Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Westgeld für das letzte Grenzgebäude
Am Grenzlandmuseum Eichsfeld werden jetzt die StasiMachenschaften aufgearbeitet – StudentenTrio aus Erfurt stellt morgen erste Ergebnisse vor
Das Grenzlandmuseum Eichsfeld in Teistungen steuert auf sein erstes großes Jubiläum zu. 2020 wird das Haus an der Landesgrenze zu Niedersachsen 25 Jahre alt. Bis dahin gibt es viel zu tun. Wissenschaftliche Arbeiten zum Grenzübergang rücken in den Mittelpunkt. Denn viele Fragen sind auch knapp drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall unbeantwortet. Horst Dornieden, der Vorsitzende des Trägervereins des Museums, sagt im TLZ-Gespräch: „Jetzt sind wir soweit, dass die Forschungsaufträge herausgegeben werden können.“
Morgen wird das bereits beim Tag der offenen Tür deutlich. Gerade liegt der Jahrestag der Öffnung des Grenzübergangs Duderstadt-Worbis, wie er offiziell hieß, 45 Jahre zurück. Am 21. Juni 1973 schaltete die Ampel erstmals auf grün um. Der „Kleine Grenzverkehr“war fortan möglich geworden – auf Anweisung von höchster Stelle. Per Ministerbefehl aus dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war der Bau angeordnet und dann zur weiteren Planung nach Erfurt übergeben worden.
Steven Lange, Tabea Linnicke und Sven Taxweiler forschen bereits seit einigen Wochen über den Grenzübergang Duderstadt-Worbis. Sie stellen beim Tag der offenen Tür ihre ersten Ergebnisse vor. Das Teilprojekt eins ist bereits abgeschlossen. „Bisher können wir feststellen, dass es sich um eine sehr belebte und gut besuchte Grenzübergangsstelle handelt“, sagt Steven Lange.
Welche Rolle die Stasi spielte? Das wird die weitere Forschung zeigen. Die Tagesberichte zeigen aber schon, dass die Abteilung sechs des MfS – als jene, die die Reiseströme kontrolliert hat – stark vertreten gewesen ist. Zehn Mann plus Zugführer hätten, berichtet Steven Lange, eine Schicht gebildet. Dann und wann stießen die Studierenden in den vergangenen Wochen bereits auf spannende Episoden aus der Vergangenheit, die eigentlich erst im Teilprojekt drei des Forschungsauftrages der Bundesstelle für Stasi-Unterlagen (BStU), des Grenzlandmuseums und der Universität Erfurt genauer in den Fokus rücken. So habe zwischen Juni und November ein Westdeutscher versucht, 40 000 Mark in Gold in die DDR zu schmuggeln. Er wolle dort einen guten Start haben, sei die Begründung gewesen, zitiert Steven Lange aus vorliegenden Dokumenten. Und: „Das ist wohl häufiger vorgekommen.“Welche Geschichten noch ans Tageslicht kommen, darüber wollen die drei Studenten derzeit nicht spekulieren. „Das wäre unseriös“, sagt Steven Lange vor dem wissenschaftlichen Hintergrund.
Für das Grenzlandmuseum bleibt die Forschungsarbeit aber eine Premiere. Erstmals, sagt die Museumsleiterin Mira Keune, sei eine solche Kooperation gelungen. „Die Feldforschung beginnt erst“, ergänzt sie. Ziel sei es, darzustellen, „dass der Grenzübergang auch ein Teil des Regimes gewesen ist“.
Warum aber dauert das mehr als zwei Jahrzehnte, bis sich das Team der Gedenkstätte dieser Aufgabe widmet. Horst Dornieden versucht eine Erklärung zu finden. Zunächst müsse man die wechselhafte Geschichte der Grenzübergangsstelle betrachten. „Die Zuständigkeiten wechselten ständig“, sagt Dornieden, der nach der Wende dafür Sorge getragen hat, dass überhaupt historische Gebäude am Grenzübergang erhalten blieben. Die Unterlagen über den Grenzübergang sind ständig gewandert – und dabei sind viele verloren gegangen. „Die wurden uns dann nach der Wende dubios zum Kauf angeboten. Darauf haben wir uns aber nicht eingelassen“, berichtet Dornieden. Stattdessen bedurfte es einiger Geduld, bis man bundesweit Unterlagen zum Grenzübergang eingesammelt hatte. Unter anderem bei der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin. Jetzt, davon ist Dornieden überzeugt, verfüge man über ausreichend Material.
Dass es mehr als zwei Jahrzehnte gedauert hat stellt aus Sicht des Vereinsvorsitzenden kein Problem dar. Zunächst, sagt er, hätten doch auch berechtigterweise die Opfer des DDR-Regimes im Interesse der Aufarbeitung gestanden. Staatliche Stellen schenkten deshalb zunächst deren Ansinnen eine größere Aufmerksamkeit als dem Wunsch danach, die Arbeit von Spitzeln der MfS-Abteilung sechs am Grenzübergang genauer zu beleuchten.
Steven Lange findet noch ein anderes Argument dafür, dass drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall die richtige Zeit für die Aufarbeitung dieser Fragen angebrochen sein könnte. Aus seiner Sicht arbeitet nun eine Generation wissenschaftlich an den Antworten auf drängende Fragen, die mit einem gewissen Abstand und deshalb mit weniger Emotionen zu dem DDR-Regime an die Dinge herangehen kann – allein schon aus Altersgründen. In die Ergebnisse der Forschung setzen die Verantwortlichen im Grenzlandmuseum große Hoffnungen. „Wir wollen sie auch nutzen, um Teile des Außengeländes neu zu bespielen“, sagt Mira Keune in dem Wissen, dass viele historische Anlagen nicht mehr existieren. Das sei auch von Besuchern immer wieder deutlich gemacht worden. Aber um noch deutlicher darzustellen, wo die Anlagen einmal gewesen sind, dafür braucht es die Untersuchungen.
Wechselhafte bauliche Geschichte
Wie wechselhaft die bauliche Geschichte des Grenzübergangs gewesen ist, dass wird am Ergebnis des ersten Teilprojektes der Studierenden deutlich. „Wir waren überrascht, wie lange es gedauert hat, bis hier feste Anlagen installiert waren“, sagt Steven Lange. Zumeist spielte sich das Geschäft der Grenzer in Wellblechhütten ab. Erst kurz vor dem Mauerfall wurden einige massive Gebäude errichtet – und der letzte Auftrag wurde, das weiß Horst Dornieden zu berichten, erst nach der Wende bezahlt. In D-Mark.