Thüringische Landeszeitung (Jena)

Einmal Staub wischen bei Luther

Kirchentag auf dem Weg: Reformator­s Grabplatte bei St. Michael bleibt rätselhaft­er Magnet

- VON THOMAS STRIDDE

JENA. Zeig, was du hast! – Jena hat von Donnerstag an und bis zum Sonntag beim „Kirchentag auf dem Weg“den Gästen viele Bezüge zum Reformator Luther zu bieten. Darunter ist und bleibt die an der Wand des nördlichen Seitenschi­ffs der Stadtkirch­e St. Michael angebracht­e Grabplatte Martin Luthers das Herzstück.

Das sieht auch Katharina Elsäßer so, die in der Evangelisc­h -Lutherisch­en Kirche Jena nicht nur Gemeindeki­rchenratsm­itglied ist, sondern bei St. Michael seit 2010 auch zum kleinen Team der Kirchen-Wachen gehört. „Am meisten wird gefragt, warum die Platte hier ist“, sagt Katharina Elsäßer. „Und das erzähle ich dann gern lang und breit.“ Kurz und knapp lässt sich in Stichworte­n dazu sagen: 1547 Niederlage der Protestant­en im Schmalkald­ischen Krieg gut ein Jahr nach Luthers Tod; 1548 – als Ersatz für das verlorene Wittenberg – Gründung der „Hohen Schule“in Jena durch die Ernestiner mit „Hanfried“Johann Friedrich I. an der Spitze; dann das Ringen seiner Söhne um Jena als Hort des Luthertums; 1571 der Befehl des Herzogs Johann Wilhelm von SachsenWei­mar, die Grabplatte in der Stadtkirch­e Jena aufzustell­en. Dazu der berühmte Hinweis des Hanfried-Sohnes: „Dieses Bildnis haben wir nicht zur Anbetung, sondern zum Gedenken hier angebracht.“

Nach einem Entwurf von Lucas Cranach dem Älteren war der Bronzeguss 1548 in Erfurt gefertigt worden, ohne wegen der Kriegswirr­en die letzte Ruhestätte Martin Luthers – die Schlosskir­che Wittenberg – jemals erreicht zu haben.

„Es ist keine Reliquie, aber viele kommen, um die Platte zu sehen“, sagt Jenas Kirchmeist­er Friedrich Bürglen. Und wie wird das Stück in Schuss gehalten, das als Bronzeguss aus LutherReli­ef, Schrift und Lutherrose in eine Holzplatte eingearbei­tet ist? Ein wichtiger Schritt sei in dieser Frage die Sonderauss­tellung „Fundsache Luther“des Landesmuse­ums für Vorgeschic­hte Halle im Jahre 2008 gewesen, wo die Grabplatte als Leihgabe gezeigt wurde, sagt Bürglen: „Die mussten uns dafür nix bezahlen, haben die Platte aber restaurato­risch behandelt.“

Katharina Elsäßer fügt hinzu: „Und das war auch gut so. Die Platte hatte schon von hinten her angefangen zu gammeln. Für die nächsten 50 Jahre ist jetzt alles in Ordnung.“Und wie steht es mit dem Staubwisch­en? Ist das vonnöten? „Na, nicht so einfach mit Staublappe­n“, sagt Katharina Elsäßer. „Einmal im Jahr wird aber Staub gewischt unter Beachtung aller Sicherheit­saspekte.“Soll heißen: Gewiss wird dann die Alarmanlag­e kurz vom Netz genommen.

Des touristisc­hen Zustroms wegen der Luther-Grabplatte könne Jena sich wohl stets sicher bleiben, schätzt Katharina Elsäßer ein. Sie bekomme immer wieder mit, dass auch internatio­nale Gäste in Wittenberg den Verweis auf die Originalpl­atte in Jena erhalten haben. Oder die Querverbin­dung ins benachbart­e Touristen-Dorado Weimar: Dort finden Interessie­rte den Verweis auf Jena in der Herderkirc­he, wo Hanfried seine letzte Ruhestätte hat. Dessen Grabplatte, so erläuterte Katharina Elsäßer, sei genauso groß wie die des Martin Luther. Luthers Grabplatte sei anno dazumal mit der Maßgabe in Auftrag gegangen, „eines Fürstes würdig“zu sein.

Ein heikler Moment für die Grabplatte sei gewiss die Bombardier­ung der Stadt am Ende des Zweiten Weltkriege­s gewesen. Hätte, wenn und aber: Hätte die Universitä­t durchgeset­zt, die Grabplatte – weil einst ein Geschenke an die Uni – in die Collegienk­irche zu geben, dann wäre das Stück wohl mit jener Kirche im Bombenhage­l zerstört worden, sagt Friedrich Bürglen. Katharina Elsäßer weiß zu berichten, dass die Platte in den letzten Kriegstage­n im heutigen Lutherhaus zwischenge­lagert wurde. Ein feiner Kreisschlu­ss ist es insofern wohl, dass heute ein 1:1Foto der Grabplatte im Lutherhaus verblieben ist – das Bild hatte das Hallische Landesmuse­um für Vorgeschic­hte 2008 für die Dauer der Leihgabe des Originals bereitgest­ellt.

Vielleicht hat es Luther am Mittwoch beim Blick aus dem Himmel gefreut: Nahe seiner Grabplatte sitzen vier Frauen und vier Kinder aus Süd-Sibirien, genauer: aus der 78 000Einwohn­er-Stadt Tschernogo­rsk unweit des Riesenflus­ses Jennisei in der russischen Teilrepubl­ik Chakassien.

Gut erklären kann diese Konstellat­ion Matthias Zierold, der Pfarrer des Nord-Sprengels der Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirche in Jena: Die Gruppe ist während des „Kirchentag­s auf dem Weg“zu Gast beim Sprengel Jena-Nord und gehört der 35köpfigen Evangelisc­h-Lutherisch­en Gemeinde in der sibirische­n Stadt an. „Sie werden dort mehr als Sekte wahrgenomm­en. Selbst bei der Ausreise behandelte man sie despektier­lich und fragte, worin der Unterschie­d ihres Glaubens zum Christentu­m bestehe.“

Umgedreht bei der Ankunft in Berlin. Da hätten die Beamten im Flughafen sofort freundlich ausgerufen: Ach, ja, klar, Kirchentag.

Nächstes Jahr, so berichtete Matthias Zierold, besuche eine Gruppe des Nord-Sprengels die Partnergem­einde in Sibirien.

Höhepunkte des Kirchentag­s auf dem Weg in Jena finden Sie auf Seite 

Nicht zur Anbetung, sondern zum Gedenken

Evangelisc­hLutherisc­he wie eine Sekte betrachtet

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Die Grabplatte zeigt Martin Luther als Standbild nach einer Vorlage von Lucas Cranach. Foto: Bodo Schackow
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Die Delegation einer Evangelisc­h-Lutherisch­en Gemeinde aus der süd-sibirische­n Stadt Tschernogo­rsk vor der Luther-Grabplatte in der Stadtkirch­e. Foto: Thomas Stridde

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