Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Das kleine Mädchen
E in kleines Mädchen ohne Frisur hat mir neulich komplett den Stecker gezogen. Wir Journalisten standen am Gepäckband auf dem Flughafen in Sotschi und vertrieben uns die Zeit damit, einen Fußball herum zu kicken. Das Mädchen, vielleicht zwei Jahre alt, hatte zwarnoch kaum Haare auf dem Kopf, aber mächtig Lust mitzuspielen. Sie lief an, schoss den Ball in unsere Richtung. Doch als ich ihn ihr zurückspielte, hatte sie etwas anderes entdeckt und ließ uns links liegen.
Bei einer WM als Journalist dabei zu sein, ist auch für mich immer noch die Erfüllung eines beruflichen Traums. Aber etwas ist diesmal anders als vor vier Jahren in Brasilien. Ich bin jetzt Vater. Mein kleines Mädchen ist auch zwei Jahre alt. Und ehe Sie fragen: Sie hat eine Frisur. Wir können ihr sogar schon einen Zopf machen. Und obwohl ich lange darüber nachgedacht habe, finde ich keine Worte, die meine Liebe zu ihr ausreichend beschreiben können. Es ist kein einfaches Heimweh, was mich hier manchmal plagt, vor allem wenn ich andere kleine Mädchen sehe. Es ist Heimweh nach meiner Tochter und meiner Frau. Heimat, das sind die beiden für mich.
Meine Frau und ich haben uns vor dem Turnier ein Gegenmittel überlegt. Jeden Abend vor dem Einschlafen gibt es einen Videoanruf. Dann guckt meine Tochter aus müden Augen und sagt „Papa“, was mit Schnuller im Mund manchmal wie „Popo“klingt. Aber nachdem das in den ersten Tagen wunderbar klappte, hat meine Tochter plötzlich keine Lust mehr dazu. Neulich haute sie meiner Frau das Handy aus der Hand, als sie mich darauf sah. Vor zwei Tagen sagte sie schon nach zwei Minuten am Telefon zu mir: „Alle, alle. Tschüss Papa.“Dann wollte sie auflegen und mich links liegen lassen. Meine Frau musste lachen. Und es stimmt ja. Man muss das mit Humor nehmen. Und trotzdem tut es weh.
Wenn es überhaupt irgendetwas Gutes hätte, sollte die deutsche Nationalmannschaft früh aus dem WMTurnier fliegen, dann das: Popo wäre wieder zu Hause. Und dann müsste ich mit meiner Tochter wohl mal ein ernstes Wörtchen reden.