Thüringische Landeszeitung (Gotha)
In zehn Minuten aufs Parkett
„Sobald du im Ruhestand bist, melde ich uns beim Tanzen an!“Schon seit längerem schwebt K.‘s Ankündigung wie eine Drohung über mir. In vier, fünf Jahren werde ich keine beruflichen Verpflichtungen mehr vorschieben können, dann muss ich mich der Herausforderung stellen. Um der partnerschaftlichen Harmonie Willen. Auch, weil Tanzen fit hält und die Seele stärkt.
Leider kann ich so lange nicht mehr warten. Am Abend ist T.‘s AbiBall, und ich muss aufs Parkett.
Oh je, was tanzt man da so? Leider keinen Rock’n’Roll. Partnertänze wie Foxtrott, Walzer und DiscoFox sind angesagt. Da war doch mal was…
Richtig, die Tanzstunde, vor – nun ja, 45 Jahren. Wir waren in der zehnten Klasse, und der Kurs fand in einer zum Ballsaal aufgemöbelten Baracke statt. Rechts saßen die langhaarigen jungen Damen, links saßen wir, die langhaarigen jungen Herrn. Mehr als den Tanzlehrer hatten wir unsere Lieblingspartnerin im Auge.
Auf das Kommando „Darf ich bitten?“stürzten wir los.
Der Tanzlehrer in Frack und Lackschuhen gab den Takt an: „Links vor, rechts vor, links vor, rechts ran!“Oder: „Rechts vor, links seitwärts, rechts ran!“Nicht, dass ich mich noch so genau erinnere. Ich lese die Schritte vom Spickzettel der DVD ab, die K. für mich aufgelegt hat. Ein „LastMinuteTanzkurs“bei den Weltmeistern Olga MüllerOmeltchenko und Ralf Müller. „Tanzen lernen in zehn Minuten“, verspricht vollmundig das Cover. Vermutlich haben sie eine Null vergessen.
Ich schwitze seit einer halben Stunde. „Links vor, rechts vor…“Rechtsdrehung beim Foxtrott und WalzerPendelschritt klappen schon ganz gut. Aber die halbe und ganze „Brezel“lasse ich besser weg. Nach einer Stunde mache ich eine Entdeckung: Beinahe mühelos lässt sich alles im langsamen Walzerschritt tanzen.
„Wir werden nicht übers Parkett walzen!“, ruft K.
Also mühe ich mich weiter, mit dem Spickzettel in der Hand.
Irgendwann ist die SchnellkursScheibe abgespielt. T. springt ein und bringt, um ein Desaster zu vermeiden, ihren „Rollercoaster“Lautsprecher in Stellung.
Sollte sie mich auf ihrem Ball auffordern, könnte sie ja die Führung übernehmen. K. möchte geführt werden. Aber nicht von mir. Vielleicht sollten wir lieber auseinander tanzen, da habe ich eine Hand für den Zettel frei.
Für einen Moment vergesse ich das SchritteZählen und habe wieder meinen TanzkursAbschlussBall vor Augen. Meine Wunschpartnerin war damals kurzfristig erkrankt, und ich bekam eine große Korpulente zugeteilt, die sofort die Führung übernahm. Sie zog, schob und rollte mich übers Parkett. „Na bitte“, ruft T. begeistert, „klappt doch!“