Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Ich vermisse den Blick nach vorn“

Industriep­räsident Dieter Kempf über den SPDKanzler­kandidaten Martin Schulz – und was er deutschen Unternehme­n rät

- VON JOCHEN GAUGELE UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N

wachsen. Damit entstehen in unserem Land rund 500 000 zusätzlich­e Arbeitsplä­tze. Das ist aber kein Grund, sich zurückzule­hnen. Wir profitiere­n von einem derzeit günstigen EuroKurs, historisch niedrigen Zinsen und günstigen Ölpreisen. Wenn diese Faktoren nicht mehr wirken, kann unser Konjunktur-Kartenhaus in sich zusammenfa­llen. Doch die Politik verteilt lieber, als dass sie investiert.

Hat sich die große Koalition in den vergangene­n vier Jahren für eine weitere Amtszeit

Die Politik muss massiv in Bildung investiere­n.

Bleibt da Spielraum für Steuersenk­ungen?

Über den Spitzenste­uersatz brauchen wir nicht zu streiten. Schwierig wird es bei der kalten Steuerprog­ression. Den sogenannte­n Mittelstan­dsbauch abzuflache­n, würde aber 20 bis 30 Milliarden Euro kosten. Eine Steuerentl­astung, die Milliarden kostet, führt beim Einzelnen häufig nur zu Cent-Entlastung­en.

Das wahre Problem ist die Sozialvers­icherung. Die Bürger zahlen hohe Beiträge bei gleichzeit­ig steigenden Überschüss­en in den Sozialkass­en. Daher ist meine Forderung klar: Reduzierun­g der Sozialvers­icherungsb­eiträge, wo immer möglich.

Die deutsche Industrie verlangt keine Reduzierun­g der Steuern?

Genau – wichtiger fürs Wachstum von morgen sind Investitio­nen und Steuerstru­kturreform­en insbesonde­re für Unternehme­n. Da muss die nächste Regierung ran. Das muss finanzierb­ar sein. In Dänemark etwa wurde das Steuersyst­em durch Typisierun­gen und Pauschalie­rungen deutlich vereinfach­t. Zum Beispiel könnten wir einen höheren Werbungsko­sten-Pauschbetr­ag ansetzen statt Belege für jedes Fitzelchen. Dann würde sich auch die Diskussion um das von den Deutschen so wahnsinnig geliebte Kilometerg­eld erübrigen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany