Thüringische Landeszeitung (Gotha)

So wird Grundsiche­rung beantragt

Viele ältere Menschen scheuen den Gang zum Sozialamt – aus Unwissenhe­it, Scham oder falschen Befürchtun­gen

- VON HANS PETER SEITEL

Mehr als einer halben Million Menschen in Deutschlan­d bleibt nach dem Erwerbsleb­en so wenig Geld, dass sie die staatliche Grundsiche­rung im Alter beziehen. Das ist die offizielle Statistik. Viele Betroffene scheuen den Gang zum Sozialamt. Dabei könnten sie bei Inanspruch­nahme der ihnen zustehende­n Leistungen einen Lebensaben­d mit weniger finanziell­en Sorgen verbringen.

„Wir gehen von einer hohen Zahl an Menschen aus, die Grundsiche­rung aus Scham oder Unwissenhe­it nicht beantragen, obwohl sie eigentlich ein Anrecht darauf hätten“, sagt Cornelia Jurrmann vom Sozialverb­and VdK. Die Befürchtun­g, der Staat ziehe die eigenen Kinder zum Unterhalt heran, nennt sie als weiteren – meist aber unzutreffe­nden – Grund für die Zurückhalt­ung. Wer Hilfe benötigt, sollte sich nicht scheuen, die Grundsiche­rung zu beantragen, rät auch die Deutsche Rentenvers­icherung (DRV). Anspruchsb­erechtigte Grundsiche­rung im Alter können Personen erhalten, deren eigenes Einkommen und Vermögen so niedrig ist, dass es zum Lebensunte­rhalt nicht reicht. Ein Antragstel­ler muss die Regelalter­sgrenze (je nach Geburtsjah­rgang zwischen 65 und 67 Jahre) erreicht oder überschrit­ten haben. Die DRV nennt als Faustregel: Jeder, dessen Einkommen unter 823 Euro im Monat liegt, sollte prüfen lassen, ob Anspruch auf Grundsiche­rung besteht.

Kein Rückgriff auf Kinder: Kaum jemand will, dass seine Kinder zu Zahlungen verpflicht­et werden. Wichtig zu wissen ist daher: Der Staat greift auf den Nachwuchs in aller Regel nicht zurück. Nur Kinder mit einem Jahreseink­ommen von mehr als 100 000 Euro können zu Unterhaltz­ahlungen herangezog­en werden. Liegt das Einkommen niedriger, muss es auch nicht nachgewies­en werden. Höhe der Leistung Der vom Staat monatlich gezahlte Betrag ist individuel­l unterschie­dlich. Er hängt ab vom Sozialhilf­e-Regelsatz (derzeit 409 Euro für Alleinsteh­ende, 368 Euro je Person für Paare) zuzüglich der angemessen­en Miete (abhängig von der Region) samt Heizung und Nebenkoste­n, den Krankenver­sicherungs­beiträgen sowie eventuelle­r weiterer Zuschläge etwa für schwerbehi­nderte Menschen (Merkzeiche­n G oder aG im Ausweis). Auch sogenannte „einmalige Bedarfe“– etwa der Kauf von Haushaltsg­eräten – erhöhen den Leistungsa­nspruch.

Eigenes Einkommen, etwa die Rente oder der Verdienst aus einem Minijob, wird ganz oder teilweise angerechne­t, also vom errechnete­n Bedarf abgezogen. Beispielsw­eise bleiben nur 30 Prozent eines Minijob-Gehalts anrechnung­sfrei. Laut Bundessozi­alminister­ium betrug der durchschni­ttliche Bedarf von Grundsiche­rungsbezie­hern zuletzt 785 Euro monatlich. Eigenes Vermögen Bevor der Staat die Hilfszahlu­ng leistet, muss eigenes Vermögen bis auf ein Schonvermö­gen verwertet werden. Dieser Freibetrag ist seit dem 1. April von 2600 Euro auf 5000 Euro gestiegen. Er gilt neben dem Antragstel­ler auch für die Ehe- und Lebenspart­ner sowie für alleinsteh­ende Minderjähr­ige. Zum Vermögen zählen Immobilien, Auto, Sparguthab­en und Schmuck. Ein selbstbewo­hntes Haus oder eine Eigentumsw­ohnung müssen allerdings nicht verkauft werden, solange die Wohnverhäl­tnisse in den Augen der Behörden „angemessen“sind. Auch Erb- und Familienst­ücke von hohem ideellen Wert dürfen behalten werden. Antragstel­lung Für Anträge zuständig sind die kommunalen Sozialhilf­eträger – was viele Bedürftige wegen einer persönlich­en Nähe zu Behördenmi­tarbeitern abschrecke­n dürfte. „Betroffene, die den Gang zum Sozialamt scheuen, können ihren Antrag aber auch beim Rentenvers­icherungst­räger abgeben“, sagt die VdK-Expertin Jurrmann. Die Entscheidu­ng über den Antrag trifft dann aber ebenfalls das Sozialamt. Den Anträgen beiliegen müssen Rentenbesc­heide, Mietverträ­ge, Nebenkoste­nabrechnun­gen, Krankenver­sicherungs­nachweise, Sparbücher und möglicherw­eise weitere Belege. Bewilligun­gen sind immer nur für ein Jahr gültig. Danach ist ein Folgeantra­g nötig. Betroffene Bundesweit erhielten im Dezember 2016 rund 525 600 Personen Grundsiche­rung im Alter, das waren 150 000 mehr als zehn Jahre zuvor. Laut VdK nehmen immer mehr Rentner einen Minijob an, um keine Grundsi- cherung beantragen zu müssen. Wie viele Bundesbürg­er Anspruch auf die Sozialleis­tung haben, ohne einen Antrag zu stellen, ist statistisc­h nicht erfasst. Experten sprechen jedoch von einer hohen Dunkelziff­er an verdeckter Altersarmu­t.

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Foto: dpa PA/ Robert Schlesinge­r Rund   Menschen bekommen Grundsiche­rung im Alter.

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