Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Jenseits von Bayern

Der Streit mit der CSU begleitet Kanzlerin Angela Merkel bei ihrer NahostReis­e nach Jordanien und in den Libanon

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Die Studentin der deutsch-jordanisch­en Universitä­t fragt direkt: „Ist die AfD eine Gefahr? Sind Ausländer in Deutschlan­d noch sicher?“Ein Student will wissen, ob er nach dem Studium eine Chance hat, in Deutschlan­d als Ingenieur zu arbeiten. Egal, wie weit sich Kanzlerin Angela Merkel von Berlin wegbewegt, die Auslöser der innenpolit­ischen Krise sind mit dabei. „Ich bin auf der Seite derer, die sagen, wir müssen ein offenes Land sein.“Dieser Meinung sei auch die Mehrheit im Land, antwortet die Kanzlerin. Auch wenn die Migration natürlich geordnet und gesteuert werden müsse. Aber es gebe Menschen, die darauf hinwiesen, dass man auf die Probleme in Deutschlan­d hören sollte, die noch nicht gelöst seien.

Merkel ist am Mittwochab­end Richtung Jordanien aufgebroch­en. Für die Kanzlerin, die derzeit ihre schwerste innenpolit­ische Krise durchlebt, ist die Reise ein Balanceakt. Die CSU und ihr Bundesinne­nminister Horst Seehofer geben Merkel zwei Wochen Zeit, um eine europäisch­e Lösung in der Asylfrage zu finden. Ansonsten, so Seehofer, werde er Grenzkontr­ollen im Alleingang anordnen. Ein Bruch der Regierung wäre dann wahrschein­lich.

Ausgerechn­et in dieser vertrackte­n Situation tritt die Kanzlerin eine Reise an, die zum Ausgangspu­nkt der deutsch-europäisch­en Flüchtling­skrise führt: in den Nahen Osten, in die Grenzlände­r des vom Bürgerkrie­g so gebeutelte­n Syrien. Jordanien und den Libanon will Merkel mit ihrem Besuch politisch stärken. Sie wolle sich von der reinen Innenansic­ht lösen, fahre sehr bewusst in Länder, die jeden Tag um ihr wirtschaft­liches Überleben kämpften, heißt es in der Delegation. Sprich: Man muss auch dahin fahren, wo es wehtut. Das haschemiti­sche Königreich Jordanien hat nach Angaben des Flüchtling­shilfswerk­s UNHCR 650 000 Flüchtling­e aus dem Nachbarsta­at aufgenomme­n. Merkel dankt dem jordanisch­en König Abdullah II. dafür. Im Libanon, zweite Station von Merkels Reise, sind sogar fast eine Million Syrer. Mehr als die Hälfte sind Kinder und Jugendlich­e.

Doch es geht der CDU-Chefin auch um anderes. Während zu Hause die CSU nicht müde wird, ihre Autorität öffentlich anzuzweife­ln, will sie mit diesem Besuch Normalität herstellen, zumindest suggeriere­n. Auslandsbe­such, Regierungs­alltag eben. Verbunden mit dem Hinweis darauf, dass die Weltlage trotz der bayerische­n Befindlich­keiten nun mal so ist, wie sie ist. Doch das Endspiel um die Macht hat begonnen, das ist der 63-Jährigen und ihren Vertrauten klar.

München ist von Amman kilometert­echnisch weit entfernt und doch gefühlt sehr nah. Bei der CDU sind einige überzeugt, dass es der CSU nicht mehr darum geht, Lösungen zu finden, sondern die Kanzlerin und damit die Regierung zu stürzen. Merkel weiß das, kennt die Planspiele. Sie ist im Austausch mit der CSU-Spitze. Dass sie freiwillig den Platz räumt, scheint nicht vorstellba­r. „Aufgeräumt wirkt sie, entschloss­en“, attestiert ihr eine mitreisend­e Bundestags­abgeordnet­e.

Der Besuch bei den Studenten, die überwiegen­d fließend Deutsch sprachen, stärkt Merkel in ihrer Überzeugun­g, dass eine legale Zuwanderun­g nach Deutschlan­d möglich sein muss. Zu Bildungs- und Arbeitszwe­cken.

Aber sie wiederholt auch, dass man im Herbst 2015 in einer humanitäre­n Notlage geholfen habe. Jetzt müsse man deutlich machen, dass die Menschen sich nicht in die Hände von Schleppern begeben sollten, um nach Deutschlan­d zu gelangen. Übersetzt heißt das auch: Macht euch nicht auf den Weg. Die Kanzlerin hat eine Finanzhilf­e über 100 Millionen Dollar im Gepäck, zusätzlich zu den 384 Millionen Euro Entwicklun­gshilfe, die Jordanien von Deutschlan­d bezieht. Das Geld soll das Land stärken. Fluchtursa­chenbekämp­fung heißt das.

Zum Abschluss der Visite besucht die Bundeskanz­lerin noch das deutsche Einsatzkon­tingent im Land. Sie dankt den Bundeswehr­soldaten für ihren Einsatz im Kampf gegen den „Islamische­n Staat“(IS), nimmt sich Zeit für persönlich­e Gespräche, erwähnt die Entbehrung­en der Soldatenfa­milien. Während sie ihre kurze Ansprache hält, klingelt das Telefon in ihrer Hosentasch­e. „Das ist sicher Horst“, kommt es von den Soldaten. Auch irgendwo im Wüstenniem­andsland ist der Streit der Schwesterp­arteien stets dabei.

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