Thüringische Landeszeitung (Jena)

Steinbrück verdirbt Schulz den Wahlkampf

„Realitätsv­erlust“und „Heulsusen“: ExKanzlerk­andidat meldet sich mit ätzender Kritik zurück und löst Empörung in der SPD aus

- VON CHRISTIAN KERL

BERLIN. SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz will wieder in die Offensive kommen. „Gerechtigk­eit, Zukunft, Europa – das ist der Auftrag der SPD“, ruft Schulz in einer kämpferisc­hen Rede in der Berliner Parteizent­rale. Wer die Ministerri­egenderSoz­ialdemokra­ten und der Union im Kabinett vergleiche, für den sei klar, dass die nächste Regierung von der SPD geführt werden müsse.

500 Genossen bejubeln den Auftritt am Sonnabend bei einer Wahlkampfk­onferenz. Eine Stunde später erlebt Schulz einen neuen Rückschlag: Da laufen im Willy-Brandt-Haus die ersten Nachrichte­n über ein Interview ein, das der SPDKanzler­kandidat von 2013, Peer Steinbrück, gegeben hat. Der 70jährige Polit-Rentner meldet sich mit ätzender Kritik an der SPD zurück und schimpft über die zeitweilig­e Schulz-Euphorie der Parteibasi­s.

„Die 100 Prozent im März bei seiner Wahl zum Parteivors­itzenden waren vergiftet“, sagt Steinbrück der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“über Schulz. „Die Partei saß plötzlich auf Wolke sieben, es hat sich ein Realitätsv­erlust eingestell­t, und das Publikum hat sich gewundert: Steht da jetzt Erich Schulz-Honecker?“Die SPD sei manchmal „manischdep­ressiv“, beklagt der ehemalige Finanzmini­ster, gelegentli­ch treffe der Begriff „Heulsusen“ihren Gemütszust­and. Mit dem Interview will Steinbrück Werbung für ein Kabarettpr­ogramm machen, das er im Juli, zu Beginn des heißen Bundestags­wahlkampfe­s, gemeinsam mit dem Kabarettis­ten Florian Schroeder startet.

Während Steinbrück viele SPD-Mitglieder als „verbiester­t“kritisiert, lobt er FDP-Chef Christian Lindner für seinen „nicht aufgesetzt­en, lockeren“Stil. Und er warnt, die Konzentrat­ion auf Gerechtigk­eit reiche im Wahlkampf nicht, es müsse auch um Zukunftsop­tionen gehen – eine Einsicht, die Schulz auch schon selbst gekommen ist.

In der SPD-Führung lösen Steinbrück­s Äußerungen Kopfschütt­eln, wenn nicht Empörung aus. Bissige GenossenSc­helte hat Steinbrück auch früher geübt. Aber die Einlassung­en im Wahlkampf sind von anderer Qualität, dies muss er nach seinen Niederlage­n 2005 in Nordrhein-Westfalen und 2013 bei der Bundestags­wahl wissen. Michael Roth (SPD), Staatsmini­ster im Auswärtige­n Amt, nennt die Querschüss­e „mies. Charakterl­ich. Inhaltlich. Strategisc­h. Taktisch.“

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Vor vier Jahren verstanden sich Peer Steinbrück (l.) und Martin Schulz noch gut. Foto: imago stock

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