Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Schöne Scherben
Jeder Riss erzählt eine Geschichte: Die japanische Reparaturtechnik Kintsugi feiert die Schönheit des Unvollkommenen
D ie Katze hat beim Klettern das Regal abgeräumt und jetzt liegt der gute Keramikteller in Scherben. Nun kann man die Stücke zusammenfügen und hoffen, dass es mit ruhiger Hand gelingt, die Bruchstellen so zu kaschieren, dass das Schmuckstück wieder wie neu aussieht. Oder aber man geht einen anderen Weg und setzt den Bruch bewusst in Szene. Schließlich erzählen Risse und Unvollkommenheiten auch eine Geschichte.
In Japan ist vor rund 500 Jahren aus eben diesem Gedanken eine ganz besondere Reparaturtechnik für Keramik entstanden. „Kintsugi“bedeutet übersetzt soviel wie „Goldverbindung“oder „Goldflicken“. Kaputtes Porzellan wird mithilfe des aus dem Harz des ostasiatischen Lackbaums gewonnenen UrushiLacks geklebt. Das Besondere: Dieser bleibt nicht klar und sichtbar, sondern wird mit Goldstaub oder Blattgold überzogen. Wie edel schimmernde Adern durchziehen die Risse so die Keramik und geben ihr ein neues Muster. Hinter „Kintsugi“steckt ein ästhetisches Prinzip, genannt „Wabi Sabi“. Dieses wurde erstmals im 16. Jahrhundert von japanischen Teemeistern formuliert — wenn auch der Gedanke dahinter schon viel älter ist. „Wabi Sabi“ehrt die Dinge, egal wie alt, verschlissen oder vergänglich sie sind. Patina und Imperfektion werden wertgeschätzt und der Makel zum Schmuck erhoben.
Wer sich als Laie einmal am „Kintsugi“-Handwerk versuchen möchte, findet die passenden Zutaten bei deutschen und japanischen Anbietern im Internet oder ersetzt den Urushi-Lack durch Epoxidharz aus dem Baumarkt. Für Geschirr, das nicht nur zur Dekoration bestimmt ist, sollte jedoch echter Urushi-Lack verwendet werden, denn dieser ist lebensmittelsicher.