Thüringische Landeszeitung (Gotha)
„Hühnerfleischgasse“als Spottname
Gothaer Straßenbekanntschaften (5): Straßenbenennung als Geschenk zur goldenen Hochzeit des Ehepaars Sophie und Heinrich Hünersdorf
Am Ende der letzten Folge ging es um die in den späten 1880er Jahren auf dem damaligen Siebleber Gebiet neu entstandene Gustav-Freytagund Jenzschstraße. Der Trend, neue Straßen nach verdienstvollen Persönlichkeiten zu benennen, setzte sich auch in den folgenden Jahren fort.
So tauchte 1890 die nun vom Bahnhofsvorplatz abzweigende Wilhelmstraße auf. Seit 1907 war dann in den Gothaer Adressbüchern zu erfahren, dass sie „nach dem früheren Besitzer der dortigen Grundstücke, Wilhelm Müller, benannt“wurde. Dahinter verbarg sich ein 1881 verstorbener Gutsbesitzer, Kunstgärtner und Samenhändler, der auf den Grundstücken Bahnhofstraße 9-11 eine Gärtnerei sowie eine Villa besaß, die jedoch 1945 zerbombt wurde.
Auf dem Eckgrundstück Bahnhofstraße 9a wurde am 28. März 1891 durch den Hoftraiteur Heinrich Bonß (1840-1897) das Nobelhotel „Herzog Ernst“eröffnet. Anfang 1894 ging dann das am unteren Ende der Wilhelmstraße erbaute Elektrizitätswerk in Betrieb, wo sich anfangs auch das Depot der elektrischen Straßenbahn befand.
Aus der Friedhofs wurde die KarlSchwarzStraße
Am 4. September 1893 erhielt ein von der Schäferstraße abzweigender neuer Straßenzug die Bezeichnung Johannesstraße. Deren Namensgeber liegt jedoch im Dunkeln. Kurz darauf wurde die zwischen den damaligen Friedhöfen II und III gelegene Friedhofstraße am 27. November in Karl-Schwarz-Straße umbenannt. Namenspatron war der acht Jahre zuvor verstorbene Oberhofprediger und Generalsuperintendent Karl Schwarz (1812-1885).
Ein knappes Jahr später wurde ausnahmsweise eine in der Altstadt gelegene Straße umbenannt. Es handelte sich um die bereits 1455 urkundlich erwähnte Fleischgasse. Die Veränderung des Namens veranlasste das „Gothaische Tageblatt“seinerzeit, einiges über die Historie dieser Straße mitzuteilen. Demzufolge hatte sie ihren Namen „von den Fleischbänken erhalten, die sich in dieser Straße nach dem Buttermarkt zu befanden. Da diese Fleischbänke die Straße sehr verunzierten, so wurden sie Ende Februar 1869 niedergerissen, wodurch ein freier Platz entstand. Auf dem Platz standen ehemals auch zwei Häuser, welche am 21. September 1871 von den letzten Besitzern derselben (...) auf Abbruch verkauft wurden.“
Anlass für die Umbenennung der Fleischgasse war die goldene Hochzeit des Oberbürgermeisters a.D. Heinrich Hünersdorf (1817-1897) und seiner Gattin Sophie, geb. Breidenbach (18221905) am 4. September 1894. Trotz des hohen Alters waren die Hünersdorfs weiterhin ehrenamtlich und gemeinnützig tätig – er als Standesbeamter und sie als Vorsteherin der Karolinenund Kleinkinderschule am Mühlgrabenweg.
Bereits am Vorabend brachten die Sänger des Gewerbevereins ihrem Ehrenmitglied eine Serenade dar. Anschließend gratulierte der Vereinsvorstand dem Ehepaar in ihrer Wohnung am Arnoldiplatz 5. An ihrem Ehrentag überreichte Herr Pfarrer Lühr „im Auftrag des Herzogs Alfred und der Herzogin Maria eine Prachtbibel dem Jubelpaare. Die Frau Herzogin-Wittwe Alexandrine richtete ein eigenhändiges Glückwunschschreiben an die Jubilarin, dem das Bild der hohen Frau nebst demjenigen ihres Gatten, des verstorbenen Herzogs Ernst II., beigefügt war.
