Thüringische Landeszeitung (Gotha)

Die Werkbank der Liebe

Weimars „Theater im Gewölbe“präsentier­t mit „…sind alle Goethes Kinder“russische Literatur jenseits der politische­n Konjunktur

- VON HENRYK GOLDBERG

Christoph Theusner kommt auf die Bühne geschlurft und setzt sich an das weiße Klavier, dann kommt Hans Raths und greift zur Querflöte. Und zwischen ihnen sitzt Peter Rauch und wartet, dass sie ihm akustisch das Terrain bereiten.

Herr Raths lässt die Flöte zwitschern und trillern wie einst zu Weimars schönster Maienzeit, bis Herr Theusner mit der Gitarre signalisie­rt, dass es gar nicht um Goethe geht. Und weil er die Sache nun irgendwie voranbring­en muss, mengt Herr Rauch sich ein und murmelt: „Naht euch wieder, schwankend­e Gestalten…“.

Es ist aber ein Trick. Denn die sich nahenden Gestalten sind nicht Faust noch Margarethe, es sind eher ein großmäulig­er, aber sehr besoffener Hase und ein nicht ganz so wortmächti­ger Propagandi­st des Flugwesens. Die kleine Bühne am Markt muss Touristen locken und also ihre Offerten möglichst mit Klassik! mit Goethe! annonciere­n.

Aber hier ist gar nicht Goethe drin, es sind die Russen, von denen einer gesagt hat, sie „…sind alle Goethes Kinder“und schon hat‘s einen marktgerec­hten Titel. Und ein Programm russischer Literatur, das ein wenig willkürlic­h zusammenge­baut, aber durchaus angenehm dargebrach­t wirkt. Für Ost-Menschen allerdings bedarf es dieser kleinen Schummelei eher nicht, da sind der besoffene Hase, der agitierend­e Genosse Kossonosso­w, Teil ihrer kulturelle­n Erinnerung.

Und der Schauspiel­er Peter Rauch geht souverän um mit diesem kulturelle­n Gemeingut, er versucht nicht, Manfred Krug und Eberhard Esche nachzuspie­len, er spielt auf seine Art. Und zeigt uns das traurig-demütige Gesicht des ernüchtert­en Hasen, lässt das Gesicht des Wächters der Flugschule leuchten wie den hellen Mond, wenn der Agitator glücklich glaubt, endlich verstanden zu werden: Ja, natürlich! Was glaubt ihr denn!! Auch Pferde!!!

Und führt uns mit seinen Gesichtern durch das weite Feld der russischen Literatur. Das aufrecht empörte Gesicht von Tschechows Unteroffiz­ier, der absolut sicher weiß, dass das Volk sich zu ducken und das Maul zu halten hat. Oder die sachlich-irritierte­n Gesichter, wenn er berichtet was sich bei einem unversehen­en Besäufnis in einer Kommunalwo­hnung zutrug zwischen dem Bewohner, seiner nackten Frau und dem Hausverwal­ter.

Die Geschichte ist nicht mehr ganz so komisch, wenn man weiß, dass Daniil Charms 1942 mutmaßlich in der Leningrade­r Psychiatri­e verhungert­e. Und wie ein früher, heiterer Ausblick auf MeToo-Veranstalt­ungen wirkt der Vortrag des Genossen Puskow mit dem schönen Titel „Die Frau ist die Werkbank der Liebe“.

Und in gewisser Weise sind die Russen für die drei Künstler hier auch eine Art Werkbank der Liebe, eine Liebe, die diesen Abend spürbar prägt.

Am Ende steht Lermontows Segel in Russisch und Deutsch – und darum ging es wohl: Die Beziehung der und des Deutschen zur russischen Literatur. Eine Beziehung jenseits der politische­n Lagen. Jenseits der Perestroik­a, jenseits der Ostukraine und der Krim. Und jenseits des Fußballs ohnehin.

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Die Musiker Christoph Theusner (links) und Hans Raths (rechts) sowie der Schauspiel­er Peter Rauch (Mitte) widmen sich in ihrem neuen Programm Goethe und der Vielfalt der russischen Literatur und Musik. Foto: Theater

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