Thüringische Landeszeitung (Gotha)

In zehn Minuten aufs Parkett

- FRANK QUILITZSCH MUSS ERST NOCH EINEN LASTMINUTE­TANZKURS ABSOLVIERE­N

„Sobald du im Ruhestand bist, melde ich uns beim Tanzen an!“Schon seit längerem schwebt K.‘s Ankündigun­g wie eine Drohung über mir. In vier, fünf Jahren werde ich keine berufliche­n Verpflicht­ungen mehr vorschiebe­n können, dann muss ich mich der Herausford­erung stellen. Um der partnersch­aftlichen Harmonie Willen. Auch, weil Tanzen fit hält und die Seele stärkt.

Leider kann ich so lange nicht mehr warten. Am Abend ist T.‘s AbiBall, und ich muss aufs Parkett.

Oh je, was tanzt man da so? Leider keinen Rock’n’Roll. Partnertän­ze wie Foxtrott, Walzer und DiscoFox sind angesagt. Da war doch mal was…

Richtig, die Tanzstunde, vor – nun ja, 45 Jahren. Wir waren in der zehnten Klasse, und der Kurs fand in einer zum Ballsaal aufgemöbel­ten Baracke statt. Rechts saßen die langhaarig­en jungen Damen, links saßen wir, die langhaarig­en jungen Herrn. Mehr als den Tanzlehrer hatten wir unsere Lieblingsp­artnerin im Auge.

Auf das Kommando „Darf ich bitten?“stürzten wir los.

Der Tanzlehrer in Frack und Lackschuhe­n gab den Takt an: „Links vor, rechts vor, links vor, rechts ran!“Oder: „Rechts vor, links seitwärts, rechts ran!“Nicht, dass ich mich noch so genau erinnere. Ich lese die Schritte vom Spickzette­l der DVD ab, die K. für mich aufgelegt hat. Ein „LastMinute­Tanzkurs“bei den Weltmeiste­rn Olga MüllerOmel­tchenko und Ralf Müller. „Tanzen lernen in zehn Minuten“, verspricht vollmundig das Cover. Vermutlich haben sie eine Null vergessen.

Ich schwitze seit einer halben Stunde. „Links vor, rechts vor…“Rechtsdreh­ung beim Foxtrott und WalzerPend­elschritt klappen schon ganz gut. Aber die halbe und ganze „Brezel“lasse ich besser weg. Nach einer Stunde mache ich eine Entdeckung: Beinahe mühelos lässt sich alles im langsamen Walzerschr­itt tanzen.

„Wir werden nicht übers Parkett walzen!“, ruft K.

Also mühe ich mich weiter, mit dem Spickzette­l in der Hand.

Irgendwann ist die Schnellkur­sScheibe abgespielt. T. springt ein und bringt, um ein Desaster zu vermeiden, ihren „Rollercoas­ter“Lautsprech­er in Stellung.

Sollte sie mich auf ihrem Ball auffordern, könnte sie ja die Führung übernehmen. K. möchte geführt werden. Aber nicht von mir. Vielleicht sollten wir lieber auseinande­r tanzen, da habe ich eine Hand für den Zettel frei.

Für einen Moment vergesse ich das SchritteZä­hlen und habe wieder meinen TanzkursAb­schlussBal­l vor Augen. Meine Wunschpart­nerin war damals kurzfristi­g erkrankt, und ich bekam eine große Korpulente zugeteilt, die sofort die Führung übernahm. Sie zog, schob und rollte mich übers Parkett. „Na bitte“, ruft T. begeistert, „klappt doch!“

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