Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Thüringen prüft Landarztquote
Die Frage ist, ob Verpflichtungen von Studienbewerbern rechtlich tragbar sind
ERFURT. Die Thüringer Landesregierung hat sich noch nicht abschließend zu der Frage positioniert, ob im Freistaat eine Landarztquote im Medizinstudium eingeführt werden sollte oder nicht. Das hat ein Sprecher des Wissenschaftsministeriums auf Anfrage mitgeteilt. NordrheinWestfalen bringt jetzt im Kampf gegen den Hausärztemangel als erstes Bundesland eine solche Quote auf den Weg. Bereits im Wintersemester 2019/2020 sollen knapp 170 Studienplätze an Bewerber vergeben werden, die sich verpflichten, nach ihrer Ausbildung zehn Jahre in einer unterversorgten Region zu praktizieren.
„Die grundsätzliche Frage ist, ob Verpflichtungen von Studienanfängern für eine spätere Tätigkeit in bestimmten Regionen rechtlich überhaupt tragbar und der allgemeinen Lebenspraxis angemessen sind“, sagt der Ministeriumssprecher. Die Einführung einer Landarztquote setzt zudem voraus, dass zuvor alle anderen Mittel zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in ländlich geprägten Gebieten ausgeschöpft wurden und erwiesenermaßen nicht zum Erfolg geführt haben.
Gesetzliche Krankenkassen in Thüringen sind dafür – Kassenärztliche Vereinigung, Landesärztekammer und die Fachschaft Medizin der FriedrichSchiller-Universität Jena strikt dagegen: Die Rede ist von der Landarztquote im Medizinstudium, wie sie Nordrhein-Westfalen jetzt als erstes Bundesland auf den Weg bringt.
Künftig sollen in NRW bis zu zehn Prozent der Studienplätze außerhalb des üblichen Vergabeverfahrens an Bewerber gehen, die sich verpflichten, nach Abschluss ihrer Ausbildung bis zu zehn Jahre in unterversorgten Regionen des Bundeslandes zu praktizieren. Die Abiturnote soll dann nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.
Damit reagiert NRW auf den Ärztemangel im ländlichen Raum, wo schon jetzt um die 60 Prozent der Hausärzte älter als 60 Jahre sind. Zum Wintersemester 2019/20 will das Bundesland mit den ersten 168 Landarzt-Studienplätzen starten. Dabei sollen Studenten, die über die Landarztquote einen Studienplatz erhalten, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit dem Land schließen, der auch empfindliche Strafen für den Fall vorsieht, dass die Mediziner später doch nicht auf dem Land arbeiten wollen. Birgit Dziuk, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Thüringen, begrüßt die Diskussion über eine Landarztquote „ausdrücklich“. Sie findet, dass „wir in der Medizinerausbildung davon wegkommen müssen, dass sich die Studienplatzvergabe rein an den formalen Kriterien Abiturnote und Wartezeitquote orientiert“. Weil schon lange ein Verteilungsproblem in der ärztlichen Versorgung bestehe, könne die Neuausrichtung der Studienplatzvergabe „ein sinnvoller Baustein sein, um das Problem, das insbesondere im ländlichen Raum besteht, zu lösen“. Auf den Wegfall der Wartezeitquote hatte sich zwar vergangene Woche die Kultusministerkonferenz geeinigt, bindend sind die Beschlüsse für die Bundesländer jedoch nicht.
