Thüringische Landeszeitung (Jena)
Einmal Staub wischen bei Luther
Kirchentag auf dem Weg: Reformators Grabplatte bei St. Michael bleibt rätselhafter Magnet
JENA. Zeig, was du hast! – Jena hat von Donnerstag an und bis zum Sonntag beim „Kirchentag auf dem Weg“den Gästen viele Bezüge zum Reformator Luther zu bieten. Darunter ist und bleibt die an der Wand des nördlichen Seitenschiffs der Stadtkirche St. Michael angebrachte Grabplatte Martin Luthers das Herzstück.
Das sieht auch Katharina Elsäßer so, die in der Evangelisch -Lutherischen Kirche Jena nicht nur Gemeindekirchenratsmitglied ist, sondern bei St. Michael seit 2010 auch zum kleinen Team der Kirchen-Wachen gehört. „Am meisten wird gefragt, warum die Platte hier ist“, sagt Katharina Elsäßer. „Und das erzähle ich dann gern lang und breit.“ Kurz und knapp lässt sich in Stichworten dazu sagen: 1547 Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg gut ein Jahr nach Luthers Tod; 1548 – als Ersatz für das verlorene Wittenberg – Gründung der „Hohen Schule“in Jena durch die Ernestiner mit „Hanfried“Johann Friedrich I. an der Spitze; dann das Ringen seiner Söhne um Jena als Hort des Luthertums; 1571 der Befehl des Herzogs Johann Wilhelm von SachsenWeimar, die Grabplatte in der Stadtkirche Jena aufzustellen. Dazu der berühmte Hinweis des Hanfried-Sohnes: „Dieses Bildnis haben wir nicht zur Anbetung, sondern zum Gedenken hier angebracht.“
Nach einem Entwurf von Lucas Cranach dem Älteren war der Bronzeguss 1548 in Erfurt gefertigt worden, ohne wegen der Kriegswirren die letzte Ruhestätte Martin Luthers – die Schlosskirche Wittenberg – jemals erreicht zu haben.
„Es ist keine Reliquie, aber viele kommen, um die Platte zu sehen“, sagt Jenas Kirchmeister Friedrich Bürglen. Und wie wird das Stück in Schuss gehalten, das als Bronzeguss aus LutherRelief, Schrift und Lutherrose in eine Holzplatte eingearbeitet ist? Ein wichtiger Schritt sei in dieser Frage die Sonderausstellung „Fundsache Luther“des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle im Jahre 2008 gewesen, wo die Grabplatte als Leihgabe gezeigt wurde, sagt Bürglen: „Die mussten uns dafür nix bezahlen, haben die Platte aber restauratorisch behandelt.“
Katharina Elsäßer fügt hinzu: „Und das war auch gut so. Die Platte hatte schon von hinten her angefangen zu gammeln. Für die nächsten 50 Jahre ist jetzt alles in Ordnung.“Und wie steht es mit dem Staubwischen? Ist das vonnöten? „Na, nicht so einfach mit Staublappen“, sagt Katharina Elsäßer. „Einmal im Jahr wird aber Staub gewischt unter Beachtung aller Sicherheitsaspekte.“Soll heißen: Gewiss wird dann die Alarmanlage kurz vom Netz genommen.
Des touristischen Zustroms wegen der Luther-Grabplatte könne Jena sich wohl stets sicher bleiben, schätzt Katharina Elsäßer ein. Sie bekomme immer wieder mit, dass auch internationale Gäste in Wittenberg den Verweis auf die Originalplatte in Jena erhalten haben. Oder die Querverbindung ins benachbarte Touristen-Dorado Weimar: Dort finden Interessierte den Verweis auf Jena in der Herderkirche, wo Hanfried seine letzte Ruhestätte hat. Dessen Grabplatte, so erläuterte Katharina Elsäßer, sei genauso groß wie die des Martin Luther. Luthers Grabplatte sei anno dazumal mit der Maßgabe in Auftrag gegangen, „eines Fürstes würdig“zu sein.
Ein heikler Moment für die Grabplatte sei gewiss die Bombardierung der Stadt am Ende des Zweiten Weltkrieges gewesen. Hätte, wenn und aber: Hätte die Universität durchgesetzt, die Grabplatte – weil einst ein Geschenke an die Uni – in die Collegienkirche zu geben, dann wäre das Stück wohl mit jener Kirche im Bombenhagel zerstört worden, sagt Friedrich Bürglen. Katharina Elsäßer weiß zu berichten, dass die Platte in den letzten Kriegstagen im heutigen Lutherhaus zwischengelagert wurde. Ein feiner Kreisschluss ist es insofern wohl, dass heute ein 1:1Foto der Grabplatte im Lutherhaus verblieben ist – das Bild hatte das Hallische Landesmuseum für Vorgeschichte 2008 für die Dauer der Leihgabe des Originals bereitgestellt.
Vielleicht hat es Luther am Mittwoch beim Blick aus dem Himmel gefreut: Nahe seiner Grabplatte sitzen vier Frauen und vier Kinder aus Süd-Sibirien, genauer: aus der 78 000Einwohner-Stadt Tschernogorsk unweit des Riesenflusses Jennisei in der russischen Teilrepublik Chakassien.
Gut erklären kann diese Konstellation Matthias Zierold, der Pfarrer des Nord-Sprengels der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jena: Die Gruppe ist während des „Kirchentags auf dem Weg“zu Gast beim Sprengel Jena-Nord und gehört der 35köpfigen Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in der sibirischen Stadt an. „Sie werden dort mehr als Sekte wahrgenommen. Selbst bei der Ausreise behandelte man sie despektierlich und fragte, worin der Unterschied ihres Glaubens zum Christentum bestehe.“
Umgedreht bei der Ankunft in Berlin. Da hätten die Beamten im Flughafen sofort freundlich ausgerufen: Ach, ja, klar, Kirchentag.
Nächstes Jahr, so berichtete Matthias Zierold, besuche eine Gruppe des Nord-Sprengels die Partnergemeinde in Sibirien.
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Nicht zur Anbetung, sondern zum Gedenken
EvangelischLutherische wie eine Sekte betrachtet