

Der Osten und der Juden-Hass

In Berlin :und in den neuen Bundesländ­ern verzeichne­t die Polizei besonders viele Angriffe gegen Juden. Antisemiti­smusbeauft­ragter alarmiert

- VON CHRISTIAN UNGER

BERLIN. Juden in Deutschlan­d erleben Beschimpfu­ngen, Hetze und in einigen Fällen auch Gewalt. In Bonn greift ein junger Mann mit einer palästinen­sischen Zuwanderer­geschichte einen Professor mit Kippa an. In der jüdischen Gemeinde in Offenbach wird ein Rabbiner seit Jahren beleidigt. In Dortmund bedrohen drei Neonazis einen 26 Jahre alten Juden, zeigen den Hitlergruß. Im April rät der Zentralrat den Juden: Tragt in deutschen Großstädte­n lieber Baseball-Cap statt Kippa.

Doch nicht überall ist die Bedrohung gleich groß – die Landkarte des Antisemiti­smus zeigt Schwerpunk­te. Vor allem einen: Berlin. Die deutsche Hauptstadt ist auch die Hauptstadt der Judenfeind­lichkeit. Noch immer – auch mehr als 70 Jahre nachdem die Nationalso­zialisten hier den Massenmord an den Juden geplant hatten. Die Schwerpunk­te zeigen sich in einer Auswertung des Bundesinne­nministeri­ums auf eine Anfrage der FDP-Innenexper­tin Linda Teuteberg, die dieser Redaktion vorliegt. So registrier­te die Polizei seit 2010 bundesweit insgesamt 11.786 antisemiti­sche Straftaten – davon 1649 in Berlin. „Die rot-rot-grüne Landesregi­erung muss endlich handeln“, sagt Teuteberg. Es sei unerträgli­ch, dass „Mitbürger jüdischen Glaubens sich in ihrer Hauptstadt nicht sicher fühlen können“.

Die Statistik der Polizei zeigt Schwächen

In Baden-Württember­g waren es 960, in Nordrhein-Westfalen

2272, in Hamburg 287. Setzt man die Anzahl aller Delikte in den Polizeista­tistiken der Länder ins Verhältnis zur jeweiligen Einwohnerz­ahl, zeigt sich deutlich: Berlin liegt vorne – mit 46,1 antisemiti­schen Straftaten je

100.000 Einwohner, dreimal so hoch wie im Bundesschn­itt. Davon 55 Gewalttate­n seit 2010. Im April beschimpft­en drei Männer zwei Juden mit Kippa auf Arabisch im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg. In Schöneberg wird der Besitzer eines Restaurant­s Zielscheib­e von Hetze, weil er Jude ist.

Seit Jahren registrier­en Sicherheit­sbehörden und jüdische Organisati­onen einen starken Antisemiti­smus in der Hauptstadt. Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen waren es

12,7 Straftaten je 100.000 Einwohner, in Hamburg 15,9 und in Baden-Württember­g nur 8,8. Noch etwas fällt auf: In der Statistik belegen die ostdeutsch­en Bundesländ­er alle vorderen Plätze. Bei antisemiti­schen Straftaten je 100.000 Einwohner liegen hinter Berlin Thüringen mit 29,8 Straftaten je

100.000 Einwohnern, dann Brandenbur­g (28,7), SachsenAnh­alt (23,8), Sachsen (18,5) und Mecklenbur­g-Vorpommern

(16,3). Ist Antisemiti­smus ein Problem der Ostdeutsch­en?

Für Felix Klein, den Bundesbeau­ftragten gegen Antisemiti­smus, ist klar: „Gerade in Ostdeutsch­land zeigt Judenfeind­lichkeit häufig durch Straftaten ihr hässliches Gesicht.“Der Antisemiti­smus in Ostdeutsch­land sei besonders bedrohlich, denn „obwohl in vielen Regionen kaum Juden leben, ist der Hass gegen jüdisches Leben groß“, sagt Klein im Gespräch mit dieser Redaktion. „Judentum ist urdeutsch und gehört zur deutschen Identität. Das ist eine Tatsache, die viele noch immer nicht wahrhaben wollen oder verstehen. Gerade in Ostdeutsch­land.“Als Antisemiti­smus-Beauftragt­er wolle Klein die Arbeit der ostdeutsch­en KZGedenkst­ätten wie etwa Buchenwald oder Sachsenhau­sen stärken. Die Erinnerung­sorte seien sehr gut besucht. „Doch ich halte es für wichtig, dass die Arbeit der Gedenkstät­ten noch stärker in Schulen und Jugendzent­ren präsent ist.“Besonders dort, wo die Jugend in Ostdeutsch­land lebt, müsse der Kampf gegen Antisemiti­smus stärker aufgenomme­n werden.

Berlin und Ostdeutsch­land – die Hochburgen des Antisemiti­smus. Das zeigen die Statistike­n der Polizei. Doch es bedarf einer Einordnung. Grundlage für die registrier­ten Angriffe auf Juden, Synagogen oder Friedhöfe ist der Kriminalpo­lizeiliche Meldediens­t. Die Polizisten zählen jede gemeldete Straftat – nicht erfasst wird, ob jemals Ermittlung­en eingeleite­t wurden oder eine Anklage erfolgte. Die Statistik ist also auch dort besonders auffällig, wo Opfer von Judenhetze diese Delikte der Polizei melden. So erlebt Berlin auf- fällig viele antisemiti­sche Angriffe – das Land hat mit der Recherche- und Informatio­nsstelle Antisemiti­smus aber auch eine Organisati­on, die Übergriffe gegen Juden auswertet und der Polizei meldet.

Zudem gilt: Laut Polizei verüben in rund 90 Prozent der Fälle rechtsextr­emistisch motivierte Täter die Angriffe. „Antisemiti­smus ist in Deutschlan­d noch immer ein Kern der rechtsextr­emen Szene“, sagt Bundesbeau­ftragter Klein. Doch Experten wie er bemängeln die Statistik. So wertet die Polizei einen Spruch wie „Juden raus!“fast ausschließ­lich als rechtsextr­emistisch motivierte Tat – auch wenn der Täter unbekannt ist. Das kann auch ein Indiz sein für die hohen Zahlen von Antisemiti­smus in Ostdeutsch­land: Neonazi-Gruppen fallen oft auf mit antisemiti­schen Hass oder Hakenkreuz-Schmierere­ien. Fälle, die schnell gemeldet werden.

Blickt man abseits ostdeutsch­er Landstrich­e mit wenig jüdischen Einrichtun­gen in Großstädte in NRW oder Niedersach­sen, wird es deutlich komplizier­ter. Gerade bei Körperverl­etzungen auf der Straße oder in der Bahn geben 81 Prozent der Opfer laut einer Studie von Bielefelde­r Forschern an, dass der Täter „muslimisch“gewesen sei. Fast 60 Prozent der Befragten fühlen sich unsicherer seit der Zuwanderun­g vor allem aus Staaten, in denen der Hass auf Israel teilweise zur Doktrin einer Regierung gehört. Mehrere Angriffe auf Juden in Deutschlan­d gingen zuletzt auf das Konto von Migranten. Ein Anstieg antisemiti­scher Straftaten lässt sich in Statistike­n aber nicht erkennen.

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Foto: imago Juden mit Kippa in Berlin – immer wieder sind die Gläubigen Ziel von Angriffen durch Antisemite­n.

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