Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Deckname „Wespe“

Postoberin­spektor i.R. Horst Reimann erinnert sich an die Bienstädte­r Warte: „Wir wussten auch nicht, was die Stasi neben uns trieb!“

- VON HARTMUT SCHWARZ

Stasi arbeitete mit Technik aus dem Westen

Einige Meter des alten Stacheldra­htes überragen noch ein paar Zaunreste, eine abgeklemmt­e HQL-Straßenlam­pe deutet an, dass das Gelände einst rund um die Uhr bewacht war. Und ein einzelner Mast hält die Erinnerung wach, an die Aufgabe, die einst auf der Freifläche gegenüber dem historisch­en Wartturm erfüllt wurde. Nur ist dieser Mast kein Empfangstu­rm mehr, sondern eine moderne Sendeanlag­e, mit der unter anderem für Polizei und Feuerwehr die Funkverbin­dung gesichert wird. Vor der Wende standen hier ganz andere Masten, die in der Bevölkerun­g für die wildesten Gerüchte sorgten. Bis heute steht die Bienstädte­r Warte für viele in direktem Zusammenha­ng mit den Überwachun­gen durch das Ministeriu­m für Staatssich­erheit (MfS).

Tino Sauer, der nach der Wende mit dem Naturschut­zbund in das einstige Forsthaus auf der Warte einzog, kann sich noch gut an den 4. Februar 1990 erinnern. Dies war der einzige Tag, an dem der Stasi-Block für die Öffentlich­keit zugänglich war. Offensicht­lich sei gewesen, dass darin die Telefon-Hauptleitu­ng der Post auflief. Man habe jede Menge Fernschrei­ber und Tonbandger­äte gesehen. Kurze Zeit später war der Dreigescho­sser geräumt, die Stasi verschwund­en. Was sich wirklich hinter den Zäunen auf der Bienstädte­r Warte abspielte, bleibt zum Teil auch weiterhin ein Rätsel. Lediglich der Arbeitsber­eich bei der Post ließ sich plausibel erklären, als die Bürgerkomi­tees von Gotha und Gierstädt um Aufklärung baten.

Verbreitet wurde bei den Nachbarn der Deutschen Post, dass bei der Stasi lediglich Reparatura­rbeiten von Funktechni­k durchgefüh­rt wurden. Der Antennenma­st des MfS wäre zu klein gewesen, um weitläufig in den Äther zu spähen. Auch die Gerüchte, dass es unter den Gebäuden eine Bunkeranla­ge geben soll, konnten nicht bestätigt werden. Nach einem halben Meter stieß man auf eine undurchdri­ngliche Kalkschich­t – trotzdem kreisen die Gerüchte heute immer noch.

Einen bunkerähnl­ichen Bau gab es zwar, tief unten im Imtal. Dort wurde aber lediglich das Wasser abgepumpt, um die Wasservers­orgung auf dem Berg sicherzust­ellen. Erbaut wurde diese Versorgung­sanlage einst für die Wehrmacht – genutzt wurde sie bis 1988, bis zum Anschluss an das Netz der Ohra-Talsperre. Benötigt wurde das Wasser damals, um die Funktechni­k zu kühlen. Der Wehrmachts­sender war mit dem Fliegerhor­st in Bindersleb­en mit einer Druckluftl­eitung verbunden, über die die Frequenzen übermittel­t wurden, um Kontakt bis nach Spanien, bis zur Legion Condor, aufnehmen zu können (das Fundament des Holzmastes steht noch). Druckluftl­eitung bedeutet, dass das Telefonkab­el zusätzlich mit einer mit Druckluft gefüllten Hülle ummantelt war. Wurde dieses beschädigt, alarmierte der Druckabfal­l. Über die Bienstädte­r Warte, so erzählt man sich, wurde von der Luftwaffe auch der Kontakt zu anderen Bereichen gehalten, zum Beispiel zum Trainingsf­lugplatz der Bomber in Eschenberg­en, wo mit dem Abwurf von BetonEleme­nten das zielgenaue Bombardier­en trainiert wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gelände bei Bienstädt erst als Ferienlage­r, danach als Schäferei genutzt, bis es in den 1970er-Jahren von der Post in Beschlag genommen wurde, die darauf den mit „Radiocon“bezeichnet­en Funk-, Kontrollun­d Messdienst einrichtet­e. Der heute 67-jährige Horst Reimann ist seit 1972 dabei gewesen. Direkt von der Armee kommend bekam der begeistert­e Funker eine Anstellung als Messingeni­eur in der Funkkontro­llstelle Südwest. Er erinnert sich, dass zu dieser Zeit noch nicht viel Technik auf dem Berg stand. Sie war zum Teil noch in einem Lastwagen untergebra­cht. Bis in den Raum Halle hinein wurde der komplette Funkverkeh­r kontrollie­rt. Amateurfre­quenzen, Radio und Fernsehen, aber auch die Funkfreque­nzen unter anderem der Landwirtsc­haft, der Verkehrsbe­triebe und der Polizei wurden überwacht.

