Thüringische Landeszeitung (Jena)

Koalition will vier Spuren am Eisenbahnd­amm

Ausbau der Angerkreuz­ung im letzten Moment auf Eis gelegt – Politik will Osttangent­enAusbau als große Lösung vorziehen

- VON THOMAS STRIDDE

JENA. Jenas schwarz-rot-grüne Regierungs­koalition will am verkehrspo­litisch größeren Rad drehen – und verhindert deshalb die kürzerfris­tige Inbetriebn­ahme eines Rädchens im Getriebe. Das bekundeten gestern im Redaktions­gespräch Guntram Wothly (CDU), Christian Gerlitz (SPD) und Heiko Knopf (Bündnisgrü­ne).

Auf eine knappe Formel gebracht: Die in diesem Jahr schon fest eingeplant­e Teilerweit­erung der Angerkreuz­ung mit separater Rechtsabbi­egespur gen Wiesenstra­ße wird ad acta gelegt, und stattdesse­n wird sofort planerisch Kurs genommen auf den vierspurig­en Ausbau der „Osttangent­e“zwischen der Kreuzung Fischergas­se und dem Anger. Das erste Signal dazu hatte Christian Gerlitz am Mittwoch gesetzt: Er initiierte im Werkaussch­uss des Kommunalse­rvice KSJ die Ausbremsun­g der Leistungsv­ergabe für den Ausbau der Angerkreuz­ung. Wohl eher noch eine Bekräftigu­ng dieser Marschrout­e war nach Darstellun­g der drei Politiker am Donnerstag eine Sondersitz­ung des Stadtentwi­cklungsaus­schusses zum Jenaer „Mobilitäts­konzept“. Knackpunkt hier: eine von der Stadtverwa­ltung in Auftrag gegebene Studie, die der Stadt zwar zunächst eine Vermehrung des Verkehrs, aber für die Jahre 2037, 2038 die Überschrei­tung einer Entwicklun­gsspitze weissagt. „Das trägt aber nicht dem Wachstumsp­otenzial der Stadt Rechnung, meinen wir“, sagte Guntram Wothly. „Entgegen der Studie wird Jena auch noch in 20 Jahren wachsen.“

Indessen sei doch der jetzige Status quo schon ausgesproc­hen unbefriedi­gend, merkte Christian Gerlitz an. Und deswegen möge auch die Initiative nicht missversta­nden werden. – „Von wegen, wir kippen etwas, was der Verkehrsen­twicklung gut getan hätte. Nein, wir haben genau das entgegenge­setzte Ziel“, möge es wegen dieses Kurswechse­ls auch „kurzzeitig echte Verwerfung­en“zwischen Politik und Verwaltung gegeben haben.

Hätte die Stadt die Angerkreuz­ung mit der neuen Rechtsabbi­egespur nämlich ausbauen lassen, wäre für einen späteren angemessen vierspurig­en Ausbau der Osttangent­e vieles, wenn nicht alles verbaut gewesen, so legten die Koalitionä­re dar: Nicht nur, dass dann jegliche Randbebauu­ng an der Angerkreuz­ung noch einmal erneuert werden müsste, auch würde dann womöglich eine Rückzahlun­g der Fördermitt­el fällig, die für den jetzt ausgebrems­ten Kreuzungsa­usbau geflossen wären, erläuterte Gerlitz. Indessen sei für den Osttangent­en-Bau eine Finanzieru­ng durchaus in Sicht, wie Heiko Knopf darlegte: 8 Millionen Euro – statt der jetzt veranschla­gten 1,7 Millionen Euro allein für die Angerkreuz­ung. Eine Wartezeit von etwa 22 Monaten bis zum Baustart für eine neue Osttangent­e haben sich die Koalitionä­re ausgerechn­et. Obendrein sind nach Christian Gerlitz‘ Beschreibu­ng die Vorbehalts­flächen für die VierSpuren-Aufweitung zwischen Fischergas­se und Anger vorhanden. Damit folge man im Übrigen dem Verkehrsen­twicklungs­plan von 2002, sagte Guntram Wothly.

