Thüringische Landeszeitung (Jena)
Gewalt gegen Abgeordnete bereitet Sorgen
Vor allem die Linken kennen das Problem seit Jahren – Auch die AfD rückt zunehmend in den Fokus – Schon 23 Attacken auf Büros in diesem Jahr
ERFURT. Diesmal ist es nicht bei Farbe geblieben. Wiebke Muhsal, Landtagsabgeordnete der AfD, erfuhr im Urlaub vom erneuten Anschlag auf ihr Wahlkreisbüro. Überall liegt weißes Pulver, ihre Mitarbeiterin muss vorsichtshalber ins Krankenhaus gebracht werden. Später gibt es wegen des Pulvers Entwarnung.
Dieser Fall von indirekter Gewalt gegen Landtagsabgeordnete ist nicht der jüngste: Ende vergangener Woche landen zwei Pflastersteine in den Scheiben des Büros der Linke-Landtagsabgeordneten Karola Stange, André Blechschmidt und Ronald Hande in Erfurt. Blechschmidt zufolge wird gezielt ein Hinweis zerstört, demzufolge Personen mit rechter Einstellung in dem Büro nicht erwünscht sind. „Das zeigt deutlich, welchen politischen Hintergrund die Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit haben“, sagt der Landtagsabgeordnete.
Die beiden Fälle binnen weniger Tage zeigen aber auch, dass ein Problem weiterhin besteht, das bereits seit Jahren stetig größer zu werden scheint. Der Blick zurück zeigt: Im Jahr 2010 werden die Scheiben des Wahlkreisbüros der Linken-Landtagsabgeordneten Katharina König zerschlagen, offenbar wird sogar Buttersäure ausgebracht. Das gilt schon vor sieben Jahren als eine neue Qualität der Gewalt gegen Abgeordnete. Vor allem die Linkspartei hat mit diesem Problem immer wieder zu kämpfen, denn Mitglieder ihrer Fraktion sind häufiger Ziel derartiger Anschläge, als ihre Kollegen aus anderen Parteien. Allein 19 Attacken gegen Linke-Büros stehen in der Statistik des Thüringer Landeskriminalamtes für 2016. In diesem Jahr sind es seit Freitag neun.
Attacken ziehen meist Sachschäden nach sich
Der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Steffen Dittes, interessiert sich in jedem Jahr für die statistischen Zahlen, erfragt sie selbst mittels „Kleiner Anfragen“. Für die Jahre 2014, 2015 und 2016 seien, sagt er der TLZ, insgesamt 59 Attacken auf Linke-Büros gezählt worden – bei insgesamt 114 bedeutet das: Jeder zweite Anschlag gegen Abgeordnete des Landtags richtet sich gegen die Linke. Dittes verurteilt das scharf: „Das konstant hohe Niveau an Drohungen und Gewalttaten ist nicht hinnehmbar.“Innerhalb der Fraktion besteht eine klare Linie, wie mit derartigen Vorfällen umzugehen ist: Sie werden zur Anzeige gebracht. Danach entscheidet der Fraktionsvorstand, wie es weitergeht. „Wir haben uns darauf schon vor längerer Zeit verständigt“, sagt Dittes.
Anlass, einen Konsens zu finden, wie mit Anschlägen auf Wahlkreisbüros umgegangen werden soll, hat auch die AfDFraktion. Deren Mitglieder werden seit Bestehen der Partei Opfer solcher Attacken – allein acht Mal schon in diesem Jahr. Vor allem Wiebke Muhsal ist in Jena nicht selten betroffen davon.
Stefan Möller, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, stellt allerdings fest, dass seitens seiner Fraktionskollegen längst nicht mehr jede Straftat angezeigt wird. Es habe bei kleineren Schmierereien ein gewisser Ermüdungseffekt eingesetzt.
Michael Heym, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion, sagt: „Das Potenzial gewaltbereiter Extremisten wächst in Deutschland. Der Respekt vor Repräsentanten des Staates hat insgesamt abgenommen. Überdies ist die politische Landschaft polarisierter als noch vor Jahren. Diese Entwicklung macht vor den Abgeordnetenbüros nicht halt.“Ist ein Unionsabgeordneter von einem Übergriff auf eines seiner Büros betroffen, dann werde ihm auch überlassen, wie er damit umgeht. Eine einheitliche Vorgabe innerhalb der Fraktion gebe es aber nicht.
