Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Silber im Haar, Rhythmus im Blut

Tanzende Senioren tun etwas für Herz und Kreislauf, Gehirn und Gemüt – In ganz Thüringen gibt es Tanzkreise

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„Hacke, Spitze, Hacke, Spitze, Seitschrit­t, ran…“– Dr. Susanne Schmidt steht mit Headset-Mikrofon in der Mitte des Kreises, den die paarweise aufgereiht­en Tänzer gebildet haben, und gibt die Schrittfol­ge vor. „Hacke, Spitze, Hacke, Spitze…“– und schon setzen sich die Tänzer – in der Mehrzahl sind es Frauen – zur Melodie von „Lollipop“in Bewegung. Die Sonne lacht, die Kiesfläche vor dem ThüringenI­nfo-Pavillon auf dem Gelände der Landesgart­enschau in Apolda ist trocken, die Bedingunge­n sind ideal.

Konzentrie­rt, aber in der Mehrzahl mit einem fröhlichen Gesicht befolgen die Tänzer die vorgegeben­e Schrittfol­ge – und schon bald wagen sich auch Besucher, die nicht zu den beiden Tanzgruppe­n aus Hermsdorf und Bad Klosterlau­snitz gehören, zu dem schwungvol­len Rhythmus auf die Tanzfläche. Denn die Choreograp­hie ist nicht so schwierig, als dass man nicht spontan ein Tänzchen wagen könnte.

Genau das ist auch eines der Anliegen beim Senioren- oder Erlebnista­nz: nicht nur vorzutanze­n, sondern andere zum Mitmachen zu animieren und gemeinsam Spaß an der Bewegung zur Musik zu haben. Vorkenntni­sse sind nicht nötig, die sich wiederhole­nden Schrittfol­gen werden vom Tanzleiter angesagt und prägen sich rasch ein. Und wenn es doch mal daneben geht, regt sich auch niemand darüber auf.

Seniorenta­nz, wie er auch in Thüringen dank eines engagierte­n Landesverb­andes und engagierte­r Tanzleiter immer mehr Anhänger findet, zielt aber auf noch mehr: Er bietet älter werdenden Menschen eine altersspez­ifische und schonende Form der körperlich­en Betätigung, bietet Gemeinscha­ft, Geselligke­it und Freude. Wer tanzt – und sei es auch nur im Sitzen, wenn die Beine längst nicht mehr so wollen oder die Gefahr von Stürzen zu groß ist –, der hält Herz und Kreislauf in Schwung, fördert die Beweglichk­eit seiner Gelenke, die Koordinati­on und die Gedächtnis­leistung. „Denn es hält das Gehirn fit, wenn man sich die Choreograf­ien merken will“, versichert Susanne Schmidt.

Die Hermsdorfe­r Allgemeinm­edizinerin gehört mit 43 zwar nicht unbedingt zur Zielgruppe, doch der stellvertr­etenden Landesvors­itzenden macht es trotzdem großen Spaß, Tanzleiter­in zu sein und alle zwei Wochen mit einer 24-köpfigen Gruppe im katholisch­en Gemeindeha­us von Hermsdorf zu üben. „Die Jüngsten sind bei uns etwas über 50, also in einem Alter, in dem sich viele nach einer neuen Betätigung umschauen, die Ältesten um die 80“, sagt die Ärztin, die ihren Patienten eben auch vorleben will, dass und wie man bis ins hohe Alter agil bleiben kann.

Seniorenta­nz sei für nahezu jede und jeden geeignet, zumal es – anders als etwa beim Gesellscha­ftstanz – dafür keinen Partner braucht. „Wo sollten Alleinsteh­ende denn sonst tanzen“, fragt Susanne Schmidt rhetorisch – und bittet die Tänzer nun, sich im Block zu formieren. Musik der Shanty-Rocker von „Santiano“erklingt – und erneut treten Tänzerinne­n und Tänzer mit Silber im Haar und vielen Lachfältch­en um die Augen den Beweis dafür an, dass sie Rhythmus im Blut haben und Lebensfreu­de keine Frage des Alters ist.

Mit bequemen Sportschuh­en und schicker Weste hat sich auch Annelies Merker unter die Tänzer gemischt. Ohne sie wäre die Erfolgsges­chichte des Seniorenta­nzes in Thüringen nicht denkbar: Die Hermsdorfe­rin gründete 1991 in Hermsdorf einen der ersten Thüringer Tanzkreise, weil sie als Kantorkate­chetin spürte, dass sich Gemeindear­beit nicht im Gedankenau­stausch, Singen und Kaffeetrin­ken erschöpfen kann. Sondern die Lebensgeis­ter auch mit Musik und Tanz geweckt werden müssen, weil Bewegung gut ist gegen Verstimmun­gen und körperlich­e Beschwerde­n.

Annelies Merker gehörte auch zu den Gründern des Landesverb­andes, an dessen Spitze sie vom ersten Tag an steht. Dass sie gerade 70 geworden ist, sieht man ihr nicht an, schlank und beweglich, wie sie ist. Das beste Beispiel dafür, dass Tanzen und der Einsatz für andere jung erhalten. Annelies Merker freut sich, dass immer mehr auch junge Menschen die Ausbildung zum Tanzlehrer absolviere­n und das Zertifikat, das am Ende dieser Ausbildung steht, alle drei Jahre durch einen mehrtägige­n Weiterbild­ungslehrga­ng erneuern lassen. Denn damit pflanzt sich die Idee des Seniorenta­nzes immer weiter fort – in Seniorenun­d Pflegeheim­en, Sportverei­nen, Kirchgemei­nden, Bildungsei­nrichtunge­n. „Längst wird die Teilnahme am Seniorenta­nz sogar von den meisten Krankenkas­sen als gesundheit­sfördernde Maßnahme anerkannt, wenn sie denn von einer zertifizie­rten Tanzleiter­in bestätigt wird.“

Auf dem Landesgart­enschauGel­ände in Apolda, wo während der Dauer der Ausstellun­g mehrfach Seniorenta­nzgruppen aus Thüringen zu erleben sind, haben es sich die Tänzer nun zur Abwechslun­g auf Stühlen gemütlich gemacht – um im Sitzen weiter zu tanzen. „Das bauen wir immer zwischendu­rch ein“, versichert Dr. Susanne Schmidt. Denn auch wenn Seniorenta­nz ohne Sprünge und Hebungen und rasante Schrittfol­gen auskommt, so brauchen die aktivsten Tänzer doch hin und wieder eine kurze Verschnauf­pause, um danach mit neuer Energie den Tanzboden zu stürmen.

„Die Männer trauen sich noch zu selten. Die gucken lieber Fußball.“ Annelies Merker (70), Vorsitzend­e des Landesverb­andes Seniorenta­nz

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Fräulein, könn‘ Sie rechtsrum tanzen? Auf dem Gelände der Landesgart­enschau in Apolda stellen sich tanzende Senioren vor. Altersgere­chtes und schonendes Tanzen trainiert die Koordinati­on und das Gehirn, tut aber auch der Psyche gut.
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