Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Das große Werk der Erinnerung

Vor zehn Jahren starb der polnische Künstler und HolocaustÜ­berlebende Józef Szajna – sein wichtigste­s Werk bleibt hoffentlic­h in Buchenwald

- VON GERLINDE SOMMER

WEIMAR/ESSEN. Am 24. Juni jährt sich der Todestag von Józef Szajna zum zehnten Mal. Vergessen ist der Künstler und Holocaust-Überlebend­e nicht – auch deshalb, weil sein größtes Werk in der Kunstausst­ellung der Gedenkstät­te Buchenwald seit bald 20 Jahren gezeigt wird. Szajna hat Ende der 1990er-Jahre die sich auf 140 Quadratmet­er erstrecken­de Installati­on selbst eingericht­et. Tagtäglich lassen sich viele Besucher auf diese „Reminiszen­zen“ein – blicken auf Silhouette­n, auf Namenslist­en und Stellagen. Das Werk erschließt sich nicht im Vorübergeh­en – es verlangt eine genauere Betrachtun­g.

Dass die Gedenkstät­te Buchenwald dieses so wichtige Werk eines Überlebend­en zeigen kann, ist Gertrud Johnssen zu verdanken. Und wenn es so kommt, wie sie es wollte, wird die Installati­on auf Dauer in der Gedenkstät­te verbleiben können.

Johnssen, Jahrgang 1916, darf als außergewöh­nliche Frau gelten: Sie beginnt in der frühen Nachkriegs­zeit, Kunst zu sammeln. Zunächst steht nur die subjektiv empfundene Schönheit der Werke im Vordergrun­d. Die nötigen Mittel knappst sie vom Haushaltge­ld ab, sagt ihr Sohn Wolf, Jahrgang 1941; anlässlich von Szajnas Todesjahrt­ag ist er für kurze Zeit in Weimar.

Die Johnssens leben in den Wirtschaft­swunderund Aufbaujahr­en im Ruhrgebiet; die Familie kommt dadurch zu einem gewissen Wohlstand. Die Sammlerin lernt durch Experten

eine andere Sicht auf das moderne Kunstschaf­fen. Und sie entwickelt ein eigenes Gespür dafür, welcher geistige Reichtum in einem Kunstwerk steckt, das sich sperrig präsentier­t. Bei der Biennale in Venedig zu Beginn der 1970er-Jahre kommt sie zu der Überzeugun­g, die „Reminiszen­zen“von Józef Szajna erwerben und nach Deutschlan­d bringen zu müssen. Eigentlich steht dieses Werk als offizielle­r Beitrag der damaligen Volksrepub­lik Polen nicht zum Verkauf. Doch Gertrud Johnssen lässt nicht locker. Gemeinsam mit ihrem Mann Karl Friedrich erwirbt sie die große Installati­on. Ihr

Sohn Wolf erklärt, dass es seiner Mutter darum gegangen sei, ein Zeichen gegen die anhaltende Verdrängun­g der nationalso­zialistisc­hen Verbrechen in Westdeutsc­hland zu setzen. Die „Reminiszen­zen“sind nicht dazu gedacht, in Privaträum­en gezeigt zu werden. Die Johnssens versuchen vielmehr, Szajnas Werk im Westen bekannt zu machen. Doch es findet sich kein einschlägi­ges Museum – und der Plan, im Ruhrgebiet einen Ausstellun­gsort für dieses und ähnliche Werke zu bauen, scheitert an Baumschütz­ern, erinnert sich Wolf Johnssen. Denen, die die NaziVerbre­chen vergessen machen wollen,

kann das nur recht sein... Die künstleris­che Auseinande­rsetzung mit dem Nationalso­zialismus ist im Westen lange nicht gefragt. In der DDR bleibt der Künstler derweil, wenn auch aus anderen Gründen, ebenfalls außen vor. Szajna, der schon als 17-jähriger Gymnasiast in den Widerstand gegen die deutschen Besatzer in Polen geht, fügt sich nicht in die Vorgaben der Kunstpolit­ik der DDR ein – und wird totgeschwi­egen. „Trotz seiner weltweiten Beachtung wird nicht eines seiner Werke in der DDR ausgestell­t“, betont Gedenkstät­ten-Direktor Volkhard Knigge. Dass die „Reminiszen­zen“diese Zeit der Ausblendun­g dennoch unbeschade­t überstehen, ist dem Kunstmuseu­m Bochum zu verdanken. Über Jahrzehnte lagert das Werk im dortigen Depot. Die Johnssens beherberge­n Szajna häufig bei sich.

Der bevorstehe­nde zehnte Todestag von Szajna bietet jetzt Professor Knigge Gelegenhei­t – gerade auch mit Blick auf die Nachfahren von Gertrud Johnssen – an die Bedeutung des Künstlers und seiner „Reminiszen­zen“zu erinnern. Die von ihm gewählte Auseinande­rsetzung mit dem nationalso­zialistisc­hen Zivilisati­onsbruch erachtet Knigge als sehr wichtig – gerade jetzt. Ihm geht es zudem um die Würdigung des „ungewöhnli­chen Sammlerehe­paars Gertrud und Karl Friedrich Johnssen, das in der Bundesrepu­blik mit seiner Sammlungst­ätigkeit ein Zeichen setzte“.

Vorbereite­t wird derzeit von den Nachfahren der Sammlerin die „Gertrud Johnssen-Stiftung“. Für deren Entstehen spielen die „Reminiszen­zen“eine wichtige, weil geldwerte Rolle. Wolf Johnssen betont im Gespräch mit dieser Zeitung, dass das Werk in der Ausstellun­g in Buchenwald seinen Platz haben soll. Dass es zugänglich werde und bleibe, sei der unbedingte und lange gehegte Wunsch seiner Mutter gewesen.

• „Reminiszen­zen“und zwei Gemälde von Józef Szajna sind zu den Öffnungsze­iten im Desinfekti­onsgebäude auf dem ehemaligen KZ-Gelände Buchenwald zu sehen.

 ??  ?? Józef Szajna, Jahrgang , war in jungen Jahren von den Nazis ins KZ gesteckt worden – und begann dort schon mit seinem künstleris­chen und dokumentar­ischen Schaffen. Er überlebte den Holocaust und wurde Künstler. Am Sonntag jährt sich sein Todestag...
Józef Szajna, Jahrgang , war in jungen Jahren von den Nazis ins KZ gesteckt worden – und begann dort schon mit seinem künstleris­chen und dokumentar­ischen Schaffen. Er überlebte den Holocaust und wurde Künstler. Am Sonntag jährt sich sein Todestag...
 ??  ?? Ein Ausschnitt aus den „Reminiszen­zen“von Jósef Szajna, der  bis  in Auschwitz und seit  bis zur Befreiung in Buchenwald und dem Außenlager Schönebeck inhaftiert war. Foto: Gerlinde Sommer
Ein Ausschnitt aus den „Reminiszen­zen“von Jósef Szajna, der  bis  in Auschwitz und seit  bis zur Befreiung in Buchenwald und dem Außenlager Schönebeck inhaftiert war. Foto: Gerlinde Sommer

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