Thüringische Landeszeitung (Gotha)
Die EU setzt auf Abschottung
Kanzlerin Merkel sieht beim Asylgipfel ein „hohes Maß an Gemeinsamkeit“. Europa bereitet einen härteren Kurs vor
Ein Rettungsgipfel für die deutsche Kanzlerin? Sebastian Kurz hebt abwehrend die Hände. „Es geht nicht um innerdeutschen Streit“, versichert Österreichs Bundeskanzler, als er am Sonntagnachmittag das Gebäude der EU-Kommission in Brüssel betritt. „Wir wollen sehen, was wir auf europäischer Ebene machen können.“Und da, lächelt Kurz, sei „jetzt eine Lösung möglich“.
So klingen viele der 17 Regierungschefs bei dem Treffen zur Flüchtlingspolitik in Brüssel. Klar ist das geflunkert. Natürlich wurde diese Runde von Merkel erbeten und von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker organisiert, weil die Kanzlerin innenpolitisch in höchsten Nöten ist.
Doch jetzt geht es um mehr. Das informelle Arbeitstreffen vor dem EU-Gipfel am Donnerstag hat „eine eigene Dynamik entfaltet“, sagen Diplomaten. Zahlreiche Regierungen haben die Chance erkannt, dass im Zuge der deutschen Krise ihre eigenen Anliegen in der Asylpolitik auf die Tagesordnung kommen – und sogar ernst genommen werden.
Das Ergebnis dürfte ein Kurswechsel der Asylpolitik sein: mehr Abschottung nach außen, Abschreckung im Innern. Dazu könnten ein massiv verstärkter
„Wir wollen sehen, was wir auf europäischer Ebene machen können.“
Sebastian Kurz, Österreichs Bundeskanzler
Außengrenzschutz oder die Auslagerung von Asylbewerbersammelstellen außerhalb Europas zählen. Auch Hindernisse für die Weiterreise registrierter Asylbewerber durch Europa sind Teil dieses Plans. Es ist das, worum es Merkel geht. Sie will vermeiden, dass Innenminister Horst Seehofer (CSU) mit der Zurückweisung von Asylbewerbern an der Grenze einen Alleingang unternimmt und damit die Koalition aufs Spiel setzt.
Doch Beschlüsse fällt der Gipfel am Ende wie erwartet nicht. Teilnehmer berichten von überraschend viel Übereinstimmung, auch die Regierungschefs von Italien und Griechenland klingen zufrieden. Merkel spricht von einer „wichtigen Debatte“und einem „großen Maß an Gemeinsamkeit“. Es gebe viel guten Willen, um „in den nächsten Tagen zu Lösungen zu kommen“. Aber die Ungewissheit für die Kanzlerin bleibt.
Die Kommission hat Abkommen zwischen den einzelnen Staaten vorgeschlagen, aber auch scharfe Kontrollen – diese Unterstützung für Merkel wäre indes eingebettet in eine insgesamt veränderte Flüchtlingspolitik. Merkel setzt schon für die nächsten Tage auf Absprachen mit einzelnen EU-Ländern, um das Weiterwandern von Flüchtlingen nach Deutschland zu begrenzen – also mit Italien und Griechenland vor allem. Es gehe um die Frage, wie man fair miteinander umgehen und einen Ausgleich schaffen könne. Eine Gesamtlösung für die europäische Asylpolitik werde es nicht geben.
Und doch ist klar, dass beides zusammenhängt. Italien wird kein Rücknahmeabkommen abschließen, ohne dass die EU Hilfe beim Umgang mit Bootsflüchtlingen zusagt. Innenminister Matteo Salvini hatte zwar getönt, Italien werde „keinen einzigen“Asylbewerber aus anderen EU-Ländern aufnehmen. Doch sind Salvini und Premier Giuseppe Conte verhandlungsbereit. Sie pochen nur auf eine klare Reihenfolge: Erst müsse die EU Italien helfen, dann könne man über Umverteilung reden.
Der Zehn-Punkte-Plan für einen „radikalen Wandel“der Asylpolitik, den Premier Conte präsentiert, ist Teil der Verhandlungsmasse: Wenn durch entschlossene Politik weniger Migranten nach Europa kämen und diese Flüchtlinge in Zentren auch jenseits von Spanien und Italien verteilt würden, könnten Weiterreisen von Asylbewerbern in der EU in Abkommen zwischen den Staaten geregelt werden. Dieses Problem wäre dann ohnehin „nebensächlich“.
Für Asylsammellager außerhalb Europas hat die Kommission Gespräche mit dem UNFlüchtlingshilfswerk aufgenommen – von dort komme das Signal, „an einer tragfähigen, gemeinsamen Lösung“mitzuarbeiten. Eine Alternative schlagen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Spaniens Premier Pedro Sanchez vor: Solche Zentren sollten auf europäischem Boden errichtet werden. Andere EU-Länder sollten dann solidarisch Migranten mit Asylanspruch aufnehmen. Wer sich verweigere, hätte finanzielle Strafen zu erwarten. Macron und Sanchez sprechen damit das Problem an, dass Asylsammellager den Verteilungsstreit nicht beenden – anerkannte Asylbewerber müssten ja irgendwo aufgenommen werden. Aber solche Fragen werden lieber ausgeklammert. Jetzt geht es um möglichst scharfe Töne.
Es ist ein Signal auch nach Deutschland: Gerade jene Hardliner in Europa, denen sich die CSU bei der Flüchtlingspolitik verbunden fühlt, können ihre Freude über den neuen Kurs nicht verbergen. 2015 sei er für viele Forderungen zur Flüchtlingspolitik kritisiert worden, sagt Österreichs Kanzler Kurz. „Heute ist das mehrheitsfähig.“