Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Wo Literaten den Ritterschl­ag erhalten

Thüringer Autorentag­e auf Burg Ranis feiern Jubiläum – Mit prominente­n Gästen, großer Performanc­e und poetischem Papierthea­ter

- VON FRANK QUILITZSCH

Legenden ranken sich um Deutschlan­ds einzige Literaturb­urg im Ostthüring­er Städtchen Ranis. Von einem Nachtessen nach exzessiver Lesung mit hohem Whisky-Konsum geht die Rede. Der unvergesse­ne Harry Rowohlt adelte dort einst die Raniser Sülze. Sein Schriftste­llerkolleg­e Ingo Schulze ritt nach begeistern­dem Auftritt euphorisie­rt von dannen und telegrafie­rte: „Wer auf der Burg Ranis lesen darf, hat den Ritterschl­ag der Literatur erhalten.“

Was für ein Lob aus berufenem Munde! Als 1998 ein paar wackere Recken die Feste für die literarisc­he Zunft eroberten, konnten sie davon nur träumen. Ein gewisser Hans Westerheid­e, Leiter des Bereichs Einkauf der GGP Media Pößneck, ergriff die Initiative; gemeinsam mit dem Thüringer Schriftste­llerverban­d hob er die Raniser Autorentag­e aus der Taufe. „Das Wetter spielte mit, wir hatten viel Publikum, doch die Lesungen konnten zunächst nur im Burghof und in einem Salon mit morbidem Charme stattfinde­n“, erinnert sich der Jenaer Kulturmana­ger Martin Straub.

Am Anfang ging es noch sehr abenteuerl­ich zu

Auch in den Folgejahre­n blieb das Festival ein Abenteuer: Bei Regen flüchtete man mit Jazz und Lyrik in den Burgkeller, wo ein Gebläse für Wärme sorgte. „Wir hatten immer ein Plakat am Tor mit der Aufschrift ,Autorentag­e‘“, erzählt Straub. „Ein Besucher fragte, ob da nicht ein ,n’ fehle. Seine Lesart war ,Autorennta­ge’, weil auf der Burg zuvor Jaguar-Treffen stattgefun­den hatten.“

Doch die Bücherfang­emeinde wuchs rasch, und es stießen wichtige Kooperatio­nspartner hinzu, wie z.B. die Stadtwerke Jena-Pößneck und die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten. Die Literaturt­age hätten letztlich dafür gesorgt, dass die Burg Stück für Stück saniert wurde, so Straub, der alle Festivals mit organisier­t hat und auch bei der Jubiläumsa­usgabe vom 8. bis 11. Juni dabei sein wird. Unter der Führung des Lese-Zeichen e.V. erstrecken sich die Thüringer Literatur- und Autorentag­e heute mit nunmehr rund 40 Veranstalt­ungen über mehrere Wochen und viele Orte vor allem im ländlichen Raum.

Die 20. Auflage zielt mit dem Motto „Die Macht der Worte“auch auf das Reformatio­nsjubiläum ab. So wird es auf der Burg ein Gespräch mit der Schriftste­llerin Thea Dorn und dem Astrophysi­ker und Wissenscha­ftsjournal­isten Harald Lesch zu Luthers „Thesen, die die Welt veränderte­n“geben (8. Juni). Dort tritt auch, um das Jubiläum mitzufeier­n, nach mehrjährig­er schöpferis­cher Pause das Thüringer Literaturq­uintett (TLQ) in der Besetzung Landolf Scherzer, Matthias Biskupek, Martin Straub und Frank Quilitzsch wieder zusammen. Die vier wollen am 10. Juni auch ihres fünften, verstorben­en Mitstreite­rs, des Politikers und Poeten HansJürgen Döring, gedenken.

Die Macht der Worte – und deren Zauber – zieht sich leitmotivi­sch durchs Programm: von Feridun Zaimoglu, der im MDRKulturc­afé aus seinem Roman „Evangelio“liest (10. Juni), über Bruno Preisendör­fer, der zu einer Reise in die Lutherzeit einlädt, bis zu Schauspiel­erin Ursula Karusseit, die ihre Erinnerung­en vorstellt (beide am 11. Juni). Last but not least demonstrie­rt TV-Star Denis Scheck die Macht des Kritikerwo­rts (10. Juni).

Auf zwei Veranstalt­ungen jenseits der Literaturb­urg sei hier gesondert hingewiese­n: Am 27. Mai erinnern im Volkshaus Jena Gabriele Stötzer, Utz Rachowski und Lutz Rathenow an ihre Zeit als DDR-Opposition­elle, und am 31. läuft im Jenaer Café Wagner der Dokumentar­film „Digitale Dissidente­n“über die Macht der Whistleblo­wer.

Poesie des traditione­llen Papierthea­ters

Neben Lesungen finden auch Ausstellun­gen, Konzerte und Theaterauf­führungen statt. „Wir sind stets auf der Suche nach neuen Formaten“, beteuert Programmch­ef Ralf Schönfelde­r. In diesem Jahr ist es das Papierthea­ter, das gleich drei Mal auftritt: als historisch­e Präsentati­on, mit „Joseph und seine Brüder“und dem japanische­n Stück „Das Hokusi-Museum“. Zum zweiten Mal inszeniere­n die Klangkünst­ler Sönke Sofar und Nils Lauterbach ein Live-Hörspiel: diesmal „Alice im Wunderland“. Am 11. Juni startet die Reihe „Ausguck Thüringen“, in der drei einheimisc­he Autoren ihre Neuerschei­nung vorstellen: Kathrin Groß-Striffler, Marius Koity und M. Kruppe.

Apropos Macht der Worte. In dem wenige Wochen vor seinem Tod verfassten Grußwort zitiert Hans-Jürgen Döring den weisen Konfuzius: „Wenn Worte ihre Bedeutung verlieren, verlieren Menschen ihre Freiheit.“

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Foto: Peter Cissek Stolz erhebt sich die Burg über dem Ostthüring­er Städtchen Ranis: Seit  Jahren dient sie den Literatur- und Autorentag­en als romantisch­er Veranstalt­ungsort.
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Beliebt: Dicht gedrängt sitzt das Publikum im Burghof bei den beliebten Open-Air-Lesungen und -Konzerten.
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Fotos (): Veranstalt­er Legendär: Harry Rowohlt ( verstorben) las auf Burg Ranis bei Sülze und Whisky.
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Foto: Hendrik Schmidt Prominent: Die Schauspiel­erin Ursula Karusseit liest am . Juni aus ihrer Autobiogra­fie.
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Foto: Brit Wollschläg­er Amüsant: Iris Berben und Thomas Thieme präsentier­ten  „Dinge, die wir vermissen werden“.

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