Thüringische Landeszeitung (Jena)
Ohne Salz fehlt etwas
Mit einem Sendungsgottesdienst auf deni Jenaer Markt endet der Kirchentag
Mit einem Sendungsgottesdienst auf dem Markt endete am Samstag in Jena der „Kirchentag auf dem Weg“. In seiner Predigt erinnerte der Stuttgarter Landesbischof Frank Otfried July an die Anschläge in Manchester sowie gegen koptische Christen in Ägypten.
Pinke Schärpen? Während die grünen Halstücher die vielen Helfer markierten und der orange Schal mit dem aufgedruckten Bibelwort „Du siehst mich“bereits heute nur noch ein Kirchentags-Andenken ist, überraschte eine Traube von Frauen die Menschen auf dem Markt. Luther und die Frauen? Christentum und Emanzipation? Die Wahrheit war schlichter, denn eine werdende Braut feierte ihren Junggesellinnenabschied und verschwand mit ihren Freundinnen ebenso schnell, wie sie gekommen war. Dabei war der Altar auf der Bühne nicht einmal aufgebaut. Jena lockte an diesem Samstag mit einem vielfältigen Programm, mit hochkarätigen Podien, vielen Angeboten für Kinder, Musik, Bibelarbeiten und eben dem Abschlussgottesdienst, mit dem die Kirchentagsbesucher auf den Weg geschickt wurden zum großen Festgottesdienst vor den Toren Wittenbergs am gestrigen Sonntag. Die Veranstalter waren mit der Resonanz zufrieden, auch wenn man sich mehr erhofft habe, sagte Organisationsleiter Rainer Weitzel. Die Teilnehmendenzählung in allen Einzelveranstaltungen habe für Donnerstag 7100, für Freitag 8000 und für Samstag 7000 Teilnehmende ergeben, in beiden Städten wohlgemerkt.
Lag es am besten Sommerwetter? Selbst ein mit Gregor Gysi (Linke), dem Politikwissenschaftler Werner Josef Patzelt, CDU-Fraktionschef Mike Mohring, OB Albrecht Schröter (SPD) und anderen bestens besetztes Podium füllte zur Mittagszeit den Saal des Volkshauses nur zu Hälfte. „Was heißt hier Rechts?“lautete die Gretchenfrage, wobei es um legitime Sorgen der Zivilgesellschaft und gefährliche Gedanken der Rechtspopulisten und Rechtsextremen ging. „Den Irrtum ablehnen, aber den Irrenden annehmen“, sagte Schröter auf die Frage, wie mit Rechtsextremen umzugehen sei. Und er kritisierte jene Regierungsstudie zu Rechtsextremismus in Ostdeutschland, die zwar die Spaltung vertiefe, an „der aber auch etwas dran“sei. „Wir haben eine andere Geschichte, auch im Umgang mit Migranten.“Es gebe weiße Flecken auf der ostdeutschen Demokratielandkarte, gleichwohl sei das Erstarken des Rechtspopulismus in Europa so auch nicht zu erklären.
Der Samstag wurde vielleicht ein Opfer des Wetters, zumindest fehlte dem Bühnenprogramm auf dem Markt bisweilen das Publikum. Und während der Platz in der Sonne leer wirkte, suchten sich die Menschen an den Rändern ein schattiges Plätzchen. Pizza essen und gleichzeitig „Passion for Gospel“, dem Chor aus Stadtroda, zuhören? Warum nicht.
Der Kirchentag bot „Nachdenkliches, Erfrischendes, Provokantes, Ermutigendes“, sagte Superintendent Sebastian Neuß am Abend zu Beginn des Gottesdienstes. Kurz zuvor sorgte der Kanaani-Jugendchor aus Arusha in Tansania für einen ungewöhnlichen und umjubelten Auftakt des Gottesdienstes. „Der Kirchentag hat für drei beschwingte Tage etwas vom aktuellen Gesicht des Evangelischseins in der Kulturlandschaft Jena-Weimar sichtbar werden lassen. Der Protestantismus nehme seine Minderheitssituation an und sei doch so etwas wie das Salz – „man würde merken, wenn es fehlte“, meinte Neuß später im Gespräch mit unserer Zeitung. Und July betonte, dass die von Gott geschenkte Freiheit sich auch nicht „von Rassismus und Hetze, von nationaler Selbstverkümmertheit und Ausgrenzung in die Enge treiben“lasse. „Genzenlos frei“lautete der Titel jenes Konzerts, mit dem die Besucher in die Nacht geschickt wurden: Allein schon die Band Riserva Moac, die Gypsy-Electro mit Balkan-Beats paarte, war das Kommen wert.
„Aktuelles Gesicht des Evangelischseins“