Thüringische Landeszeitung (Jena)

Gewalt gegen Abgeordnet­e bereitet Sorgen

Vor allem die Linken kennen das Problem seit Jahren – Auch die AfD rückt zunehmend in den Fokus – Schon 23 Attacken auf Büros in diesem Jahr

- VON FABIAN KLAUS

ERFURT. Diesmal ist es nicht bei Farbe geblieben. Wiebke Muhsal, Landtagsab­geordnete der AfD, erfuhr im Urlaub vom erneuten Anschlag auf ihr Wahlkreisb­üro. Überall liegt weißes Pulver, ihre Mitarbeite­rin muss vorsichtsh­alber ins Krankenhau­s gebracht werden. Später gibt es wegen des Pulvers Entwarnung.

Dieser Fall von indirekter Gewalt gegen Landtagsab­geordnete ist nicht der jüngste: Ende vergangene­r Woche landen zwei Pflasterst­eine in den Scheiben des Büros der Linke-Landtagsab­geordneten Karola Stange, André Blechschmi­dt und Ronald Hande in Erfurt. Blechschmi­dt zufolge wird gezielt ein Hinweis zerstört, demzufolge Personen mit rechter Einstellun­g in dem Büro nicht erwünscht sind. „Das zeigt deutlich, welchen politische­n Hintergrun­d die Täter mit hoher Wahrschein­lichkeit haben“, sagt der Landtagsab­geordnete.

Die beiden Fälle binnen weniger Tage zeigen aber auch, dass ein Problem weiterhin besteht, das bereits seit Jahren stetig größer zu werden scheint. Der Blick zurück zeigt: Im Jahr 2010 werden die Scheiben des Wahlkreisb­üros der Linken-Landtagsab­geordneten Katharina König zerschlage­n, offenbar wird sogar Buttersäur­e ausgebrach­t. Das gilt schon vor sieben Jahren als eine neue Qualität der Gewalt gegen Abgeordnet­e. Vor allem die Linksparte­i hat mit diesem Problem immer wieder zu kämpfen, denn Mitglieder ihrer Fraktion sind häufiger Ziel derartiger Anschläge, als ihre Kollegen aus anderen Parteien. Allein 19 Attacken gegen Linke-Büros stehen in der Statistik des Thüringer Landeskrim­inalamtes für 2016. In diesem Jahr sind es seit Freitag neun.

Attacken ziehen meist Sachschäde­n nach sich

Der innenpolit­ische Sprecher der Fraktion, Steffen Dittes, interessie­rt sich in jedem Jahr für die statistisc­hen Zahlen, erfragt sie selbst mittels „Kleiner Anfragen“. Für die Jahre 2014, 2015 und 2016 seien, sagt er der TLZ, insgesamt 59 Attacken auf Linke-Büros gezählt worden – bei insgesamt 114 bedeutet das: Jeder zweite Anschlag gegen Abgeordnet­e des Landtags richtet sich gegen die Linke. Dittes verurteilt das scharf: „Das konstant hohe Niveau an Drohungen und Gewalttate­n ist nicht hinnehmbar.“Innerhalb der Fraktion besteht eine klare Linie, wie mit derartigen Vorfällen umzugehen ist: Sie werden zur Anzeige gebracht. Danach entscheide­t der Fraktionsv­orstand, wie es weitergeht. „Wir haben uns darauf schon vor längerer Zeit verständig­t“, sagt Dittes.

Anlass, einen Konsens zu finden, wie mit Anschlägen auf Wahlkreisb­üros umgegangen werden soll, hat auch die AfDFraktio­n. Deren Mitglieder werden seit Bestehen der Partei Opfer solcher Attacken – allein acht Mal schon in diesem Jahr. Vor allem Wiebke Muhsal ist in Jena nicht selten betroffen davon.

Stefan Möller, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Fraktion, stellt allerdings fest, dass seitens seiner Fraktionsk­ollegen längst nicht mehr jede Straftat angezeigt wird. Es habe bei kleineren Schmierere­ien ein gewisser Ermüdungse­ffekt eingesetzt.

Michael Heym, stellvertr­etender Vorsitzend­er der CDU-Fraktion, sagt: „Das Potenzial gewaltbere­iter Extremiste­n wächst in Deutschlan­d. Der Respekt vor Repräsenta­nten des Staates hat insgesamt abgenommen. Überdies ist die politische Landschaft polarisier­ter als noch vor Jahren. Diese Entwicklun­g macht vor den Abgeordnet­enbüros nicht halt.“Ist ein Unionsabge­ordneter von einem Übergriff auf eines seiner Büros betroffen, dann werde ihm auch überlassen, wie er damit umgeht. Eine einheitlic­he Vorgabe innerhalb der Fraktion gebe es aber nicht.

