Thüringische Landeszeitung (Gotha)
EU-Gericht verurteilt Deutschland
Durch Überdüngung gelangt mehr Nitrat ins Grundwasser als erlaubt
Ein Landwirt bringt Gülle aus. Das darin enthaltene Nitrat belastet besonders in Regionen mit vielen Agrarbetrieben das Grundwasser. Foto: dpa pa/Frank Leonhardt
Umweltschützer schlagen schon lange Alarm: Das Grundwasser in vielen Regionen Deutschlands enthält zu viel Nitrat. Schuld ist vor allem Überdüngung durch die Landwirtschaft. An fast jeder fünften Kontrollstation deutschlandweit werden erhöhte Belastungen gemessen, in Regionen mit vielen Agrarbetrieben ist die Lage deutlich schlimmer.
Jetzt erhält Deutschland die Quittung von der EU: Der Europäische Gerichtshof urteilte am Donnerstag, die Bundesregierung habe zu wenig gegen die hohe Nitratbelastung in Gewässern unternommen. Die Luxemburger Richter gaben der EUKommission recht, die wiederholt Mahnungen nach Berlin geschickt hatte und vor zwei Jahren schließlich Klage erhob.
Es seien auch dann keine Schutzmaßnahmen ergriffen worden, als die Verstöße gegen EU-Vorgaben vor allem durch den massiven Einsatz von Gülle offensichtlich waren. Umweltverbände nennen das Urteil eine „Ohrfeige“, doch allzu schmerzhaft ist sie nicht: Die Bundesrepublik muss zwar die Verfahrenskosten tragen, eine Strafe aber ist mit dem Richterspruch vorerst nicht verbunden.
Die EU-Kommission müsste selbst die Initiative ergreifen und ein neues Verfahren einleiten – was die Bundesregierung aber jetzt verhindern will.
Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) kündigte umgehend rasche Gespräche mit Brüssel an. Denn: Das Gericht beziehe sich auf altes Düngerecht, das durch eine 2017 beschlossene neue Regelung überholt sei. Das neue Recht ermögliche den Landwirten ein ökonomisch tragfähiges und zugleich ressourcenschonendes Wirtschaften, betonte Klöckner. Die neue Verordnung wird von der EU-Kommission derzeit noch geprüft. Klöckner meint, die Regelung werde die Belastung im Grundwasser senken.
Doch ob die Bundesregierung so einfach davonkommt, ist unklar. Zwar stellte sich der Bauernverband erwartungsgemäß hinter die Landwirtschaftsministerin und versicherte, die deutschen Bauern düngten bedarfsgerecht und stünden durch die neue Düngeverordnung bereits massiv unter Druck.
Schon das Bundesumweltministerium aber reagierte zurückhaltender: Ja, das neue Düngerecht werde deutliche Verbesserungen bringen, hieß es im Haus von Klöckners Kollegin Svenja Schulze (SPD). Aber nein, man müsse abwarten, ob diese Verbesserungen ausreichend seien.
Die deutsche Wasserwirtschaft ist schon sicher, dass sie nicht genügen, teilte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft unter Berufung auf eine neue Studie mit. Demnach dürfte jetzt teilweise sogar mehr Nitrat verwendet werden als bisher. Deutschland drohten nun „Milliarden-Strafzahlungen“, so der Verband. Und das ist nicht ausgeschlossen: Wenn die EU-Kommission bei ihrer Überprüfung zu dem Schluss kommt, dass auch die neue Dünge-Verordnung den EU-Vorgaben nicht genügt, dann könnte sie beim Europäischen Gerichtshof hohe Strafzahlungen für Deutschland beantragen – weil der jetzt gerügte Verstoß nicht abgestellt wurde.
Der Wasserwirtschaftsverband ist verärgert: Das Trinkwasser in Deutschland ist zwar bis auf wenige Ausnahmen in Ordnung, die Grenzwerte werden eingehalten. Doch wichtigste Quelle für Trinkwasser ist das Grundwasser – wenn es zu viel Nitrat enthält, müssen es die Versorger erst mit Zusatzkosten reinigen oder verdünnen. Eine erhöhte Nitratbelastung ist vor allem für Säuglinge bedenklich, es kann die Sauerstoffversorgung der Zellen beeinträchtigen. Dabei ist Nitrat, richtig eingesetzt, wichtig für das Pflanzenwachstum.
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