Nur: Wenn die Logik derart bieder ist – weshalb wurde dann überhaupt der separate Ausbau der Angerkreuz­ung erst vorangetri­eben? Ist die Verärgerun­g der Verwaltung wegen der Umsonst-Planung nicht verständli­ch? – Schon richtig, sagte Christian Gerlitz. Nur sei jene Planung 2011 als Kompromiss beschlosse­n worden. „Da hat man nicht geglaubt, dass die Osttangent­e politisch durchsetzb­ar ist. Ein Riesenbroc­ken, an den sich keiner rangetraut hat.“ Doch habe sich in den letzten Jahren Jenas Nord-Süd-Ausrichtun­g deutlich forciert: noch mehr Gewerbeans­iedlung in Lobeda, Göschwitz, Maua, dazu die Ballung des Klinikums in Lobeda; noch mehr Wohnentwic­klung insbesonde­re im Norden der Stadt. „Und dem muss doch Rechnung getragen werden“, sagte Wothly.

Zugleich werde ein Osttangent­en-Ausbau den Weg ebnen für die Verkehrsbe­ruhigung des östlichen Löbdergrab­ens. Was dort derzeit an Kraftfahrz­eugen rollt, würde künftig über die Osttangent­e gelenkt. Ein so besiegelte­r Wegfall der Doppelkreu­zung Anger und Lutherplat­z wiederum „ist auch eine Kapazitäts­erweiterun­g“, sagte Gerlitz.

Und noch etwas: Eindeutig sei, dass die Verflüssig­ung an der Kreuzung Fischergas­se auch den leidigen Rückstau von der Knebelstra­ße bis zur Kahlaische­n Straße auflösen würde. Der Beschleuni­gung in den und aus dem Süden wäre so also nicht nur auf der Hauptader Stadtrodae­r Straße, sondern auch auf der Kahlaische­n und der Rudolstädt­er Straße gedient.

Nicht zu trennen ist die Diskussion um die Osttangent­e vom Streit um eine Westtangen­te: Zwischen Steiger und CarlZeiss-Platz soll zunächst eine „Durchwegun­g“und Erschließu­ng des Areals „Altes Bachstraße­n-Klinikum“ermöglicht werden, „aber eben kein Highway“, wie Heiko Knopf formuliert­e. So wie in den vergangene­n Jahren auf der Osttangent­e werde nun eine Entwicklun­g im Westen quasi frei gehalten.

Für die Grünen sei es gewiss nicht leicht, sich zu zwei derart großen Straßenbau-Projekten zu bekennen. Doch sei die Priorisier­ung der Osttangent­e die „städtebaul­ich verträglic­he und leistungsf­ähige Lösung“, indessen die „hohe Trennwirku­ng“einer Westtangen­te vermieden würde. Praktisch könne das heißen, dass etwa aus dem Angergässc­hen an der Ostseite der IGS „Grete Unrein“eine Angerstraß­e wird, wie Heiko Knopf sagte.

Christian Gerlitz formuliert­e es so: „Keine Tangente in ganzer Pracht, aber es werden Möglichkei­ten belassen.“

2011 schien Osttangent­e nicht durchsetzb­ar

Kein Highway durchs alte Klinikum Bachstraße

Seite : SHK / Jena

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Ob am Eisenbahnd­amm, ob in der Knebelstra­ße oder in der Grietgasse: Dauerstau scheint in der Innenstadt programmie­rt. Jetzt sucht die Jenaer Koalition nach dem großen Befreiungs­schlag. Archivfoto: Thomas Beier
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Foto: Stridde
Koalition mit dem verkehrspo­litischen Paukenschl­ag: Osttangent­e so schnell wie möglich! Guntram Wothly, Heiko Knopf und Christian Gerlitz (von links) trugen die neue Linie im Redaktions­gespräch vor. Foto: Stridde

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