Neben der Landarztquote kann sich Thüringens BarmerChefin auch eine Landeskinderquote vorstellen, also eine Bevorzugung von Bewerbern aus Thüringen, weil bei ihnen die Gewähr für den Verbleib im Lande größer sei als bei Studenten von außerhalb. Dziuks Pendant bei der Techniker Krankenkasse (TK), Guido Dressel, vermag einem solchen Bonus aber schon allein deshalb nichts abzugewinnen, weil er „rechtlich nicht möglich“sei. Für eine Landarztquote indes kann sich der Chef der Thüringer TK-Landesvertretung erwärmen. „Dabei müsste allerdings verhindert werden, schlechten Abiturienten im Gegenzug für ein rechtlich umstrittenes Versprechen über die Zugangshürden zum Medizinstudium zu verhelfen.“
Grundsätzlich müsse es darum gehen, mehr Studienanfänger zu gewinnen, „bei denen die Wahrscheinlichkeit besonders hoch ist, dass sie später auch in Thüringen praktizieren“. So müssten im Zulassungsverfahren Bewerber stärker privilegiert
werden, die bereits in Thüringen verankert sind oder eine nichtärztliche medizinische Fachausbildung absolviert haben. „Die Landarztquote kann diese Effekte tatsächlich bewirken“, glaubt Guido Dressel.
Annette Rommel, die 1. Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen (KV), hegt hingegen große Zweifel daran, ob die Landarztquote ein geeignetes Steuerungsinstrument ist. Selbst Medizinstudenten könnten sich noch nicht genau festlegen, wo und wie sie am Ende arbeiten – das bereits Studienbewerbern abzuverlangen, hält sie für „wenig erfolgversprechend“. Zumal ein Gesetz über eine Landarztquote auch erst einmal definieren müsse, was genau unter „ländlichem Raum“zu verstehen ist.
Rommel zufolge kann die einfache Zusage, später auf dem Land arbeiten zu wollen, kein aussagekräftiges Kriterium für die Auswahl geeigneter Kandidaten sein. Im schlimmsten Falle bewirke das sogar den gegenteiligen Effekt: eine Abwertung
„Eine Landarztquote halten wir für politischen Aktionismus.“Annette Rommel, 1. Vorsitzende des Vorstands der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen
der hausärztlichen Tätigkeit, weil nur auf ihre Zusage hin Bewerber mit schlechteren Leistungen zum Studium angenommen werden. Das könne nicht die Lösung sein, betont die KVChefin. Sie verweist auf das Förderpaket, das die KV schon vor Jahren für Studenten und junge Ärzte geschnürt hat, um sie für eine Niederlassung in Thüringen zu gewinnen. Zusätzlich haben KV und Landesärztekammer vereinbart, dass Klinikärzte, die auf ambulante Versorgung umsatteln wollen, ihre Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin verkürzen können, weil entweder praktische Fertigkeiten oder schon absolvierte Weiterbildungsinhalte anerkannt werden. Diese Möglichkeit haben schon mehrere Thüringer Ärzte genutzt.
Von der Politik fordert die KV, die Zahl der Medizinstudienplätze in Jena – derzeit sind es 260 im Jahr – um zehn Prozent zu erhöhen. Dem schließt sich auch die Landesärztekammer an, aus deren Sicht es dazu keine Alternative gibt.
Auch andere Bundesländer stockten bereits die Zahl der Studienplätze auf. „Wenn Thüringen nicht mitzieht, wird das langfristig als Standortnachteil wirksam werden“, betont eine Sprecherin der Ärztekammer. Letztlich seien auch unorthodoxe Lösungen gefragt: Reichten zum Beispiel die Kapazitäten in Jena nicht aus, müsse eben wieder über Erfurt nachgedacht werden, wo es bis 1993 mit der Medizinischen Akademie eine Ausbildungsstätte gab. „Vergegenwärtigt man sich, dass Deutschland nach der Wende insgesamt über 16 000 Medizinstudienplätze verfügte, während es heute nur noch 9500 sind, ist klar, wo man ansetzen muss“, sagt die Sprecherin.
Zudem befürchtet die Landesärztekammer bei einer Landarztquote einen Imageverlust für Haus- oder Landärzte. Denn in den Köpfen werde sich sehr schnell festsetzen, dass Landärzte diejenigen werden, die nur über ihre Verpflichtung einen Studienplatz erhalten haben.