Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Jenseits von Bayern
Der Streit mit der CSU begleitet Kanzlerin Angela Merkel bei ihrer NahostReise nach Jordanien und in den Libanon
Die Studentin der deutsch-jordanischen Universität fragt direkt: „Ist die AfD eine Gefahr? Sind Ausländer in Deutschland noch sicher?“Ein Student will wissen, ob er nach dem Studium eine Chance hat, in Deutschland als Ingenieur zu arbeiten. Egal, wie weit sich Kanzlerin Angela Merkel von Berlin wegbewegt, die Auslöser der innenpolitischen Krise sind mit dabei. „Ich bin auf der Seite derer, die sagen, wir müssen ein offenes Land sein.“Dieser Meinung sei auch die Mehrheit im Land, antwortet die Kanzlerin. Auch wenn die Migration natürlich geordnet und gesteuert werden müsse. Aber es gebe Menschen, die darauf hinwiesen, dass man auf die Probleme in Deutschland hören sollte, die noch nicht gelöst seien.
Merkel ist am Mittwochabend Richtung Jordanien aufgebrochen. Für die Kanzlerin, die derzeit ihre schwerste innenpolitische Krise durchlebt, ist die Reise ein Balanceakt. Die CSU und ihr Bundesinnenminister Horst Seehofer geben Merkel zwei Wochen Zeit, um eine europäische Lösung in der Asylfrage zu finden. Ansonsten, so Seehofer, werde er Grenzkontrollen im Alleingang anordnen. Ein Bruch der Regierung wäre dann wahrscheinlich.
Ausgerechnet in dieser vertrackten Situation tritt die Kanzlerin eine Reise an, die zum Ausgangspunkt der deutsch-europäischen Flüchtlingskrise führt: in den Nahen Osten, in die Grenzländer des vom Bürgerkrieg so gebeutelten Syrien. Jordanien und den Libanon will Merkel mit ihrem Besuch politisch stärken. Sie wolle sich von der reinen Innenansicht lösen, fahre sehr bewusst in Länder, die jeden Tag um ihr wirtschaftliches Überleben kämpften, heißt es in der Delegation. Sprich: Man muss auch dahin fahren, wo es wehtut. Das haschemitische Königreich Jordanien hat nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks UNHCR 650 000 Flüchtlinge aus dem Nachbarstaat aufgenommen. Merkel dankt dem jordanischen König Abdullah II. dafür. Im Libanon, zweite Station von Merkels Reise, sind sogar fast eine Million Syrer. Mehr als die Hälfte sind Kinder und Jugendliche.
Doch es geht der CDU-Chefin auch um anderes. Während zu Hause die CSU nicht müde wird, ihre Autorität öffentlich anzuzweifeln, will sie mit diesem Besuch Normalität herstellen, zumindest suggerieren. Auslandsbesuch, Regierungsalltag eben. Verbunden mit dem Hinweis darauf, dass die Weltlage trotz der bayerischen Befindlichkeiten nun mal so ist, wie sie ist. Doch das Endspiel um die Macht hat begonnen, das ist der 63-Jährigen und ihren Vertrauten klar.
München ist von Amman kilometertechnisch weit entfernt und doch gefühlt sehr nah. Bei der CDU sind einige überzeugt, dass es der CSU nicht mehr darum geht, Lösungen zu finden, sondern die Kanzlerin und damit die Regierung zu stürzen. Merkel weiß das, kennt die Planspiele. Sie ist im Austausch mit der CSU-Spitze. Dass sie freiwillig den Platz räumt, scheint nicht vorstellbar. „Aufgeräumt wirkt sie, entschlossen“, attestiert ihr eine mitreisende Bundestagsabgeordnete.
Der Besuch bei den Studenten, die überwiegend fließend Deutsch sprachen, stärkt Merkel in ihrer Überzeugung, dass eine legale Zuwanderung nach Deutschland möglich sein muss. Zu Bildungs- und Arbeitszwecken.
Aber sie wiederholt auch, dass man im Herbst 2015 in einer humanitären Notlage geholfen habe. Jetzt müsse man deutlich machen, dass die Menschen sich nicht in die Hände von Schleppern begeben sollten, um nach Deutschland zu gelangen. Übersetzt heißt das auch: Macht euch nicht auf den Weg. Die Kanzlerin hat eine Finanzhilfe über 100 Millionen Dollar im Gepäck, zusätzlich zu den 384 Millionen Euro Entwicklungshilfe, die Jordanien von Deutschland bezieht. Das Geld soll das Land stärken. Fluchtursachenbekämpfung heißt das.
Zum Abschluss der Visite besucht die Bundeskanzlerin noch das deutsche Einsatzkontingent im Land. Sie dankt den Bundeswehrsoldaten für ihren Einsatz im Kampf gegen den „Islamischen Staat“(IS), nimmt sich Zeit für persönliche Gespräche, erwähnt die Entbehrungen der Soldatenfamilien. Während sie ihre kurze Ansprache hält, klingelt das Telefon in ihrer Hosentasche. „Das ist sicher Horst“, kommt es von den Soldaten. Auch irgendwo im Wüstenniemandsland ist der Streit der Schwesterparteien stets dabei.