Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Allergie – die unterschätzte Gefahr
Mindestens ein Viertel der Deutschen ist betroffen. Experten warnen davor, die Überreaktion des Körpers zu ignorieren
Niesattacken, laufende Nase, juckende Augen – typische Symptome, die Allergiker nur zu gut kennen. Ihr Immunsystem kämpft gegen eigentlich harmlose Umweltstoffe: Allergene wie Milben, Nahrungsmittel oder Pollen.
Von einer Allergie betroffen sei mindestens jeder vierte Deutsche, erklärt Jörg Kleine-Tebbe vom Berliner Allergie- und Asthma-Zentrum Westend. Man könne beim allergischen Schnupfen, dem Heuschnupfen, daher getrost von einer Volkskrankheit sprechen. Doch von vielen werde diese unterschätzt, warnen die Experten. Blieben Allergien unbehandelt, könnte sich bei einem Viertel, vielleicht sogar bei einem Drittel Asthma entwickeln, so Kleine-Tebbe. Doch selbst wenn es nicht so weit komme, sei es wichtig, bei allergischen Reaktionen des Körpers zu reagieren, ergänzt Thomas Fuchs, Vizepräsident des Ärzteverbands Deutscher Allergologen. „Anfangs erleben Patienten, dass sie im Sommer vier Wochen, maximal drei Monate Probleme haben. Und dann vergessen sie die Geschichte“, erklärt der Göttinger Allergologe. „Doch die Krankheit kommt immer wieder, und bei vielen weitet sich die Allergieneigung aus.“Sogenannte Kreuzallergien entstehen.
Als Beispiel nennt Fuchs die Gruppe der Birkenpollen-Allergiker. Ungefähr jeder Zweite von ihnen entwickle eine Nahrungsmittel-Allergie, In der Nase kitzelt es, der Gaumen juckt – Anzeichen einer Allergie.
etwa auf Nüsse. Bliebe dies unbemerkt und die entsprechenden Lebensmittel würden gegessen, könne das in einem anaphylaktischen Schock enden. Außerdem könne man nicht vorhersagen, welche Allergene im Laufe der Zeit noch dazukämen.
Eine Möglichkeit, den Ausbruch einer Allergie vorherzusagen, also welche Menschen mit hoher Allergiebereitschaft wirklich krank werden, gibt es nicht. „Ich wäre aber schon froh, wenn alle Betroffenen eine gute Diagnostik und Behandlung bekämen“, so Fuchs.
Die Behandlung der Symptome ist sehr gut erforscht. Im Laufe der Jahre wurde eine Vielzahl an Antihistaminen entwickelt – Medikamente, die den Botenstoff Histamin blockieren und damit Augenjucken und Co. verhindern.
Es gibt sie als Tropfen, Spray oder Tabletten. KleineTebbe, der auch für die Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie arbeitet, rät, in der Apotheke nach Präparaten jüngeren Datums zu fragen, die nicht mehr müde machten, wie das rezeptfreie Loratadin. „Die andere Alternative ist das stärker wirksame Cetirizin. Jedoch werden hiervon noch immer einige Leute müde und nehmen es daher nur abends.“
Seit letztem Jahr sei außerdem eine neue Generation an kortisonhaltigen Nasensprays in der Apotheke frei verfügbar. Diese seien noch wirksamer und müssten nur einmal täglich angewendet werden. „Diese Sprays sind sehr sicher, weil sie nur eine ganz kleine Kortisondosis enthalten, die vom Körper sehr schnell abgebaut wird“, erklärt Kleine-Tebbe. Doch dass diese nun jeder in der Apotheke kaufen könne, ist für den Allergologen kein Durchbruch, sondern ein Skandal: Da Ärzte sie nicht mehr verschreiben könnten, würden die Kosten auch nicht mehr übernommen. „Damit haben sich die Krankenkassen aus der Symptombehandlung der allergischen Beschwerden zurückgezogen, und die Allergiker bleiben auf den Kosten sitzen.“
Die Krankenkassen argumentieren, dass die Präparate mittlerweile so sicher seien, dass keine ärztliche Verordnung mehr notwendig sei. Dennoch gebe es bei der Einnahme zwei Dinge zu beachten, erklärt Ursula Sellerberg vom Bundesapothekerverband: „Die Sprays wirken erst nach ein paar Tagen, da sich der Wirkstoff in der Nasenschleimhaut anreichern muss, bevor er eine Entzündung verhindert.“Sie rät daher, sich über den Polleninformationsdienst oder entsprechende Apps schlauzumachen, wann die persönliche Allergiesaison startet, und rechtzeitig mit der Einnahme zu beginnen. Außerdem könne man die Präparate mit Antihistamin-Tabletten kombinieren, da deren Wirkung recht schnell einsetze. „Abhängig davon, wie viel man gegessen hat, dauert das nur etwa eine Stunde.“
Darüber hinaus seien die kortisonhaltigen Mittel zwar nun rezeptfrei, dürften in der Apotheke aber nach wie vor nur abgegeben werden, wenn ein Arzt zuvor eine Allergie diagnostiziert hat. „Ich würde jedem Patienten dringend raten, gegenüber den Apothekern ehrlich zu sein und solche Auflagen ernst zu nehmen“, mahnt Sellerberg. „Das ist keine Schikane, sondern gelebter Patientenschutz.“
Diesem Appell können auch die anderen Experten nur zustimmen. Wer sich den manchmal lästigen Gang zum Arzt spare, so Kleine-Tebbe, dem fehle nicht nur die richtige Diagnose, sondern der lerne auch die anderen Behandlungsmöglichkeiten, die Hyposensibilisierung, gar nicht kennen. Hier werden die Allergene über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren monatlich hoch dosiert gespritzt oder kommen täglich als Tablette oder Tropfen unter die Zunge, damit der Körper diese im Laufe der Zeit nicht mehr als Gefahr ansieht. „Diese Behandlungsansätze erfordern eine große Disziplin bei den Patienten“, so Fuchs. „Wenn man nicht konsequent ist oder zu früh abbricht, ist die Allergie möglicherweise schlimmer als vorher, weil der Körper keine Toleranz induzieren konnte.“
Gefährliche Kreuzallergien