Ebenso ist das bei den Thüringer Grünen, die keine einheitliche Linie im Umgang mit Anschlägen auf die Abgeordnetenbüros haben. Das liege in erster Linie daran, dass die Fraktion bisher glücklicherweise kaum Ziel solcher Attacken gewesen sei, sagt der stellvertretende Fraktionschef Olaf Müller. Er selbst musste in diesem Jahr eine Attacke auf sein Büro hinnehmen. 2015 war seine Kollegin Astrid Rothe-Beinlich betroffen. Müller macht klar: „Wir lehnen diese Art von Gewalt ganz entschieden ab und zwar unabhängig von der politischen Couleur. Angriffe auf Wahlkreisbüros müssen uns auch deshalb beunruhigen, weil sie auch die Frage aufwerfen, ob es ‚nur‘ dabei bleiben wird oder ob Landtagsabgeordnete selbst zur Zielscheibe von Attacken werden.“
Grüne: Die AfD trägt zur Verrohung bei
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Matthias Hey, gehört genauso zu den betroffenen Abgeordneten. Sein Bürgerbüro in der Gothaer Innenstadt sei
mehrfach attackiert worden, sagt er. Neben Schmierereien und mutwillig verklebten Schlüssellöchern gipfelte die Gewalt zuletzt in der kompletten Demolierung der BüroSchaufensterscheibe. Derartige Attacken würden konsequent zur Anzeige gebracht. Auch wenn die Taten möglicherweise als Hilfeschrei von Menschen gewertet werden könnten, die sich von der Gesellschaft abgehängt fühlten, macht der Sozialdemokrat klar: „Durch ihr Verhalten distanzieren sich die Täter vom Wettstreit um die beste Idee, wie eine Gesellschaft gestaltet werden soll.“
Ein großer Teil der Attacken gegen Wahlkreisbüros hatten im vergangenen Jahr und bisher auch 2017 teils erhebliche Sachschäden zur Folge. 18 von 22 in der ersten Jahreshälfte verübten Anschlägen wurden bei der Polizei als Sachbeschädigungen aufgelistet. Von den 43 im vergangenen Jahr seien 33 dieser Kategorie zuzuordnen. Vor allem in Gera (12) und Weimar (8) wurden 2016 Räume von Parlamentariern angegriffen, teilte eine Sprecherin des Landeskriminalamtes mit. Zwischen den Fraktionen gibt es den Konsens, dass Gewalt gegen Politiker egal welcher Couleur abgelehnt wird. Allerdings werden die Gründe für die zunehmende Verrohung unterschiedlich gesucht. Olaf Müller sagt: „Wir beobachten teilweise eine geradezu hasserfüllte Atmosphäre, die keinen Diskurs mehr zulässt.“Dazu trage seiner Einschätzung nach auch das „Auftreten und Gebaren der AfD sowohl im Landtag als auch auf der Straße bei öffentlichen Auftritten“bei, sagt er mit Blick auf Thüringen.
Steffen Dittes nennt die AfD zwar nicht beim Namen, allerdings zielt auch seine Ursachensuche in diese Richtung. „Die Fraktion sieht einen Zusammenhang mit der klaren Politik der Linken für eine offene und freie Gesellschaft sowie ihr Eintreten für geflüchtete Menschen verbunden mit einer entsprechenden Willkommenskultur. Dies trifft auf zunehmende rassistische Hetze, die einhergeht mit Rechtspopulismus, der bis in die Mitte der Gesellschaft auf fruchtbaren Boden fällt“, erklärt Dittes. Die verheerenden Folgen würden bis zu Übergriffen und Attacken auf Menschen reichen.
Aus Sicht des AfD-lers Stefan Möller lägen die Gründe im seiner Meinung nach verharmlosten Linksextremismus. „Gewalt oder Gewaltbereitschaft zur Durchsetzung politischer Ziele war schon immer konstitutives Merkmal für Extremismus. Die hohen Zahlen linksextremer Gewalt gegen Personen und Sachen sind nur dadurch zu erklären, dass eine Abgrenzung durch die etablierte Politik zu Linksextremen nicht erfolgt“, sagt er.