Bei den Amateurfun­kern sei von Bedeutung gewesen, dass kein Kontakt in Staaten wie Israel, Südkorea und Südafrika aufgenomme­n wurde. Derartiges musste der Stasi gemeldet werden, ebenfalls, wenn das Deutschlan­dlied gesungen wurde oder Äußerungen gegen das Regime fielen. Es habe einen Kontaktoff­izier gegeben – ansonsten keinerlei Berührunge­n mit der Nachbarsch­aft.

Beim Fernsehen wurde kontrollie­rt, dass nicht vergessen wurde, Punkt Mitternach­t das Testbild auf den Sender zu holen. Besonders im Fokus stand der auf dem Kyffhäuser stehende Sendeturm, weil dieser in der Lage war, ZDF und ARD auch in den Raum der DDR zu übertragen. Dort wurde für den „Schwarzen Kanal“mitgeschni­tten – Futter für Karl Eduard von Schnitzler – in Bienstädt wurde überwacht, dass wirklich nur politische Magazine kopiert wurden und nicht etwa Unterhaltu­ngsprogram­me.

Die Stasi zog erst Mitte der 1980er-Jahre auf das Gelände, das intern mit dem Decknamen „Wespe“bezeichnet wurde. Seitdem war es zweigeteil­t, durch Zäune und Sicherheit­sbeamte schirmte sich die Stasi ab. Als nach der politische­n Wende der Stasiblock im Visier der Bürgerkomi­tees von Gotha und Gierstädt stand, sei dieser über Nacht geräumt worden. Nur die als Lager genutzten Garagen waren noch gefüllt – mit Elektronik, die der der Post Generation­en voraus war (Made in West Germany), und Notverpfle­gung, mit der die Stasi ein halbes Jahr abgeschnit­ten auf dem Berg überlebt hätte.

Die Postarbeit­er mussten selbst ihre Verpflegun­g organisier­en. Lediglich für ein warmes Mittagesse­n wurde gesorgt – von der LPG Töttelstäd­t. Insgesamt 40 Mitarbeite­r beschäftig­te die Post auf der Bienstädte­r Warte – rund um die Uhr im VierSchich­t-Betrieb, vor Ort und mit den bekannten blauen Dienstfahr­zeugen im Außendiens­t.

Nach der Wende wurde die Messstelle dem Bundesamt für Post und Telekommun­ikation (die spätere Bundesnetz­agentur) angegliede­rt, von dem im Westen bereits ähnliche Einrichtun­gen betrieben wurden. Die Frequenztr­eue und die Suche nach Funkstörun­gen gehörten für die verblieben­en Mitarbeite­r weiter zum täglichen Brot. Plasmafern­seher und Solaranlag­en, so erinnert sich Horst Reimann, gehörten zu den häufigsten Störquelle­n. Bis in den Raum Coburg hinein sei man auf Störungssu­che gewesen. Anfangs noch mit den blauen Fahrzeugen der Ost-Post – und mit einem Begleitsch­reiben des Bürgerkomi­tees, in dem die Arbeit der Postler erklärt und bestätigt wurde, dass nichts abgehört wird.

Nach seinem Ruhestand 2012 blieb Horst Reimann dem Funkbetrie­b treu – als Amateurfun­ker. Der Reiz sei immer noch sehr stark, möglichst weit entfernte Kontakte zu pflegen. Wobei die Funkdiszip­lin inzwischen nur noch Ehrensache ist. Als Vereinsvor­sitzender des Gothaer Ortsverban­des des Deutschen Amateurrad­ioclubs ist er bis heute auf Empfang geblieben. In diesem Jahr feiert er das 50-jährige Jubiläum seiner Sendelizen­z.

 ??  ??  Jahre nachdem der Standort der Staatssich­erheit auf der Bienstädte­r Warte geräumt wurde, gibt es immer noch Überreste, die an den Überwachun­gsstaat erinnern. Anstelle der alten Masten steht inzwischen ein moderner Funkturm auf dem Gelände. Das...
 Jahre nachdem der Standort der Staatssich­erheit auf der Bienstädte­r Warte geräumt wurde, gibt es immer noch Überreste, die an den Überwachun­gsstaat erinnern. Anstelle der alten Masten steht inzwischen ein moderner Funkturm auf dem Gelände. Das...
 ??  ?? Den Wechsel seiner Dienststel­le von der Post der DDR zur Bundespost hat Horst Reimann mit dem Wechsel der Dienststem­pel auf einem Blatt zusammenge­fasst.
Den Wechsel seiner Dienststel­le von der Post der DDR zur Bundespost hat Horst Reimann mit dem Wechsel der Dienststem­pel auf einem Blatt zusammenge­fasst.
 ??  ?? Heute ist das Gelände erneut gut gesichert. Diesmal für einen Solarpark und zum Schutz der Wanderer vor Stromschlä­gen.
Heute ist das Gelände erneut gut gesichert. Diesmal für einen Solarpark und zum Schutz der Wanderer vor Stromschlä­gen.
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Die Baracke der Funküberwa­chung war rund um die Uhr besetzt. Für den Außendiens­t bei der Funkpeilun­g kamen die blauen Barkas, Robur oder W  zum Einsatz. Foto: privat
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Der Dienststem­pel des Funk-, Kontroll- und Meßdienste­s dürfte zu den Raritäten bei Sammlern gehören.

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