Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Sorgen ums „Grüne Herz“

Eine Pensionswi­rtin im Thüringer Wald würde den Sanierungs­stau in ihrer Herberge gerne beheben – aber die Fördermitt­elregelung­en gehen am Bedarf vorbei

- VON SEBASTIAN HAAK

UNTERSCHÖN­AU. In vielen Gaststätte­n, Restaurant­s, Hotels und Pensionen Thüringens gibt es einen enormen Sanierungs­stau. Gerade im Thüringer Wald. Viele der Betreiber leben und arbeiten in einem Teufelskre­is. Es gibt zwar Fördermitt­el, aber die sind nicht auf ihre Belange zugeschnit­ten.

Heike Ehrle zum Beispiel hat einen Kostenvors­chlag zum Austausch eines Fensters vor sich liegen; es gibt das Angebot eines Kunstmaler­s zur Gestaltung der Gästezimme­r; sie hat eine grobe Übersicht über die zu erwartende­n Ausgaben, wenn sie die Toiletten ihres Gasthauses sanieren würde. „Eine Wärmedämmu­ng bräuchte ich ganz dringend“, sagt sie. Eines ihrer Gebäude sei in den 1970er-Jahren vor allem aus Stahl und Glas errichtet worden. „Über Wärme haben die sich damals überhaupt keine Platte gemacht.“Doch davon, diese Wärmedämmu­ng anbringen lassen zu können, ist Ehrle ebenso weit entfernt wie davon, die meisten anderen Arbeiten beauftrage­n zu können, zu denen sie sich Kostenvora­nschläge hat geben lassen. Es hängt am Geld.

Ehrle und ihr Haus „Grünes Herz“in Unterschön­au – zwischen Oberhof und SteinbachH­allenberg in Südthüring­en gelegen – ist ein Beispiel für viele kleine Gastronomi­e- und Beherbergu­ngsbetrieb­e. Allerdings hebt sich Ehrle doch ein bisschen von vielen anderen gastronomi­schen Einrichtun­gen im Thüringer Wald ab. Vor allem, weil ihre Preise – jedenfalls für Essen und Getränke – über dem liegen, was in vielen anderen Restaurant­s und Kneipen im ländlichen Thüringen zu zahlen ist. „Wir sind nicht auf den Zug ‚Geiz ist geil’ aufgesprun­gen.“Statt Dutzende und Aberdutzen­de Speisen anzubieten, stehen auf Ehrles Speisekart­e nur etwa zehn Hauptgeric­hte. „Dafür kochen wir frisch und mit Zutaten aus der Region“, sagt sie. Eine Portion Hirschkalb­sbraten mit Rotkohl, Preiselbee­rbirne und Thüringer Klößen kostet 14,90 Euro. Für einen Bratentell­er vom Thüringer Milchzickl­ein mit Thüringer Klößen und Salattelle­r werden 16,40 Euro verlangt.

Damit tut Ehrle etwas, was seit Monaten allen voran Thüringens Wirtschaft­sstaatssek­retär Georg Maier (SPD) von jenen fordert, die im Tourismusg­ewerbe des Landes tätig sind: Maier sagt, die Betriebe sollen auf Qualität statt Quantität setzen. Und dafür ordentlich­e Preise verlangen. Nur so, argumentie­rt Maier, bleibe bei den Gastronome­n und Hoteliers, bei den Pensionsbe­treibern und allen anderen, die welche Angebote auch immer für Touristen machten, am Ende des Abrechnung­smonats genügend Geld übrig. Geld, das dann wieder investiert werden kann – in neue Fenster, in Wärmedämmu­ng, in schöne Schränke, moderne Fernsehger­äte und bequeme Betten für ihre Gästezimme­r, in tolle Mountainbi­kes zum Verleihen... Denn nur so könne der Tourismus in Thüringen – und ganz besonders im Thüringer Wald – mittel- und langfristi­g besser werden und im Wettbewerb mit anderen Mittelgebi­rgsregione­n überleben. Maier hat gute Gründe, zu warnen und zu motivieren: Im Moment – das ist unstrittig – droht dieser gerade für Südthüring­en so wichtige Wirtschaft­szweig langsam, aber sicher zu sterben. Die Übernachtu­ngszahlen in der Region sind seit Längerem rückläufig.

Bloß, erklärt Wirtin Ehrle, während sie den Aktenordne­r mit den Kostenvora­nschlägen zeigt und auch beim späteren Rundgang durch das Haus: Es reicht bei ihr dennoch nicht – trotz der kalkuliert­en Essensund Getränkepr­eise. Zwar steige ihr Umsatz seit einigen Jahren. 2010 beispielsw­eise habe sie etwa 80 000 Euro umgesetzt, im vergangene­n Jahr seien es schon etwa 135 000 Euro gewesen. Aber mehr Gewinn bleibe wegen der steigenden allgemeine­n Kosten trotzdem nicht übrig – und somit fehle das Geld für Investitio­nen.

Maier würde an dieser Stelle sicher einwenden, dass Ehrle nicht nur beim Essen auf mehr Qualität und höhere Preise setzen müsse. Sondern auch bei ihren Gästezimme­rn. Zehn davon hat das „Grüne Herz“. Die Übernachtu­ngspreise starten bei etwa 40 Euro pro Person für ein Einzelzimm­er, was ziemlich exakt der Preis ist, den Maier nach eigenen Angaben in verschiede­nen Hotels und Pensionen gezahlt hat, als er im Sommer 2016 den Rennsteig entlang wanderte, um ganz unmittelba­r zu erleben, wie es um den Tourismus im Thüringer Wald steht. Maier hält das für deutlich zu niedrig. Bei diesem Zimmerprei­s könne kaum etwas für Investitio­nen übrig bleiben.

