Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Ich vermisse den Blick nach vorn“
Industriepräsident Dieter Kempf über den SPDKanzlerkandidaten Martin Schulz – und was er deutschen Unternehmen rät
wachsen. Damit entstehen in unserem Land rund 500 000 zusätzliche Arbeitsplätze. Das ist aber kein Grund, sich zurückzulehnen. Wir profitieren von einem derzeit günstigen EuroKurs, historisch niedrigen Zinsen und günstigen Ölpreisen. Wenn diese Faktoren nicht mehr wirken, kann unser Konjunktur-Kartenhaus in sich zusammenfallen. Doch die Politik verteilt lieber, als dass sie investiert.
Hat sich die große Koalition in den vergangenen vier Jahren für eine weitere Amtszeit
Die Politik muss massiv in Bildung investieren.
Bleibt da Spielraum für Steuersenkungen?
Über den Spitzensteuersatz brauchen wir nicht zu streiten. Schwierig wird es bei der kalten Steuerprogression. Den sogenannten Mittelstandsbauch abzuflachen, würde aber 20 bis 30 Milliarden Euro kosten. Eine Steuerentlastung, die Milliarden kostet, führt beim Einzelnen häufig nur zu Cent-Entlastungen.
Das wahre Problem ist die Sozialversicherung. Die Bürger zahlen hohe Beiträge bei gleichzeitig steigenden Überschüssen in den Sozialkassen. Daher ist meine Forderung klar: Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge, wo immer möglich.
Die deutsche Industrie verlangt keine Reduzierung der Steuern?
Genau – wichtiger fürs Wachstum von morgen sind Investitionen und Steuerstrukturreformen insbesondere für Unternehmen. Da muss die nächste Regierung ran. Das muss finanzierbar sein. In Dänemark etwa wurde das Steuersystem durch Typisierungen und Pauschalierungen deutlich vereinfacht. Zum Beispiel könnten wir einen höheren Werbungskosten-Pauschbetrag ansetzen statt Belege für jedes Fitzelchen. Dann würde sich auch die Diskussion um das von den Deutschen so wahnsinnig geliebte Kilometergeld erübrigen.