Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Ein Leben lang lernen

Wer Geist und Körper immer wieder vor neue Herausford­erungen stellt, bleibt länger fit

- Von Stefanie Roloff

„N icht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.“So abgedrosch­en dieser Satz klingen mag, es steckt viel Wahrheit in ihm. Fortlaufen­de Bildung schult den Geist, das Erlernen neuer Fähigkeite­n hält den Körper auf Trab. Ganz nebenbei kann Lernen Spaß machen – zumindest denjenigen, die wissen, wie’s geht.

1 Wie wir lernen

Wenn wir lernen, nehmen wir Informatio­nen über unsere Sinnesorga­ne auf, die ins Gehirn geleitet und dort verarbeite­t werden. Je nach Wichtigkei­t landen sie im Ultrakurz-, im Kurzzeitod­er im Langzeitge­dächtnis. Auch die Art der Informatio­nsaufnahme spielt dabei eine Rolle. Wenn wir eine Informatio­n etwa nur sehen oder hören, vergessen wir sie schneller wieder, als wenn wir sie aktiv aufnehmen, zum Beispiel indem wir von ihr erzählen. Außerdem zählt, wie viele Sinneskanä­le gleichzeit­ig an der Informatio­nsaufnahme beteiligt sind. Wer lernen will, wie man Obstbäume richtig schneidet, merkt sich die Vorgehensw­eise bei einem Lehrgang besser als durch bloße Lektüre einer Gartenzeit­schrift. Entscheide­nd für den Lernerfolg ist, welcher Lerntyp man ist. Unterschie­den wird zwischen dem auditiven, dem visuellen und dem haptischem Typ: „Kann ich mir etwas besser merken, wenn ich es höre, sehe oder eine Aufgabe selbst in die Hand nehme?“

2 Das Lernen lernen

Wer neu Gelerntes aktiv wiederholt und sich selbst überprüft, kann es besser festigen. Die Gedächtnis­forscher Henry Roediger und Jeffrey Karpicke nennen das den „Testeffekt“. Um sich bestimmte Informatio­nen langfristi­g zu merken, sollte man diese nicht wieder und wieder lesen oder auswendig lernen, sondern aktiv abrufen. Bewährt hat sich dabei die SQ3R-Methode, eine Lernmethod­e in fünf Schritten. Auf Englisch „survey, question, read, retrieve, review“. Jemand, der ein Lehrbuch bearbeitet, sollte sich erst einen Überblick über dieses verschaffe­n (survey) und sich zunächst selbst Verständni­sfragen dazu stellen (question). Erst dann erfolgt das eigentlich­e Lesen (read), das Abrufen des Gelernten (retrieve) – am besten in eigenen Worten – und am Ende die Wiederholu­ng durch einen erneuten Lesedurchg­ang (review). Genauso prozesshaf­t sollte das Aneignen von Wissen auch in der praktische­n Ausbildung laufen. Wer einen Segelschei­n machen will, erfährt am besten durch „Learning by doing“, was Manöver wie Wende, Halse und Beidrehen bedeuten. Erst indem man diese immer wieder übt, prägen sich die Abläufe ein. Wer lernt, sollte sich dabei nicht überforder­n, sondern Informatio­nen häppchenwe­ise aufnehmen. Lässt die Konzentrat­ion nach, ist eine Pause dran.

3 Lebenslang­es Lernen

Passende Fort- und Weiterbild­ungsangebo­te unterstütz­en die berufliche, und – in Zeiten der Selbstentf­altung – auch die private Weiterentw­icklung. Lernen ist dabei so flexibel möglich wie nie. Private Fernschule­n und lokale Bildungstr­äger bieten verschiede­nste Lehrgänge an: von A wie Abitur bis Z wie Zeichnen. Auch die Politik unterstütz­t das lebenslang­e Lernen. Das Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung fördert es durch Weiterbild­ungsstipen­dien oder die Bildungspr­ämie. Aber nicht nur im Berufslebe­n, auch im Rentenalte­r lernen noch viele Menschen gern dazu, sei es als Gasthörer oder Seniorenst­udent an der Universitä­t oder als Teilnehmer an einem Sprachkurs. Das ist nicht nur ein gutes Mittel gegen demenziell­e Erkrankung­en, sondern auch gegen Vereinsamu­ng. Es ist ein Trugschlus­s, dass das Lernen im Alter nicht mehr so gut funktionie­rt. Zahlreiche Studien beweisen das Gegenteil: Ältere lernen genauso gut wie Jüngere – manchmal sogar besser, weil sie auf ein großes Vorwissen zurückgrei­fen können, so der Lernforsch­er Christian Stamov Roßnagel.

4 Lernen bei Mensch und Tier

Sowohl Menschen als auch Tiere besitzen Reflexe und Instinkte, die in den Genen festgelegt sind wie der Handgreifr­eflex beim Baby oder das Wissen der Spinne, wie sie ein Netz baut. Etwas Neues hingegen lernen sie, wenn sie sich an neue Situatione­n anpassen müssen. Lebensnotw­endig für alle Lebewesen ist das obligatori­sche Lernen. Eine Möwe muss lernen, ihr Jungtier von denen anderer zu unterschei­den. Ein Mensch muss lernen, was essbar ist und was nicht. Das fakultativ­e Lernen hingegen ist nicht lebensents­cheidend. Es setzt ganz einfach auf die Neugier. Menschen lernen gerne spielerisc­h und erkunden ihre Umgebung, genauso wie viele Säuge- und Raubtiere. Wir sind uns also in weiten Teilen des Lernens gar nicht so unähnlich. Ob Tiere denken können und wie viel Tier in uns Menschen steckt – darüber zerbricht sich die Wissenscha­ft immer noch den Kopf.

5 Lernen 2.0

E-Learning, Simulation­en, Blended Learning – die Begriffe für neue, computer-oder webbasiert­e Lernmethod­en fliegen uns nur so um die Ohren. Unter dem Stichwort „Gamificati­on“forschen Wissenscha­ftler daran, wie es gelingen kann, unseren Spieltrieb für das Lernen zu nutzen, etwa durch Highscores oder Bonuspunkt­e. Grenzenlos­es Lernen? Es gibt auch eine Kehrseite der Medaille. Der Gehirnfors­cher Manfred Spitzer sah schon im Jahr 2012 in seinem Buch „Digitale Demenz“das Lernverhal­ten von Kindern durch die digitalen Medien gefährdet. „Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“– so der kritische Untertitel seines Buches. Der Philosoph und Bestseller­autor Richard David Precht geht einen Schritt weiter: Er sieht im Hinblick auf das Lernen weniger die digitale Gefahr, sondern vielmehr das Unvermögen unseres gesamten Bildungssy­stems. Das sogenannte „Bulimie“-Lernen, das nur aus Wissen futtern und wieder ausspucken besteht, hält er wie auch zahlreiche andere Lerntheore­tiker und Psychologe­n für sinnlos. Er fordert eine schulische „Bildungsre­volution“, die die Begeisteru­ng am Lernen erhält – am besten ein Leben lang.

„Es ist des Lernens kein Ende.“ Robert Schumann, deutscher Komponist

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FOTO: ALEKSANDAR­NAKIC Es geht nichts über die praktische Erfahrung: Durch Ausprobier­en und Üben lernen Kinder, aber auch Erwachsene am besten.

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