Thüringische Landeszeitung (Gotha)
„30 Jahre alte Forderungen sind leider rechtens“
TLZTelefonforum: Experten vom Verband Deutscher Grundstücksnutzer beantworten Leserfragen zu Straßenausbaubeiträgen
Straßenausbaubeiträge sind ein großes Reizthema für Anlieger. In einigen Bundesländern wurden sie schon abgeschafft. Aber wie ist die Situation in Thüringen? Was kann ich tun, wenn ein Bescheid für den Straßenausbau ins Haus flattert? Wofür muss ich zahlen? Lohnt eine Klage? Beim TLZ-Telefonforum beantworteten die Experten Eckhart Beleites, Rainer Bonin und Hagen Ludwig vom Verband Deutscher Grundstücksnutzer alle Fragen der Leser. Hier eine ,Auswahl von Fragen und Antworten:
In Bayern wurden jetzt die Straßenausbaubeiträge abgeschafft. Hat das Auswirkungen auf Thüringen oder muss ich noch mit einem Bescheid rechnen, wenn Bagger anrollen?
Sicher ist das ein politisches Signal aus Bayern, das bis nach Thüringen dringt. Doch die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen erfolgt nach Landesrecht. Es gelten also erst einmal die Regelungen des Thüringer Kommunalabgabengesetzes, die im Juni 2017 zuletzt geändert wurden. Demnach können die Gemeinden ab 1. Januar 2019 unter engen wirtschaftlichen Vorgaben selbst entscheiden, ob sie für – ab diesem Zeitpunkt beschlossene – Straßenausbaumaßnahmen Beiträge von den Anliegern verlangen oder nicht. Allerdings wird auch in Thüringen derzeit intensiv über eine vollständige Abschaffung der Straßenausbaubeiträge und eine künftige Finanzierung des Straßenausbaus aus Steuermitteln diskutiert. Dafür setzt sich unser Verband ein. Und nicht zuletzt hält das auch der Thüringer Gemeindeund Städtebund für die beste Lösung.
In unserer Gemeinde wird heftig über eine mögliche Senkung des Beitragssatzes für Anlieger gestritten. Welche Voraussetzung müsste unsere Kommune dafür erfüllen?
Theoretisch könnten die Gemeinden ab sofort bereits den Beitragssatz der Anlieger je nach Straßenklassifizierung auf bis zu 10 bis 20 Prozent absenken – allerdings unter strengen Vorgaben. Im Kommunalabgabengesetz heißt es, die Gemeinde kann von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, wenn es die dauernde Leistungsfähigkeit der Gemeinde zulässt, die Gemeinde in den vergangenen drei Haushaltsjahren keine Bedarfszuweisungen in Anspruch genommen hat und keine Bedarfszuweisungen benötigt. Zudem darf keine Verschlechterung der Haushaltssituation der Gemeinde zu befürchten sein. Notwendig ist dann eine Änderung der kommunalen Satzung durch Beschluss des Stadt- oder Gemeinderates. Die Auslegung dieser Gesetzesvorgaben ist jedoch in vielen Kommunen strittig, so dass von dieser Möglichkeit bisher kaum Gebrauch gemacht wurde.
Wir wohnen an einer Hauptverkehrsstraße. Auf wie viel Prozent könnte die Gemeinde den Anwohneranteil absenken?
In dem Fall könnte die Gemeinde laut Gesetz bis zu 90 Prozent der Gesamtkosten übernehmen, wenn sie die wirtschaftlichen
Vorgaben erfüllt und die kommunale Satzung den neuen gesetzlichen Möglichkeiten angepasst wird. Es blieben also zehn Prozent für die Anwohner im für sie günstigsten Fall. Bei einer reinen Anliegerstraße müssen die Anwohner indes mindestens 20 Prozent zahlen.
Ich habe Angst vor dem Beitragsbescheid, weil ich mehrere Tausend Euro nicht aufbringen kann. Gibt es für solche Fälle Sonderregelungen?
