Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Ein Leben lang lernen
Wer Geist und Körper immer wieder vor neue Herausforderungen stellt, bleibt länger fit
„N icht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.“So abgedroschen dieser Satz klingen mag, es steckt viel Wahrheit in ihm. Fortlaufende Bildung schult den Geist, das Erlernen neuer Fähigkeiten hält den Körper auf Trab. Ganz nebenbei kann Lernen Spaß machen – zumindest denjenigen, die wissen, wie’s geht.
1 Wie wir lernen
Wenn wir lernen, nehmen wir Informationen über unsere Sinnesorgane auf, die ins Gehirn geleitet und dort verarbeitet werden. Je nach Wichtigkeit landen sie im Ultrakurz-, im Kurzzeitoder im Langzeitgedächtnis. Auch die Art der Informationsaufnahme spielt dabei eine Rolle. Wenn wir eine Information etwa nur sehen oder hören, vergessen wir sie schneller wieder, als wenn wir sie aktiv aufnehmen, zum Beispiel indem wir von ihr erzählen. Außerdem zählt, wie viele Sinneskanäle gleichzeitig an der Informationsaufnahme beteiligt sind. Wer lernen will, wie man Obstbäume richtig schneidet, merkt sich die Vorgehensweise bei einem Lehrgang besser als durch bloße Lektüre einer Gartenzeitschrift. Entscheidend für den Lernerfolg ist, welcher Lerntyp man ist. Unterschieden wird zwischen dem auditiven, dem visuellen und dem haptischem Typ: „Kann ich mir etwas besser merken, wenn ich es höre, sehe oder eine Aufgabe selbst in die Hand nehme?“
2 Das Lernen lernen
Wer neu Gelerntes aktiv wiederholt und sich selbst überprüft, kann es besser festigen. Die Gedächtnisforscher Henry Roediger und Jeffrey Karpicke nennen das den „Testeffekt“. Um sich bestimmte Informationen langfristig zu merken, sollte man diese nicht wieder und wieder lesen oder auswendig lernen, sondern aktiv abrufen. Bewährt hat sich dabei die SQ3R-Methode, eine Lernmethode in fünf Schritten. Auf Englisch „survey, question, read, retrieve, review“. Jemand, der ein Lehrbuch bearbeitet, sollte sich erst einen Überblick über dieses verschaffen (survey) und sich zunächst selbst Verständnisfragen dazu stellen (question). Erst dann erfolgt das eigentliche Lesen (read), das Abrufen des Gelernten (retrieve) – am besten in eigenen Worten – und am Ende die Wiederholung durch einen erneuten Lesedurchgang (review). Genauso prozesshaft sollte das Aneignen von Wissen auch in der praktischen Ausbildung laufen. Wer einen Segelschein machen will, erfährt am besten durch „Learning by doing“, was Manöver wie Wende, Halse und Beidrehen bedeuten. Erst indem man diese immer wieder übt, prägen sich die Abläufe ein. Wer lernt, sollte sich dabei nicht überfordern, sondern Informationen häppchenweise aufnehmen. Lässt die Konzentration nach, ist eine Pause dran.
3 Lebenslanges Lernen
Passende Fort- und Weiterbildungsangebote unterstützen die berufliche, und – in Zeiten der Selbstentfaltung – auch die private Weiterentwicklung. Lernen ist dabei so flexibel möglich wie nie. Private Fernschulen und lokale Bildungsträger bieten verschiedenste Lehrgänge an: von A wie Abitur bis Z wie Zeichnen. Auch die Politik unterstützt das lebenslange Lernen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert es durch Weiterbildungsstipendien oder die Bildungsprämie. Aber nicht nur im Berufsleben, auch im Rentenalter lernen noch viele Menschen gern dazu, sei es als Gasthörer oder Seniorenstudent an der Universität oder als Teilnehmer an einem Sprachkurs. Das ist nicht nur ein gutes Mittel gegen demenzielle Erkrankungen, sondern auch gegen Vereinsamung. Es ist ein Trugschluss, dass das Lernen im Alter nicht mehr so gut funktioniert. Zahlreiche Studien beweisen das Gegenteil: Ältere lernen genauso gut wie Jüngere – manchmal sogar besser, weil sie auf ein großes Vorwissen zurückgreifen können, so der Lernforscher Christian Stamov Roßnagel.
4 Lernen bei Mensch und Tier
Sowohl Menschen als auch Tiere besitzen Reflexe und Instinkte, die in den Genen festgelegt sind wie der Handgreifreflex beim Baby oder das Wissen der Spinne, wie sie ein Netz baut. Etwas Neues hingegen lernen sie, wenn sie sich an neue Situationen anpassen müssen. Lebensnotwendig für alle Lebewesen ist das obligatorische Lernen. Eine Möwe muss lernen, ihr Jungtier von denen anderer zu unterscheiden. Ein Mensch muss lernen, was essbar ist und was nicht. Das fakultative Lernen hingegen ist nicht lebensentscheidend. Es setzt ganz einfach auf die Neugier. Menschen lernen gerne spielerisch und erkunden ihre Umgebung, genauso wie viele Säuge- und Raubtiere. Wir sind uns also in weiten Teilen des Lernens gar nicht so unähnlich. Ob Tiere denken können und wie viel Tier in uns Menschen steckt – darüber zerbricht sich die Wissenschaft immer noch den Kopf.
5 Lernen 2.0
E-Learning, Simulationen, Blended Learning – die Begriffe für neue, computer-oder webbasierte Lernmethoden fliegen uns nur so um die Ohren. Unter dem Stichwort „Gamification“forschen Wissenschaftler daran, wie es gelingen kann, unseren Spieltrieb für das Lernen zu nutzen, etwa durch Highscores oder Bonuspunkte. Grenzenloses Lernen? Es gibt auch eine Kehrseite der Medaille. Der Gehirnforscher Manfred Spitzer sah schon im Jahr 2012 in seinem Buch „Digitale Demenz“das Lernverhalten von Kindern durch die digitalen Medien gefährdet. „Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“– so der kritische Untertitel seines Buches. Der Philosoph und Bestsellerautor Richard David Precht geht einen Schritt weiter: Er sieht im Hinblick auf das Lernen weniger die digitale Gefahr, sondern vielmehr das Unvermögen unseres gesamten Bildungssystems. Das sogenannte „Bulimie“-Lernen, das nur aus Wissen futtern und wieder ausspucken besteht, hält er wie auch zahlreiche andere Lerntheoretiker und Psychologen für sinnlos. Er fordert eine schulische „Bildungsrevolution“, die die Begeisterung am Lernen erhält – am besten ein Leben lang.
„Es ist des Lernens kein Ende.“ Robert Schumann, deutscher Komponist