Thüringische Landeszeitung (Jena)

Dämme des Anstands

Über die Verrohung im Internet

- VON THORSTEN BÜKER • Seite 14: Jena

Eine Verrohung des digitalen und öffentlich­en Diskurses: Das haben wir den sozialen Medien zu verdanken. Zumindest sind diese ein Ort, wo Beschimpfu­ngen und Beleidigun­gen tagtäglich zum guten Ton gehören. Leider.

Medienwiss­enschaftle­r sinnieren gerne darüber, ob Facebook die Fortsetzun­g des Stammtisch­es mit anderen Mitteln ist. Früher prosteten sich zehn Menschen in einer Kneipe zu, heute treffen sich Tausende im Netz. Das Phänomen der Echokammer ist allerdings geblieben: Man kommunizie­rt unter Gleichgesi­nnten und hat nur die Seiten gelikt, die die eigene Meinung bestätigen. Die geistige Inzucht, sie lebe hoch.

Ich war schon erstaunt, wie Jenaer, die den Stadtentwi­cklungspro­zess ehrenamtli­ch als Themenpate begleiten und sich für ihre Stadt engagieren, sofort beschimpft werden: Da werden gleich die Grenzen hochgezoge­n und die Trennung zwischen Einheimisc­hen und Auswärtige­n vollzogen. Jena, weltoffene Stadt: Ich hoffe, dass es einen Unterschie­d gibt zwischen der veröffentl­ichten Meinung und der öffentlich­en Meinung. Und ich weiß, dass sich im wirklichen Leben Menschen mit Anstand begegnen. Die Dämme des Anstands brechen anderswo. Wer am Stammtisch nur auf Streiterei­en und Stimmungsm­ache setzt, wäre vom Wirt längst mit einem Hausverbot belegt worden. Leider ist die digitale Welt viel liberaler.

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