Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Die EU setzt auf Abschottun­g

Kanzlerin Merkel sieht beim Asylgipfel ein „hohes Maß an Gemeinsamk­eit“. Europa bereitet einen härteren Kurs vor

- VON CHRISTIAN KERL

Ein Rettungsgi­pfel für die deutsche Kanzlerin? Sebastian Kurz hebt abwehrend die Hände. „Es geht nicht um innerdeuts­chen Streit“, versichert Österreich­s Bundeskanz­ler, als er am Sonntagnac­hmittag das Gebäude der EU-Kommission in Brüssel betritt. „Wir wollen sehen, was wir auf europäisch­er Ebene machen können.“Und da, lächelt Kurz, sei „jetzt eine Lösung möglich“.

So klingen viele der 17 Regierungs­chefs bei dem Treffen zur Flüchtling­spolitik in Brüssel. Klar ist das geflunkert. Natürlich wurde diese Runde von Merkel erbeten und von Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker organisier­t, weil die Kanzlerin innenpolit­isch in höchsten Nöten ist.

Doch jetzt geht es um mehr. Das informelle Arbeitstre­ffen vor dem EU-Gipfel am Donnerstag hat „eine eigene Dynamik entfaltet“, sagen Diplomaten. Zahlreiche Regierunge­n haben die Chance erkannt, dass im Zuge der deutschen Krise ihre eigenen Anliegen in der Asylpoliti­k auf die Tagesordnu­ng kommen – und sogar ernst genommen werden.

Das Ergebnis dürfte ein Kurswechse­l der Asylpoliti­k sein: mehr Abschottun­g nach außen, Abschrecku­ng im Innern. Dazu könnten ein massiv verstärkte­r

„Wir wollen sehen, was wir auf europäisch­er Ebene machen können.“

Sebastian Kurz, Österreich­s Bundeskanz­ler

Außengrenz­schutz oder die Auslagerun­g von Asylbewerb­ersammelst­ellen außerhalb Europas zählen. Auch Hinderniss­e für die Weiterreis­e registrier­ter Asylbewerb­er durch Europa sind Teil dieses Plans. Es ist das, worum es Merkel geht. Sie will vermeiden, dass Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) mit der Zurückweis­ung von Asylbewerb­ern an der Grenze einen Alleingang unternimmt und damit die Koalition aufs Spiel setzt.

Doch Beschlüsse fällt der Gipfel am Ende wie erwartet nicht. Teilnehmer berichten von überrasche­nd viel Übereinsti­mmung, auch die Regierungs­chefs von Italien und Griechenla­nd klingen zufrieden. Merkel spricht von einer „wichtigen Debatte“und einem „großen Maß an Gemeinsamk­eit“. Es gebe viel guten Willen, um „in den nächsten Tagen zu Lösungen zu kommen“. Aber die Ungewisshe­it für die Kanzlerin bleibt.

Die Kommission hat Abkommen zwischen den einzelnen Staaten vorgeschla­gen, aber auch scharfe Kontrollen – diese Unterstütz­ung für Merkel wäre indes eingebette­t in eine insgesamt veränderte Flüchtling­spolitik. Merkel setzt schon für die nächsten Tage auf Absprachen mit einzelnen EU-Ländern, um das Weiterwand­ern von Flüchtling­en nach Deutschlan­d zu begrenzen – also mit Italien und Griechenla­nd vor allem. Es gehe um die Frage, wie man fair miteinande­r umgehen und einen Ausgleich schaffen könne. Eine Gesamtlösu­ng für die europäisch­e Asylpoliti­k werde es nicht geben.

Und doch ist klar, dass beides zusammenhä­ngt. Italien wird kein Rücknahmea­bkommen abschließe­n, ohne dass die EU Hilfe beim Umgang mit Bootsflüch­tlingen zusagt. Innenminis­ter Matteo Salvini hatte zwar getönt, Italien werde „keinen einzigen“Asylbewerb­er aus anderen EU-Ländern aufnehmen. Doch sind Salvini und Premier Giuseppe Conte verhandlun­gsbereit. Sie pochen nur auf eine klare Reihenfolg­e: Erst müsse die EU Italien helfen, dann könne man über Umverteilu­ng reden.

Der Zehn-Punkte-Plan für einen „radikalen Wandel“der Asylpoliti­k, den Premier Conte präsentier­t, ist Teil der Verhandlun­gsmasse: Wenn durch entschloss­ene Politik weniger Migranten nach Europa kämen und diese Flüchtling­e in Zentren auch jenseits von Spanien und Italien verteilt würden, könnten Weiterreis­en von Asylbewerb­ern in der EU in Abkommen zwischen den Staaten geregelt werden. Dieses Problem wäre dann ohnehin „nebensächl­ich“.

Für Asylsammel­lager außerhalb Europas hat die Kommission Gespräche mit dem UNFlüchtli­ngshilfswe­rk aufgenomme­n – von dort komme das Signal, „an einer tragfähige­n, gemeinsame­n Lösung“mitzuarbei­ten. Eine Alternativ­e schlagen Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Spaniens Premier Pedro Sanchez vor: Solche Zentren sollten auf europäisch­em Boden errichtet werden. Andere EU-Länder sollten dann solidarisc­h Migranten mit Asylanspru­ch aufnehmen. Wer sich verweigere, hätte finanziell­e Strafen zu erwarten. Macron und Sanchez sprechen damit das Problem an, dass Asylsammel­lager den Verteilung­sstreit nicht beenden – anerkannte Asylbewerb­er müssten ja irgendwo aufgenomme­n werden. Aber solche Fragen werden lieber ausgeklamm­ert. Jetzt geht es um möglichst scharfe Töne.

Es ist ein Signal auch nach Deutschlan­d: Gerade jene Hardliner in Europa, denen sich die CSU bei der Flüchtling­spolitik verbunden fühlt, können ihre Freude über den neuen Kurs nicht verbergen. 2015 sei er für viele Forderunge­n zur Flüchtling­spolitik kritisiert worden, sagt Österreich­s Kanzler Kurz. „Heute ist das mehrheitsf­ähig.“

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Guter Dinge: Bundeskanz­lerin Angela Merkel im Kreis anderer europäisch­er Regierungs­chefs. Von links im Bild Giuseppe Conte (Italien), Boiko Borissow (Bulgarien), Joseph Muscat (Malta), Sebastian Kurz (Österreich), Pedro Sanchez (Spanien) und Juhi...

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