Thüringische Landeszeitung (Gotha)
„Doping wird es immer geben“
Der Apotheker Simon Krivec konnte beweisen: Gedopt wurde auch im Westen. Seine Erkenntnisse haben eine Debatte entfacht
In seiner Apotheke in Krefeld steht das Telefon von Simon Krivec nicht mehr still. Der 29-jährige Doktorand der Uni Hamburg hat für seine Dissertation 31 westdeutsche Ex-Leichtathleten zu Dopinggeständnissen gebracht. Seine Erkenntnisse haben eine bundesweite Debatte entfacht. Tenor: Der westdeutsche Sport war wohl längst nicht so sauber, wie er oft dargestellt wurde.
Nachdem Sie lange in Sachen Doping recherchiert haben: Kann Sie bei diesem Thema noch etwas schockieren?
Nein, ich glaube nicht, dass mich noch etwas überraschen kann. Wer Erster werden will, wird alles versuchen. Doping wird es immer geben. Für mich persönlich war schon vor meiner Dissertation klar, dass Doping auch in Westdeutschland zum Alltag gehörte. Dazu gab es nach 1976 genug öffentliche Diskussionen, beispielsweise im Aktuellen Sportstudio, aber auch in Gremien wie dem Sportausschuss des Bundestages. Aber es ist alles wieder im Sande verlaufen. Offenbar wollte sich niemand die Finger verbrennen.
An welchem Punkt haben Sie bemerkt, dass Sie gerade etwas Bemerkenswertes herausfinden?
Eigentlich erst gegen Ende, als die ersten Experten, die sich lange mit der Doping-Problematik beschäftigen, mir zu verstehen gaben, dass ich etwas noch nie Dagewesenes geschrieben habe. Aber dass es einschlägt wie eine Bombe, hätte ich trotzdem nicht erwartet.
Wieso haben Sie sich für dieses Thema entschieden?
Ich bin selbst sportaffin, habe Volleyball gespielt und bin im Moerser Sportclub engagiert. Mein Vater ist ein ehemaliger Dreispringer, der 1964 bei den Olympischen Spielen gestartet ist. So hatte ich einen Bezug zur Leichtathletik und auch zu den 60er-, 70-, und 80er-Jahren, mit denen ich mich jetzt beschäftigt habe, obwohl ich selbst erst 1987 geboren wurde. Mein Vater hat selbst erlebt, was einzelne Athleten in seinem Verein in Mainz alles genommen haben. Wir haben in der Familie immer wieder über Doping diskutiert. Als Pharmazeut interessieren mich die Nebenwirkungen der Arzneimittel. Deshalb habe ich die ehemaligen Sportler auch gefragt, ob sie wissen, auf was sie sich da eingelassen haben.
Frauen tauchen in Ihrer Untersuchung nicht auf.
Ich wollte auch ehemalige Sportlerinnen befragen, aber es hat nicht funktioniert. Schon auf die ersten Anfragen habe ich keine Reaktionen bekommen. Womöglich ist bei den Frauen die Scham größer, vielleicht wären sie auch einer Frau gegenüber offener gewesen.
Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Sportler ausgesucht?
Zunächst habe ich Disziplinen ausgewählt, in denen Doping Sinn ergeben würde: Sprint, die Wurfdisziplinen und Mehrkampf. Dann habe ich mir Ergebnislisten angeschaut und Namen von deutschen Spitzensportlern herausgeschrieben, die vordere Platzierungen bei Deutschen und internationalen Meisterschaften belegt haben oder bei denen es eklatante Leistungssprünge gab.
Haben Sie erwartet, dass sich viele Athleten so offen Ihnen gegenüber zeigen?
Anfangs habe ich mir in Einzelfällen viel Böses anhören müssen. Nach dem Motto: Wie können Sie mich verdächtigen, so etwas getan zu haben? Dafür, dass aber immerhin 31 zugegeben haben, etwas genommen zu haben, habe ich drei Thesen: 1. Sie wussten, dass ich sie nicht ans Messer liefern oder diskreditieren will. Die Befragung lief anonym ab. 2. Ich bin jung und moralisch nicht in die Dopingproblematik der untersuchten Zeit involviert. 3. Ich bin Apotheker, kein Journalist. Mich interessiert der Umgang mit Medikamenten.
Sechs Sportler waren mit der Bekanntgabe ihrer Namen einverstanden.
In zwei, drei Fällen glaube ich, dass die Betroffenen tatsächlich ihr Gewissen erleichtern und endlich darüber sprechen wollten. Klaus-Peter Hennig hat dies in der ARD-Sportschau eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht. Es ist ja geradezu herausgesprudelt.
Was passiert jetzt mit den Ergebnissen? Sportfunktionäre müssten bei Ihnen Schlange stehen. . .
Natürlich wird viel diskutiert, die ersten Reaktionen sind sehr positiv. Es melden sich andere ehemalige Athleten und Menschen aus dem Umfeld der Sportler. Ein ehemaliger Stadionsprecher hat mir von seinen Beobachtungen erzählt. Es sind offensichtlich längst nicht nur im stillen Kämmerlein Anabolika eingenommen worden. Es gibt eine Vielzahl von Mitwissern. Alle sagen jetzt: Wir müssen etwas tun. Was tatsächlich passiert, wird sich zeigen. Die Nada, die Nationale Anti-Doping-Agentur, hat mich gefragt, welche Schlüsse man nun ziehen muss für den Spitzensport in der heutigen Zeit. Darüber kann aber erst dann konkret gesprochen werden, wenn die Verantwortlichen meine Dissertation komplett gelesen haben. Darin stehen noch viele Details.
Wieso sind Sie so sicher, dass es Doping immer geben wird?
Solange es Leistungssport gibt, wird es auch Doping geben. Ein Athlet, der in Deutschland Spitzenleistung erbringt, aber im Vergleich zu international erzielten Ergebnissen – bei denen man nie weiß, wie sie zustanden gekommen sind – nur hinterher hinkt, wird sich fragen, ob er nicht doch unterstützende Mittel oder Maßnahmen benötigt. Die Leistungssportreform soll solche Auswüchse verhindern. Doch da habe ich eine andere Meinung. Wenn vorrangig die potenzielle Medaillenchance über eine Athletenförderung entscheidet, die für viele Sportler lebensnotwendig ist, um Sport auf hohem Niveau betreiben zu können, bleibt die Frage: Wie groß ist der Anreiz, alles dafür zu tun, zu den Besten zu gehören?