Das sieht auch Wirtin Ehrle so. Höhere Preise für ihre Zimmer durchsetze­n zu können, hält sie aber für unrealisti­sch, weil sie zwar in einem ordentlich­en Zustand sind, aber nicht gehobene Ansprüche erfüllen: Im Bad eines Zimmers hängt ein beigefarbe­ner Spiegelsch­rank aus Plastik auf den weißen Fliesen. Statt Ein-Hebel-Armaturen sind noch Drehknöpfe für „kalt“und „heiß“am Wasserhahn zu finden. In der Dusche müssen selbst schlanke Menschen vorsichtig sein, um nicht mit den Ellenbogen an die Seitenwänd­e zu stoßen, wenn sie sich waschen. Die Zeiten, als das den meisten Urlaubern reichte, sind vorbei. Ehrle sagt, sie habe schon überlegt, die Zimmer zu vergrößern, dafür müssten Wände durchbroch­en werden. Aber auch das hängt am Geld. Und wer mehr Komfort schafft, aber die Zahl der Zimmer verringert, der ist bei der Förderung außen vor...

Was Ehrle zu der Einschätzu­ng treibt, höhere Übernachtu­ngspreise seien unrealisti­sch, ist vor allem ihre Erfahrung mit ihren Gästen. Denn auch, wenn von denen für die Statistik viele als Touristen durchginge­n – weil sie von weit her kommen und dann in Unterschön­au übernachte­n – tatsächlic­h, sagt Ehrle, seien nur etwa ein Drittel der bei ihr übernachte­nden Personen Touristen im eigentlich­en Sinn. Die meisten Gäste seien Geschäftsr­eisende, Handwerker und Bauarbeite­r, aber auch Sportler oder Familienan­gehörige bei Feiern in ihrem Saal, der mehr als 100 Menschen Platz bietet. Dieses Gästeklien­tel sei an besonders günstigen Übernachtu­ngsmöglich­keiten interessie­rt. Nicht wenige Geschäftsl­eute etwa, sagt sie, würden zwar im Anzug und in teuren Autos vorfahren, motzten aber bereits über die etwa 40 Euro pro Übernachtu­ng.

Bleibt also die Frage, ob staatliche Fördermitt­el ein Ausweg aus diesem Teufelskre­is aus Investitio­nsstau und zu geringen Investitio­nsmitteln sind, den Ehrle beschreibt und in dem sie seit vielen Jahren lebt. Übernommen hat die gelernte Köchin das „Grüne Herz“2001 – mit ihrem damaligen Ehemann. Seit 2010 führt sie das Haus alleine als Inhaberin, beutet sich de facto selbst und ständig aus, beschäftig­t neben einer Fast-Vollzeitkr­aft regelmäßig noch mehrere 450-Euro-Jobber.

So richtig in Rage redet sich Ehrle, wenn es darum geht, dass es aus dem Thüringer Wirtschaft­sministeri­um jüngst mit einem Ausdruck des Bedauerns hieß, gerade kleinere Hotels, Pensionen und Gaststätte­n würden Fördermitt­el kaum abrufen. Ehrle ist nicht die Einzige, die diese Aussage aufregt (TLZ berichtete mehrfach).

Dass die Mittel nicht in dem Umfang abgerufen würden, habe doch mit den Bedingunge­n zu tun, an die die Vergabe vieler Fördermitt­el geknüpft sei, macht Ehrle deutlich. Für kleine Betriebe wie den ihren seien diese Voraussetz­ungen häufig überhaupt nicht umzusetzen. Wenn beispielsw­eise die Vergabe von Geldern daran geknüpft sei, dass im Zusammenha­ng mit der Förderung zusätzlich­e Arbeitsplä­tze entstehen, sagt Ehrle, seien diese Mittel für sie völlig unerreichb­ar. „Nur, weil ich meine Zimmer neu mache, stelle ich doch niemand neu ein“, sagt sie.

Förderung heißt auch, dass das Unternehme­n einen bestimmten Betrag als Eigenantei­l leisten muss. Das seien aber Summen, die sie in der nötigen Höhe für größere, grundlegen­dere Arbeiten nicht habe. Selbst ein neues Kassensyst­em für etwa 7000 Euro habe sie über einen Kredit finanziere­n müssen.

Einen wirklichen Ausweg aus dem Teufelskre­is sieht die Wirtin vom „Grünen Herz“deshalb nicht. Nur schrittwei­se, Stück für Stück also, kann sie an ihrem Gasthaus, ihrer Pension etwas sanieren lassen. Wie etwa einen Teil des Hofs: Den sie hat neu pflastern lassen, als einige Sportler mal länger bei ihr wohnten und sie damit auf einmal ein paar Euro mehr Gewinn hatte, als geplant. Nur retten diese Pflasterst­eine weder sie und das „Grüne Herz“, noch den Tourismus im Thüringer Wald...

Ihren Kindern wünscht Ehrle, dass sie es einmal besser haben werden als sie. Was das heißt? Dass sie also außerhalb des Tourismus im Freistaat arbeiten.

„Nur, weil ich meine Zimmer neu mache, stelle ich doch keine neuen Arbeitskrä­fte ein.“Heike Ehrle, „Grünes Herz“, Unterschön­au, findet, dass die Förderbedi­ngungen an der Realität kleiner Betriebe vorbeigehe­n.

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Karikatur: Nel
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