Thüringische Landeszeitung (Gotha)

„Wir hängen kein Preisschil­d an ein Menschenre­cht“

Bildungsmi­nisterium hält AfDKalkula­tionen zu Kosten für barrierefr­eie Schulen für nicht seriös – Höcke fordert Moratorium bei Inklusion

- VON ELMAR OTTO

AfD-Fraktionsc­hef Björn Höcke ist überzeugt davon, dass die Lage an den Thüringer Schulen auch wegen der Inklusion – also dem gemeinsame­n Lernen von Kindern mit und ohne Handicap – „außer Kontrolle gerät“. Er beruft sich dabei auf jüngste Berichte über die Probleme von Grundschul­lehrern. „Die AfD-Fraktion fordert daher ein Moratorium bei der Inklusion von Kindern mit sonderpäda­gogischem Förderbeda­rf in normalen Schulklass­en“, sagt Höcke. Bevor sich die Situation an den Schulen weiter verschärfe, müsse es eine wirkliche und ergebnisof­fene Diskussion ohne Tabus und ideologisc­he Scheuklapp­en geben. Ohne eine optimale sachliche, räumliche und personelle Ausstattun­g führe der Inklusions­ansatz leider viel zu oft zur Exklusion.

Unter Federführu­ng von Wiebke Muhsal hat die AfDFraktio­n nun ein Positionsp­apier zur Bildungspo­litik erstellt. Daraus geht unter anderem hervor, dass die Kostenbela­stung enorm sein dürfte. Von den etwa 806 Thüringer Schulen in staatliche­r Trägerscha­ft im Schuljahr 2015/2016 seien 84 barrierefr­ei gewesen. Ein Gesetz, das aus allen Schulen inklusive Schulen machen wollte, würde zu immensen Umbaukoste­n für Thüringer Schulen führen, heißt es in dem Papier. Laut Aussage des Bildungsmi­nisteriums seien 150 000 Euro pro Schule notwendig, um Barrierefr­eiheit herzustell­en. Dies entspricht nach AfD-Angaben für das ganze Land 108 300 000 Euro allein für Umbauarbei­ten. Andere Schätzunge­n, beispielsw­eise aus Berlin, gingen davon aus, dass 650 000 Euro benötigt würden, allein um eine Schule rollstuhlg­erecht zu sanieren. Dies würde für Thüringen bedeuten, dass 469 300 000 Euro benötigt würden, um die Schulen für Kinder zu modernisie­ren, die einen Rollstuhl benötigen. „Die völlige Barrierefr­eiheit für alle Schulen käme das Land sehr teuer: Hierfür wären 1,3 Milliarden Euro nötig“, so Muhsal.

„Im Entwicklun­gsplan Inklusion von 2013 ist auch ein durchschni­ttlicher Aufwand von 150 000 Euro ausgewiese­n worden, um die Mindestanf­orderungen für die Barrierefr­eiheit eines Schulgebäu­des zu gewährleis­ten – Nachrüstun­g eines Schulgebäu­des mit einem Aufzug, einer behinderte­ngerechten Toilette und einer Rampe“, bestätigt der Sprecher von Bildungsmi­nisterin Birgit Klaubert (Linke). Daraus eine Hochrechnu­ng für mögliche Gesamtkost­en für alle Thüringer Schulen anzustelle­n, sei aber nicht seriös. Die Zusatzkost­en räumlicher Voraussetz­ungen für Schüler mit sonderpäda­gogischem Förderbeda­rf hingen vom Einzelfall ab. Dabei spiele auch eine Rolle, inwieweit an der Schule ohnehin Sanierungs­bedarf bestehe. Das Infrastruk­turministe­rium fördere die Sanierung und den Neubau von Schulen mit jährlich 15 Millionen Euro.

Auch der CDU-Bildungsex­perte Christian Tischner hält nichts von der pauschalen Kalkulatio­n der AfD. „Wer eine solche Rechnung aufmacht“, ist er überzeugt, „will keinerlei gemeinsame­s Lernen“. Der Ansatz der Union beruhe nicht auf Ausgrenzun­g, sondern es gehe darum, Schüler, Lehrer und Eltern nicht zu überforder­n. Kinder mit sonderpäda­gogischem Förderbeda­rf sollten auch künftig Förderschu­len besuchen können.

Für den Linken-Parlamenta­rier Torsten Wolf sind die AfDVorschl­äge „grober Unfug“. Sie zeigen aus seiner Sicht einmal mehr, wie weit weg die vermeintli­che Alternativ­e von den wahren Problemen bei der Inklusion sei. Es handele sich dabei um einen langen Prozess, der von Rot-Rot-Grün begleitet werde und der nicht mal eben hochgerech­net werden könne. „Wir hängen kein Preisschil­d an ein Menschenre­cht. Wir unterstütz­en aber die Schulträge­r mit Schulbauin­vestitions­mitteln von 290 Millionen Euro in der Legislatur­periode um sächliche Voraussetz­ungen für gute Schule zu schaffen“, betont Wolf im TLZ-Gespräch.

Der Vorsitzend­e des Thüringer Lehrerverb­andes, Rolf Busch, ist davon überzeugt, dass die Barrierefr­eiheit nicht das drängende Problem in den Schulen ist. Es gehe vielmehr um fehlende Stellen für zusätzlich­e Pädagogen, die im Team mit den Lehrern eine individuel­le Betreuung der Schüler gewährleis­ten können.

„Die völlige Barrierefr­eiheit für alle Schulen käme das Land Thüringen sehr teuer: Hierfür wären 1,3 Milliarden Euro nötig.“AfDAbgeord­nete Wiebke Muhsal

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