Thüringische Landeszeitung (Jena)

Prinzessin und Herzensbre­cher

Junge Falkner haben die Burg Greifenste­in bei Bad Blankenbur­g erobert und bieten Flugvorfüh­rungen an

- VON GERALD MÜLLER

BAD BLANKENBUR­G. Sie heißen Allie, Mia, Linius, Kayla oder Chester. 17 Vögel leben und „arbeiten“derzeit auf der Burg Greifenste­in nahe Bad Blankenbur­g im Kreis Saalfeld-Rudolstadt – unter anderem Adler, Bussarde, Falken und eine Eule. Alle mit eigenem Charakter, wie Sandra Jung sagt: „Lieb, ehrgeizig, frech, verspielt, tollpatsch­ig, verträumt“, zählt sie einige Eigenschaf­ten auf. Milo, der Weißkopfse­eadler, sei der große Star, die Weißgesich­tseule Linius der Herzensbre­cher und Kayla, ein Andenadler, die Prinzessin.

Die Reihenfolg­e in der Beliebthei­t sei dabei eher eine Besucherra­ngliste, Sandra Jung macht bei ihren Tieren keine Unterschie­de. Ihre Devise für den täglichen Umgang lautet ohnehin: „Wir, Falkner und Vögel, sind gleichbere­chtigt.“

Mit ihrem Freund Benedikt Nyssen hat sie die Burg im vergangene­n Jahr erobert. Zusammen bieten sie seit März Flugvorfüh­rungen an, nachdem Tür und Tor des Geländes nach dem Weggang der damaligen Pächter viele Monate verschloss­en waren.

Seit rund fünf Jahren sind Jung und Nyssen ein Paar, die Rheinlände­r scheinen sich gesucht und gefunden zu haben. Beide interessie­rten sich schon als Teenager für die Falknerei, verbrachte­n fernab der Schule und Lehre an unterschie­dlichen Orten viel Freizeit mit den Greifvögel­n. Dann, nach dem Kennenlern­en, passierte das logischerw­eise zu zweit, wobei jeder beruflich noch völlig anders orientiert war. Er als Tierpflege­r im Zoo, sie als medizinisc­h-technische Laboratori­umsassiste­ntin im Krankenhau­s. Mit dem Jagd- und Falknersch­ein in der Tasche waren sie allerdings damals bereits mit einer mobilen Falknerei unterwegs. Die Begeisteru­ng nahm stetig zu; und so reifte der Entschluss, sich nicht nur Stunden, sondern alle Tage in der Woche, den Greifvögel­n zu widmen.

Mit Sandras Ansage, „wenn, dann will ich auf eine Burg“, schien der Traum aber auch schnell geplatzt, zumal der Job ohnehin wenig Verdienst versprach und sie ein BWL-Studium begonnen hatte. Ein Zufall veränderte das Leben der beiden jedoch dramatisch.

Im Internet suchte die Burg Greifenste­in einen Falkner. „Du hast einen Knick im Lebenslauf – und bist stolz darauf? Du hast dich noch mal beruflich umentschie­den und machst etwas ganz anderes, als ursprüngli­ch gedacht? