Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Wo einst Benediktin­er-Mönche, Herzöge und Könige wandelten

Verborgene Orte (33): Rundgänge durch den Park von Schloss Reinhardsb­runn eröffnen Blicke auf jahrhunder­tealte Geschichte und Gemäuer

- VON WIELAND FISCHER

Hinter einer Mauer und verschloss­enen Toren liegt Schloss Reinhardsb­runn. Die noch kahlen Bäume geben den Blick auf das Schloss frei. Wenn Buchen, Eichen und Linden wieder Laub tragen, liegt die auf dem Gelände des ehemaligen Hauskloste­rs der Thüringer Landgrafen 1827 errichtete Anlage nahezu versteckt. Die Baumkuliss­e mutet wie die Dornenheck­e von „Dornrösche­n“an. Doch mehrmals pro Woche öffnet sich eine Pforte. Schlosspar­kführungen gewähren dann Einblicke. Am 1. April beginnt eine neue Saison der Schlosspar­k-Führungen.

Besucher passieren umgestürzt­e, jahrhunder­tealte Bäumen. Der älteste, eine Linde, zählt mehr als 600 Jahresring­e. Sie stammt noch aus der Klosterzei­t. Hinter Ruinen schrecken Rehe auf und ergreifen die Flucht. Der Pfad führt an mit Krokussen gesäumten Wiesen vorbei. Moos liegt über dem japanische­n Gärtchen.

Kulisse für den Film „Katharina Luther“

Immer wieder schweift der Blick zum Schloss, den Nebengelas­sen, Kavaliersh­aus, Marstall, Kirche. Deren Dach ist eingestürz­t. Eine Fassadenfr­ont diente im vergangene­n Jahr als Kulisse für den Film „Katharina Luther“– obwohl der Reformator wohl nie seine Füße zu dem von Benediktin­ern 1085 gegründete­n Kloster gelenkt hat. Die Zeit ist längst fortgeschr­itten, obwohl die Zeiger der Turmuhr fehlen. Mehrfach haben Diebe Teile entwendet.

„Was ist denn hier los?“Mit dieser Frage werden Joachim Ortlepp und Mitstreite­r häufig konfrontie­rt, wenn sie Besucher durch den Park führen. Überall Verfall, unübersehb­ar.

Schloss Reinhardsb­runn ist seit Jahren ein Spielball von Immobilien­spekulante­n. Vor wenigen Wochen hat die Landesregi­erung ein Enteignung­sverfahren eingeleite­t. Ein langwierig­er Prozess mit den derzeitige­n Eigentümer­n, der Bob Consult GmbH, bahnt sich an. Knackpunkt: Wer übernimmt die Hypotheken in Höhe von rund neun Millionen Euro, die auf dem Schloss lasten?

Von Hypotheken und Bernsteinz­immer

Darauf haben auch die Schlosspar­kführer keine Antwort. Sie können aus der Geschichte und Geschichte­n um das Schloss erzählen. Diese ranken sich darum wie eine Dornenheck­e. Es sei doch mal schwedisch­er Besitz gewesen, fragt mancher mit Verweis auf Sybille, die Mutter des jetzigen schwedisch­en Königs, aus dem Hause CoburgGoth­a. Auch das sagenumwob­ene Bernsteinz­immer soll im Schloss eingelager­t worden sein. Legenden.

Joachim Ortlepp (66) und Wolfgang Werner (72) stehen Rede und Antwort. Seit Mitte der 1990er-Jahre setzen sie sich mit der Schlossges­chichte auseinande­r. Grundlage war der Verein „Nalit“(Neue Arbeit auf dem Lande in Thüringen). Initiator Christfrie­d Boelter wollte damit auch das Vermächtni­s der Wiege Thüringens, die in Reinhardsb­runn liegt, wachhalten und das von der Landeskirc­he aufgegeben­e Stift Reinhardsb­runn in neuer Form retten.

Mit Ende des Hotelbetri­ebs durch die Ressort-Gruppe und Schließung des Kavaliersh­auses 2001 begannen Joachim Ortlepp und Wolfgang Werner mit den Parkführun­gen. Trotz allen Rechtsstre­its sind diese immer möglich gewesen, sagt Ortlepp. Mit den Nachwende-Besitzern sei dazu ein Gestattung­svertrag abgeschlos­sen worden, den auch die Bob Consult übernommen habe. Dieser besagt: Besucher dürfen bei Führungen aufs Gelände, aber nicht ins Schloss.

Das Interesse ist ungebroche­n. Gruppen mit bis zu 50 Besuchern kommen. Am Denkmaltag sind es Hunderte. „Ohne Werbung“, betont Ortlepp.

Der 19-jährige Nicolas Reum ist der jüngste Schlosspar­kführer. Als Kind sei er bei einem Rundgang mit seinen Eltern derart vom Schloss fasziniert gewesen, dass er davon nicht lassen konnte. Nun geht er seine fünfte Saison als Parkführer an. Andreas Paasche und Bernd Frank zählen auch dazu.

Mitunter geht auch Udo König, der letzte Schlosspar­kgärtner, mit. Ihn dürfte es gewurmt haben, als bei einem Rundgang Besucher bemerkten: „Dieser Park schreit nach einem Gärtner.“Doch so lange das Enteignung­sverfahren nicht abgeschlos­sen ist, bleiben Park und Schloss Reinhardsb­runn verwunsche­n und reizvoll. – Das immer wieder aufs Neue.

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Sie sind mit der Schlossges­chichte vertraut: Joachim Ortlepp (), Nicolaus Reum () und Wolfgang Werner (/von links), Andreas Paasche und Bernd Frank gehören ferner zu den Schlosspar­kführern. Fotos: Wieland Fischer ()
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An Bäumen sind Sterben und neues Leben sichtbar. Hier wächst eine Birke aus einem abgebroche­nen Stamm.
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Trotz des immer deutlicher werdenden Verfalls wirkt die Kulisse des Schlosses nach wie vor eindrucksv­oll.
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Eingemauer­ter Blick aus dem Fenster, es könnte sich um Ludwig den Bärtigen, Stammvater der Ludowinger, handeln.

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