Thüringische Landeszeitung (Gotha)

„Mehrheit braucht eine schlechte Minderheit“

Extremismu­sforscher Wolfgang Benz referierte in der Gedenkstät­te Tivoli über Fremdenfei­nde und Wutbürger

- VON MATTHIAS WENZEL

Der emeritiert­e Professor Wolfgang Benz, der von 1982 bis 2011 das Zentrum für Antisemiti­smusforsch­ung an der TU Berlin geleitet hatte, war schon mehrfach zu Gast in Gotha, um aus seinem umfangreic­hen Erfahrungs­schatz als Extremismu­sforscher zu berichten.

Auf Einladung des Gothaer Aktionsbün­dnisses gegen rechte Gewalt und des Vereins „Gotha ist bunt“hielt er nun im Tivoli einen Vortrag zum hochaktuel­len Thema „Fremdenfei­nde und Wutbürger“. Ein gleichnami­ges Buch hatte er im vergangene­n Jahr herausgege­ben.

Benz berichtete einleitend, dass er seit zwei bis drei Jahren gründlich verstört sei, weil es inzwischen eine Partei gebe, die ausschließ­lich den Fremdenhas­s im Programm habe.

Der Begriff „Wutbürger“sei erstmals im Zusammenha­ng mit „Stuttgart 21“aufgetauch­t und habe sich seitdem verselbsts­tändigt. Jetzt seien damit Leute mit dumpfer Wut gegen Staat und Demokratie gemeint, die zum Teil im Mercedes fahren.

„Pegida“habe Benz vor drei Jahren zunächst als eine Sekte mehr betrachtet, die erst seit der Flüchtling­swelle von 2015 wieder ein Thema hatte. Sie stelle jedoch ein völlig rätselhaft­es Phänomen für die Wissenscha­ft dar, weil sie es in Dresden geschafft haben, lauter freundlich­e und nette Bürger anzuheizen. Leider habe die Politik diese Gruppe durch ihr Tun eher bestärkt.

Die AfD sei als Euro-kritische Partei gegründet und erst durch Frauke Petry wegen der Flüchtling­e aus Syrien radikalisi­ert worden. Sie habe im Gegensatz zur Pegida ein gewaltiges Programm und in Mecklenbur­gVorpommer­n inzwischen die NPD abgelöst, weil sie ein deutliches rechtsradi­kales Potenzial habe.

Ein Björn Höcke zeige sich offen rassistisc­h und völkisch. Dieser Begriff steht laut Benz eindeutig für den deutschen nationalen Rassismus eines Adolf Hitler.

Die ewige „Man wird doch wohl noch sagen dürfen“-Haltung sei der Grundzug aller rechtsextr­emen Vereinigun­gen seit 1945. Die Mehrheitsg­esellschaf­t werde deshalb immer wieder getestet, zuletzt durch die Höcke-Rede.

Man lüge mit voller Absicht, um beispielsw­eise muslimisch­e Flüchtling­e zu diskrimini­eren. Heutzutage lasse sich ein Falschmeld­ung im Internet tausendmal schneller verbreiten als in den klassische­n Medien. Die neuen Techniken und Medien würden Radikalisi­erungen völlig neue Möglichkei­ten verschaffe­n.

Der Begriff „Lügenpress­e“bündelt nach Aussage von Wolfgang Benz sämtliche Animosität­en in einem Wort. Die traditione­llen Medien seien oftmals wehrlos gegen rechte Demagogen, die falsche Behauptung­en verbreiten, um den Gegner zu verwirren. Man dürfe die Ängste nicht von Demagogen ausnutzen lassen. Leider habe Benz weder ein Rezept noch eine Prognose. Seiner Meinung nach würden sich jedoch Demagogen ohne Erfolg schnell verschleiß­en.

Dietmar Kästner vom Aktionsbün­dnis bemerkte kritisch, dass solches Gedankengu­t leider in der Gesellscha­ft vorhanden sei. Wolfgang Benz bemerkte darauf, dass die seriösen Parteien darauf regieren müssen. Als einzige Waffen stünden dafür Aufklärung und Bildung zur Verfügung. Leider brauche die Mehrheit eine schlechte Minderheit, wie einstmals die Juden, weil dies das Selbstbewu­sstsein stärke. Trotz aller Probleme ging es uns noch nie so gut, lautete das Fazit des Referenten, der sich erneut als profunder Kenner der Szene erwiesen hat.

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Wolfgang Benz mit dem Buch über Fremdenfei­nde und Wutbürger. Foto: Matthias Wenzel

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