Das Gesetz räumt die Möglichkeit von fünf aufeinanderfolgenden Jahresraten ein. Das müssten Sie beantragen. In erheblichen Härtefällen kann der Beitrag in bis zu 20 Jahresraten entrichtet werden.
Vor unserem Haus sollen bald Straßenausbauarbeiten beginnen. Im Gemeinderat war mal von Straßenausbau die Rede, dann wieder von Erschließung. Worin besteht eigentlich der Unterschied? Laut Bundesbaugesetzbuch können Erschließungsbeiträge nur erhoben werden, wenn die Straße erstmals hergestellt wird. Im Baugesetzbuch ist auch festgelegt, dass der Gemeindeanteil der beitragsfähigen Maßnahme mindestens 10 Prozent beträgt. Meist müssen die Anlieger also 90 Prozent zahlen. Der Straßenausbau umfasst indes den Umbau, die Verbesserung, die Erweiterung oder die Erneuerung einer bereits vorhandenen Straße. Dafür werden die Anwohner
mit maximal 75 Prozent zur Kasse gebeten. Darum sollte man als Anlieger achtsam sein. Nicht selten versuchen Kommunen, eine Maßnahme des Straßenausbaus als Erschließung abzurechnen, um von den Anwohnern mehr Geld kassieren zu können.
Wer entscheidet darüber, wie die Kosten zwischen Gemeinde und Anwohnern für einen Straßenausbau konkret aufgeteilt werden?
Die konkreten Anteile werden in den Straßenausbaubeitragssatzungen der Kommunen festgelegt. Darüber entscheiden die Gemeinderäte. In der Mehrzahl der Bundesländer haben sich in den Satzungen der Städte und Gemeinden folgende kommunale
Anteile herausgebildet: Anliegerstraßen mindestens 25 Prozent (Anlieger entsprechend 75 Prozent), Haupterschließungsstraßen mit innerörtlichem Durchgangsverkehr 50 Prozent und Hauptverkehrsstraßen 75 Prozent. Diese Zahlen können von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich sein. Und in Thüringen haben die Kommunen bei Erfüllung strenger wirtschaftlicher Vorgaben die Möglichkeit, den Anliegeranteil weiter zu senken.
Unsere Straße soll erneuert werden. Auf der Informationsveranstaltung hieß es, dass wir sogar die Erweiterung der Bushaltestelle über unsere Straßenausbaubeiträ ge mitfinanzieren sollen. Ist das richtig?
In den Straßenausbaubeitrag anteilig einfließen können die Kosten für die Fahrbahn, den Gehweg, einen Radweg, die Regenentwässerung, Anliegerparkplätze, die Straßenbeleuchtung, das Pflanzen von Bäumen und Sträuchern sowie noch einige Posten. Dazu gehören, wenn es die örtliche Satzung festlegt, auch Bushaltestellen, soweit sie der erneuerten Verkehrsanlage zuzurechnen sind.
In unserer Gemeinde werden wiederkehrende Beiträge erhoben. Ist das rechtens?
Wiederkehrende Beiträge können in Thüringen für den Straßenausbau im gesamten Gemeindegebiet oder in einem Ortsteil erhoben werden und sind Jahr für Jahr zu zahlen. Dabei muss die Straße, an der die jeweils betroffenen Grundstückseigentümer wohnen, gar nicht angerührt werden. Bedingung ist lediglich, dass die Straßen und Plätze, die eine „Abrechnungseinheit“bilden, in einem funktionalem Zusammenhang stehen. Die Gesamtbelastung für die Anwohner wird damit nicht geringer, im Gegenteil, oft wird sie höher. Eine Kontrolle über die tatsächlich angefallenen umlagefähigen Kosten haben die Anwohner kaum noch. Viele Kommunen wollen zudem keine wiederkehrenden Beiträge, weil allein die Bestimmung der Abrechnungseinheiten juristisch oft anfechtbar ist. Zudem bringen wiederkehrende Beiträge einen hohen zusätzlichen Aufwand, da Beitragsbescheide für alle Straßenanlieger in jedem Jahr erstellt werden müssen.