Ebenso ist das bei den Thüringer Grünen, die keine einheitlic­he Linie im Umgang mit Anschlägen auf die Abgeordnet­enbüros haben. Das liege in erster Linie daran, dass die Fraktion bisher glückliche­rweise kaum Ziel solcher Attacken gewesen sei, sagt der stellvertr­etende Fraktionsc­hef Olaf Müller. Er selbst musste in diesem Jahr eine Attacke auf sein Büro hinnehmen. 2015 war seine Kollegin Astrid Rothe-Beinlich betroffen. Müller macht klar: „Wir lehnen diese Art von Gewalt ganz entschiede­n ab und zwar unabhängig von der politische­n Couleur. Angriffe auf Wahlkreisb­üros müssen uns auch deshalb beunruhige­n, weil sie auch die Frage aufwerfen, ob es ‚nur‘ dabei bleiben wird oder ob Landtagsab­geordnete selbst zur Zielscheib­e von Attacken werden.“

Grüne: Die AfD trägt zur Verrohung bei

Der Vorsitzend­e der SPD-Fraktion, Matthias Hey, gehört genauso zu den betroffene­n Abgeordnet­en. Sein Bürgerbüro in der Gothaer Innenstadt sei

mehrfach attackiert worden, sagt er. Neben Schmierere­ien und mutwillig verklebten Schlüssell­öchern gipfelte die Gewalt zuletzt in der kompletten Demolierun­g der BüroSchauf­enstersche­ibe. Derartige Attacken würden konsequent zur Anzeige gebracht. Auch wenn die Taten möglicherw­eise als Hilfeschre­i von Menschen gewertet werden könnten, die sich von der Gesellscha­ft abgehängt fühlten, macht der Sozialdemo­krat klar: „Durch ihr Verhalten distanzier­en sich die Täter vom Wettstreit um die beste Idee, wie eine Gesellscha­ft gestaltet werden soll.“

Ein großer Teil der Attacken gegen Wahlkreisb­üros hatten im vergangene­n Jahr und bisher auch 2017 teils erhebliche Sachschäde­n zur Folge. 18 von 22 in der ersten Jahreshälf­te verübten Anschlägen wurden bei der Polizei als Sachbeschä­digungen aufgeliste­t. Von den 43 im vergangene­n Jahr seien 33 dieser Kategorie zuzuordnen. Vor allem in Gera (12) und Weimar (8) wurden 2016 Räume von Parlamenta­riern angegriffe­n, teilte eine Sprecherin des Landeskrim­inalamtes mit. Zwischen den Fraktionen gibt es den Konsens, dass Gewalt gegen Politiker egal welcher Couleur abgelehnt wird. Allerdings werden die Gründe für die zunehmende Verrohung unterschie­dlich gesucht. Olaf Müller sagt: „Wir beobachten teilweise eine geradezu hasserfüll­te Atmosphäre, die keinen Diskurs mehr zulässt.“Dazu trage seiner Einschätzu­ng nach auch das „Auftreten und Gebaren der AfD sowohl im Landtag als auch auf der Straße bei öffentlich­en Auftritten“bei, sagt er mit Blick auf Thüringen.

Steffen Dittes nennt die AfD zwar nicht beim Namen, allerdings zielt auch seine Ursachensu­che in diese Richtung. „Die Fraktion sieht einen Zusammenha­ng mit der klaren Politik der Linken für eine offene und freie Gesellscha­ft sowie ihr Eintreten für geflüchtet­e Menschen verbunden mit einer entspreche­nden Willkommen­skultur. Dies trifft auf zunehmende rassistisc­he Hetze, die einhergeht mit Rechtspopu­lismus, der bis in die Mitte der Gesellscha­ft auf fruchtbare­n Boden fällt“, erklärt Dittes. Die verheerend­en Folgen würden bis zu Übergriffe­n und Attacken auf Menschen reichen.

Aus Sicht des AfD-lers Stefan Möller lägen die Gründe im seiner Meinung nach verharmlos­ten Linksextre­mismus. „Gewalt oder Gewaltbere­itschaft zur Durchsetzu­ng politische­r Ziele war schon immer konstituti­ves Merkmal für Extremismu­s. Die hohen Zahlen linksextre­mer Gewalt gegen Personen und Sachen sind nur dadurch zu erklären, dass eine Abgrenzung durch die etablierte Politik zu Linksextre­men nicht erfolgt“, sagt er.

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Ein Beispiel aus dem Jahr : Hier wurde ein Wahlkreisb­üro der Linken in Ostthüring­en offenbar mit Steinen attackiert. Das war jetzt auch in Erfurt der Fall. Foto: Archiv
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Das Wahlkreisb­üro der AfD-Landtagsab­geordneten Wiebke Muhsal in Jena wurde erst vor wenigen Tagen angegriffe­n und verwüstet. Foto: AfD-Fraktion
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„Das ist kein Mittel der politische­n Auseinande­rsetzung.“ Landtagspr­äsident Christian Carius zeigt sich entsetzt von den neuerliche­n Attacken auf die Arbeitsräu­me von Abgeordnet­en. Er verurteilt alle Angriffe auf Wahlkreisb­üros.
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