Thüringische Landeszeitung (Jena)
Verhaltensmuster der vorherigen Diktatur In Ihrem Film geht es um Frauen in der DDR. Waren sie denn gleichberechtigt?
Klier zu Nachwirkungen der Nazizeit und der DDR
LEINEFELDE. Freya Klier war in der DDR nicht nur Bürgerrechtlerin, sie ist Regisseurin und Schauspielerin. Jetzt gewährt Einblicke in ihre Erinnerungen und zeigt ihren neuen Film „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht – Frauen in der DDR“.
„Du sollst dich erinnern“ist Ihr persönliches elftes Gebot. Woran wollen Sie erinnern?
Ich möchte an alles erinnern. Wir müssen wissen, woher wir kommen. Wir müssen wissen, wer unsere Eltern und Großeltern sind. Wir müssen unsere eigene Geschichte kennen. Es gibt so viel in der Geschichte, das nicht bearbeitet wurde. „Du sollst dich erinnern“heißt halt auch, wie ist dein Leben verlaufen? Wie ist dein Leben, was hast du für eine Kindheit gehabt, wer hat dich geprägt, welche Umstände waren das?
Erinnern: Woran und warum?
Erinnern wollte ich immer schon. Seit ich eine junge Frau war, im Schauspielstudium, als mir solche Sätze aufgefallen sind, wie: „Dich haben sie wohl vergessen zu vergasen.“Auch der Umgang mancher Menschen miteinander, die Sprache war wirklich furchtbar. Verhaltensmuster kamen noch aus dem Militärbereich, aus der Kaiserzeit oder von noch früher. Und seitdem mir das bewusst war, habe ich immer gedacht, man muss das bearbeiten, sich bewusst machen. Und die NaziZeit ist in der DDR gar nicht aufgearbeitet wurden. Wir haben in der Schule gelernt, dass alle Nazis im Westen sind. Und damit war das Thema für uns erledigt. Wir waren von heute auf morgen an der Seite der sowjetischen Befreier und die Nazis waren im Westen. Das hatte zur Folge, und das rächt sich bis heute, dass überhaupt niemand nachdenken musste, was er oder sie gemacht hat in der NS-Zeit. Es waren ja keine Aliens, die erst 1945 eingetroffen sind, sondern es war die Generation unserer Eltern und Großeltern. Sie musste sich nur nicht mehr damit beschäftigen. Und bei den Menschen, natürlich nicht bei allen, war das Bewusstsein gar nicht da, woher so ein Satz mit dem Vergasen nun eigentlich kommt. Die Verhaltensmuster von der vorherigen Diktatur wurden nicht reflektiert.
Sie sagten, dass die Verhaltensmuster noch heute zu spüren sind. Inwiefern?
Na klar, der ganze PegidaScheiß – ich sage das jetzt einfach mal so. Das ist ja kein Zufall, dass der vor allem im Osten ist. Das sind Verhaltensmuster, die kennen wir auch aus der DDR. Alleine wie über Menschen mit einer anderen Hautfarbe geredet wurde, die durften ja da gar nicht leben. Die mussten in ihrem Heimatland unterschreiben, dass sie nur studieren und kein deutsches Mädchen anbaggern, sondern danach zurückkommen. Auch der Umgang mit vietnamesischen Frauen: Sie standen unter Abtreibungszwang in der DDR. Gott sei Dank ist das alles schriftlich da, die SED hat es ja alles in ihren Maßnahmenplänen niedergeschrieben.
Sie sind eine der am häufigsten genannten Bürgerrechtlerinnen der DDR. Und Sie sind die Mitbegründerin der DDRFriedensbewegung von 1980?
Ja, bin ich. Bürgerrechtlerin hieß das in der DDR noch nicht. Wir haben eine Friedensbewegung 1980 gegründet, ausgehend von unserer Kirchengemeinde in Berlin-Pankow. Und es ging von Anfang an um die Entwicklung einer Demokratie in der DDR, auch gegen die Zerstörung der Umwelt. Und wir galten natürlich sofort als Staatsfeinde. Aber es war wichtig, dass endlich was passierte in unserem Land: Die Menschen wirkten ja schon wie versteinert. Ich fuhr Anfang der 80er-Jahre auch rum und erzählte, was wir in Berlin machen. In Jena sagte dann jemand, dass sie auch so etwas machen. Ich habe die Gruppen mit vernetzt, weil
ich durch das Theater auch viele Menschen kannte. Man spürte, dass eine Bewegung entsteht. Die Zeit war historisch ran. Ich nehme mal eine der Kurzbefragungen meiner Tochter Nadja, die den Film moderiert, als Antwort. Ein Mann antwortete direkt: „Nö.“„Und warum nicht?“, fragte Nadja. Er antwortete: „Weil die weniger verdient haben als wir.“Eine Frau aus der Gastronomie sagte: „Gleichberechtigung? Nee, gar nicht. Wir haben gearbeitet und die Männer haben im Hintergrund getrunken.“Eine andere Frau aber meinte: „Gleichberechtigung? Die hab ich mir genommen. Ich habe darum gekämpft.“Und alles stimmt. Gesetzlich gab es Gleichberechtigung, aber meist nicht in der Realität.
• Gespräch mit Freya Klier und Filmpräsentation „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht – Frauen in der DDR“am heutigen Dienstag, Uhr, im Frauenzentrum in Leinefelde
„Ich arbeite das auf, was viele in der Diktatur erlebt haben, um es heute anders zu machen. Aber auch, um zu ermutigen, sich für Demokratie einzusetzen.“ Freya Klier