Thüringische Landeszeitung (Jena)
Sprechende Wände
Fassaden projektions festival „Genius Loci Weimar“erhielt 84 internationale Einreichungen zu Cranachhaus, Herderkirche und Notenbank
WEIMAR. Kunst und Geschäft verbinden sich bei „Genius Loci Weimar“, dem überaus erfolgreichen Festival für Fassadenprojektionen, seit Anbeginn. Nicht von ungefähr entspringt dieses hochsommerliche Kulturereignis, das zuletzt mit geschätzt bis zu 50 000 Besuchern an drei Tagen förmlich überrannt wurde, gleichsam einer Studie aus dem Wirtschaftsministerium. Sie diagnostizierte vor fünf Jahren, Thüringens sogenannte Kreativwirtschaft habe ein Wahrnehmungsproblem.
Wenn man nun also seit 2012 in Weimar Hauswände öffentlichkeitswirksam zum Sprechen bringt („Make walls talk“), so will man damit nicht zuletzt ein internationales Aufmerksamkeitsdefizit beheben. Dafür stellt das Wirtschaftsministerium jährlich über 200 000 Euro bereit; die Förderzusage gilt bis inklusive 2019.
Wie sich der Geist eines Ortes, der Genius Loci also, mit Macht und Geld verbindet, davon aber auch wieder gelöst werden kann, will die sechste Ausgabe des Festivals im kommenden August subtil erzählen. Als Schaufenster für einen Standortfaktor, ließe sich sagen, schaut es zugleich an drei Standorten auf den marktrelevanten Faktor Glauben.
Den Anlass liefern zwei Jubiläen: 500 Jahre Reformation und 150 Jahre „Das Kapital“von Marx. Die Brücke schlägt für das Festival der Soziologe Max Weber, der 1904/05 „die von niemandem bisher bezweifelte Tatsache der auffällig starken Kongruenz von Protestantismus und modernen Kapitalismus“untersuchte.
Weber machte eine Wahlverwandtschaft aus, mit Blick auf den Calvinismus. Mit seiner Schrift „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“sozusagen als Rüstzeug, hat das Festival zu Jahresbeginn die Bespielung dreier Fassaden international ausgeschrieben.
Da ist zunächst jenes Renaissancehaus an Weimars Markt-Ostseite, in dem heutzutage das „Theater im Gewölbe“zu Hause ist und in das Lucas Cranach der Ältere anno 1552 einzog. Der 80-Jährige nahm dort für sein letztes Lebensjahr Quartier bei Tochter und Schwiegersohn. Cranach, der ja nicht einfach nur ein großer Maler war, sondern gerade auch als Künstler ein erfolgreicher Geschäftsmann und Propagandist, kam mit seinem alten Fürsten Johann Friedrich aus der Gefangenschaft in die neue Residenz Weimar.
Der alsbald runderneuerte Machtanspruch des geschlagenen protestatantischen Ernestiner-Geschlechts manifestiert sich nicht zuletzt in Weimars Stadtkirche, deren Fassade „Genius Loci Weimar“ebenfalls bespielt. Auch ein authentischer Lutherort, steht dort der Altar von Lucas Cranach dem Jüngeren, auf dem er Luther und seinen Vater ebenso verewigte wie die herzogliche Familie.
Wettbewerbsbeiträge für diese Herderkirche sollen eine Klanginstallation integrieren, wie sie das Festival in den vergangenen beiden Jahren separat präsentierte: mit der in Ilmenau entwickelten Iosono-Sourround-Sound-Technologie, einer Mehrkanalanlage.
Vervollständigt wird die diesjährige Trilogie von der alten „Notenbank Weimar“. In das Ende des 19. Jahrhunderts
„Wir sind Teil dieser Kampagne!“
Festivalchef Hendrik Wendler über „Genius Loci Weimar“als Schaufenster des Landes Thüringen für die hiesige Kreativwirtschaft
errichtete Gebäude zog 1923, als die Hyperinflation zur massivsten Geldentwertung der Geschichte führte, die Thüringische Staatsbank ein. Nachdem sie später ein entscheidender Ort des NaziGaus war, residierte hier schließlich die Staatsbank der DDR.
Inzwischen ist das Gebäude ein Depot musikalischer Notierung, als Sitz einer Stiftung, die die aus North Carolina stammende Musikpädagogin Lorna Heyge ins Leben rief.
Für die drei Fassaden sind bis Anfang April insgesamt 84 Projekte eingereicht worden: halbminütige Videoclips,
aus denen am Ende 10- bis 15-minütige audiovisuelle Projektionen werden sollen, nach dem Prinzip des Videomappings. Ein Viertel der Beiträge stammt aus Asien. Amerika, Südafrika und Australien, der Rest aus 13 europäischen Ländern. Ebenfalls ein Viertel der Künstlergruppen bewarb sich aus Deutschland, darunter auch solche, die ursprünglich aus dem Ausland kommen.
Die Beiträge sind ab heute in einer Ausstellung auf Gebäudemodellen zu sehen, die bis zum Sommer durch Weimarer Geschäfte wandern. Zugleich kann sie jedermann im Internet nicht nur begutachten, sondern auch bewerten. Die Öffentlichkeit nämlich ist via Internet-Abstimmung das achte Mitglied einer Jury, die ansonsten aus sieben internationalen Künstlern und Fachleuten besteht.
In dreieinhalb Wochen, am 20. Mai, stehen drei Gewinner fest. Sie erhalten jeweils 16 000 Euro für die Realisierung ihrer Arbeiten, die vom 11. bis 13. August gezeigt werden. Das bedeute „einen der höchstdotieren Medienkunstpreise überhaupt“, so Festivalchef Hendrik Wendler.