Auch Herr Kirchenrath D. Dreyer von Meiningen, der Ehrenbürger unserer Stadt, war unter den Gratulanten vertreten. Die Damen der Karolinenschule widmeten ihrer langjährigen Vorsitzenden einen prachtvollen Sessel.“Die höchste Auszeichnung war jedoch zweifelsohne „die zum ehrenden Gedächtniß an das Fest der goldenen Hochzeit des Ehrenbürgers unserer Stadt, Oberbürgermeisters a.D. Herrn Hünersdorf und seiner hochverdienten Gemahlin“erfolgte Umbenennung der zum Rathaus – seiner langjährigen Wirkungsstätte – führenden Fleischgasse in Hünersdorfstraße. Der Gothsche Volkswitz machte daraus sofort die Hühnerfleischgasse. Die direkt an der damaligen Bürgeraue-Kaserne gelegene Kasernenstraße wurde am 5. August 1895 aus Anlass der 25-jährigen Gedenkfeier des Sieges von Wörth in Beckedorffstraße umbenannt. Der kurz zuvor als Königlich preußischer Generalleutnant verstorbene Friedrich von Beckedorff (1818-1893) hatte das dort stationierte 6. Thüringische Infanterieregiment Nr. 95 im Feldzug 1870/71 als Oberst geführt.
Am 11. April 1896 wurde dann ein Teil der bisherigen Löwenstraße umbenannt, weil „der Ausbau einer Fortsetzung der Löwenstraße bis zur Kaiserstraße von den städtischen Körperschaften aufgegeben worden ist.“Deshalb machte sich eine Umbenennung in Fabeckstraße notwendig. Oberst Hermann von Fabeck (1816-1873) war der Vorgänger von Beckedorff gewesen, der die „95er“im Feldzug 1866 geführt hatte. Beide Straßen wurden 1946 umbenannt, in Gadolla- und Feuerbachstraße.
Am 10. März 1897 erhielt der Verbindungsweg zwischen der Seebergstraße und der Landstraße nach Ohrdruf die amtliche Bezeichnung „Am Viadukt“. Gleich vier neue Straßen bekamen am 22. Oktober 1897 einen Namen. Es handelte sich um die Gayer-, Grenz-, Perthes- und Pestalozzistraße. Erstere ist seitdem nach der Privatière Fräulein Therese Gayer (1819-1896) benannt, die ihrer Vaterstadt 330.000 Mark für die Einrichtung einer Renten- und Altenheim-Stiftung für alleinstehende bedürftige Frauen und Jungfrauen Gothas gestiftet hatte. Von diesem Geld wurde das Gebäude der „Therese-Gayer-Stiftung“in der Schützenallee 10 erbaut, das von 1899 bis 1996 als Altersheim genutzt wurde.
Auch die nach dem schweizerischen Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (17461827) benannte Straße war durch den Bau einer Wohltätigkeitseinrichtung entstanden, denn am 14. August 1898 wurde dort die Herzogin-Marie-Stiftung, die im damaligen Sprachgebrauch als „Idiotenanstalt“bezeichnet wurde, eingeweiht. Es handelt sich um die spätere Schwerhörigenschule und das jetzige „Albert-SchweitzerHaus“der Städtischen Heime.
Die von der Uelleber Straße nach der Flurgrenze mit Sundhausen führende neue Straße bekam deshalb die Bezeichnung Grenzstraße (heutige FriedrichEbert-Straße), während die Perthesstraße den Namen des Verlegers und Patrioten Friedrich Perthes (1772-1843) erhielt, weil sie zur Verbindung der Steinmühlenallee mit dem Mühlgrabenweg durch den vormaligen Perthes’schen Garten neu angelegt worden war. 1936 wurde sie in Friedrich-Perthes-Straße umbenannt.
Seit dem 24. Mai 1899 gibt es die Reyher- und Salzmannstraße. Letztere ist nach dem Pädagogen Christian Gotthilf Salzmann (1744-1811) benannt, der 1784 die Erziehungsanstalt in Schnepfenthal gegründet hatte, und verbindet seitdem die Uelleber mit der Pestalozzistraße. Die nach dem Pädagogen Andreas Reyher (1601-1673) benannte Straße war im Zuge des Neubaus der benachbarten Reyherschule entstanden.
Regimentskommandeur als Namenspate