Thüringische Landeszeitung (Jena)
Christian soll leben
30Jähriger aus Gotha ist an besonders aggressiver Krebsart erkrankt – Helfen kann ihm nur noch ein teures Medikament – Familie startet Spendenaktion
GOTHA/MÜNCHEN. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit – und gegen einen unerbittlichen Feind, der ein junges Leben akut bedroht: Binnen zwei Wochen will Familie Zeng aus Gotha mehr als eine halbe Million Euro sammeln, um ihrem Sohn, Bruder und Ehemann die einzige Chance, seine Krankheit zu besiegen, zu ermöglichen.
Christian Zeng, groß, schlank, sportlich, ist gerade 29 Jahre alt geworden, als bei ihm im Februar 2016 das sogenannte BurkittLymphom diagnostiziert wird. Eine sehr seltene und besonders bösartige Krebsform, die das lymphatische System betrifft und einer der am schnellsten wachsenden Tumoren ist. Doch Christian ist nicht gewillt, sich dem Krebs kampflos zu ergeben, zumal das schnelle Wachstum die Tumorzellen auch besonders empfindlich gegenüber Zellgiften macht. Unmittelbar nach der Diagnose beginnt er deshalb mit der Chemotherapie.
Davonlaufen ist nicht möglich
Fast ein halbes Jahr lang erträgt der Gothaer lange Aufenthalte im Krankenhaus, die Nebenwirkungen der Zytostatika und auch die Isolation, die mit einer solchen Behandlung zwangsläufig einhergeht. Seine Freundin Stefanie und seine Familie, die immer an seiner Seite sind, erleben ihn in dieser Zeit als mental stark, mutig und entschlossen.
Christian, der in Baden-Württemberg Maschinenbau studierte und seit vier Jahren Projektleiter bei einem Münchner Unternehmen für Gabelstapler ist, will nicht, dass die Krankheit sein Leben dominiert, will nicht, dass sich alles dem Krebs unterordnet. Er liebt das Leben, sein Leben. Sobald es seine körperliche Verfassung zulässt, schlüpft er wieder in die Laufschuhe. Seit er mit 16 zu laufen begonnen hatte, gehörte das Laufen zu seinem Leben. 2007 bewältigte er seinen ersten Halbmarathon, seither nahm er an vielen Halbmarathons, Marathons und auch Ultramarathons teil.
Im Oktober 2016, nur kurze Zeit nach dem vorerst letzten Klinikaufenthalt, geht er bereits wieder beim Zeitsprung-Halbmarathon in München an den Start. Er weiß, dass er seiner Krankheit nicht davonlaufen kann. Aber er will ihr die Stirn bieten, will körperlich fit bleiben und sich nicht unterkriegen lassen. Das Laufen ist für ihn ein Stück Normalität.
In dieser Zeit macht er auch in der Beziehung zu seiner Stefanie, mit der er seit fünf Jahren zusammen ist, Nägel mit Köpfen. Am 31. August 2016, jenem Tag, an dem er den Krebs besiegt zu haben scheint und keine Tumorzellen mehr nachweisbar sind, macht er der Liebe seines Lebens einen Heiratsantrag. Den Ring, den er ihr dabei an den Finger steckt, hatte er zwischen den Klinikaufenthalten heimlich besorgt. Am 25. November 2016 folgt die standesamtliche Eheschließung. Gefeiert wird in kleinem familiärem Rahmen, für das Jahr darauf ist die große kirchliche Trauung geplant.
Christian und alle um ihn herum beginnen vorsichtig aufzuatmen und wieder Mut zu schöpfen. Am 31. Dezember 2016, seinem 30. Geburtstag, nimmt Christian am Silvesterlauf in München teil, im neuen Jahr darf er endlich wieder arbeiten. Alles scheint wieder gut.
Doch die Zeit der Hoffnung und des Glücks währt nur kurz: Schon eine Woche nach seinem Wiedereinstieg ins Berufsleben sieht sich Christian mit der Tatsache konfrontiert, dass der Krebs zurück ist. Am 31. Januar wird das Burkitt-Lymphom zum zweiten Mal bei ihm diagnostiziert. Christian, seine Frau und seine Familie sind am Boden zerstört. Jeder weiß schließlich, dass die Prognosen bei einem Rezidiv noch schlechter sind. Doch es gelingt ihnen, sich wieder aufzurappeln und nach vorn zu blicken. Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Erneut heißt es, alle Kräfte zu bündeln, gegen die Krankheit anzukämpfen, fest zusammenzustehen.
Christian wechselt vom Münchner Uniklinikum Großhadern an das Universitätsklinikum Würzburg. Denn dort gibt es mit Professor Dr. Max Topp einen Arzt, der schon viele internationale Studien auf dem Gebiet der Hämatologie/Onkologie geleitet hat. Christian und seine Familie haben das Gefühl, bei ihm in den besten Händen zu sein. Direkt nach der Ankunft in Würzburg beginnt Christian eine neue Chemotherapie.
Doch schon nach kurzer Zeit zeigt sich, dass sie nicht die erhoffte Wirkung hat. Schlimmer noch: Die Ärzte sehen keine Möglichkeit mehr, Christian zu helfen. Alle Standard-Therapien sind ausgeschöpft. Aber aufgeben? Das kommt gar nicht infrage und würde weder zu Christians Kampfgeist noch zu dem seiner Familie passen. Der Wille zu leben ist viel zu stark, als dass man sich jetzt geschlagen geben könnte. Zumal es da noch diese eine vielversprechende Chance gibt: ein Medikament namens Blincyto, das bisher für verschiedene Varianten der Leukämie erforscht und offiziell zugelassen wurde. Familie Zeng erfährt, dass damit sensationelle Heilungserfolge erzielt wurden – und auch, dass Christian alle Eigenschaften aufweist, die ihn für eine Behandlung mit Blincyto qualifizieren. Professor Topp ist zudem davon überzeugt, dass das Medikament auch Christian heilen könnte.
Kosten: Mehr als eine halbe Million Euro
Die Krux jedoch ist: Blincyto wurde bisher nicht in einer Studie für die spezielle Krebsart erforscht und zugelassen, an der der junge Thüringer erkrankt ist. Deshalb bezahlt die Krankenkasse das Medikament nicht. Und auch der Produzent ist nicht gewillt, es kostenfrei abzugeben. Er ist aber bereit, es zu verkaufen. Da Christian Zeng das Medikament 56 Tage nehmen müsste, eine Tagesdosis aber 9600 Euro kostet, werden insgesamt 537 600 Euro benötigt. Und das bis zum 7. April, dem Tag, an dem die Behandlung beginnen soll. Die Familie hat deshalb eine Spendenaktion gestartet, ein Youtube-Video eingestellt, eine Webseite gebaut und auch bei Facebook einen Aufruf gestartet. Sie appelliert an alle, die Christian kennen oder denen sein Schicksal nahegeht, sie zu unterstützen.
„Es ist unglaublich, welche Resonanz wir erfahren“, sagt Christians drei Jahre jüngere Schwester Anne-Christin Zeng, die froh ist, etwas tun zu können und nicht zur Untätigkeit verdammt zu sein. Ihrem Bruder, dessen Krankheit die Ärzte derzeit zu bremsen versuchen, gehe es körperlich relativ gut. Aber es sei schwer, den Mut nicht zu verlieren, an Heilung zu glauben. „Mit dem Kopf kommt man so wahnsinnig schwer hinterher“, sagt Anne-Christin. „Trotzdem heißt es jetzt, weiter zu machen. Denn Christian soll leben.“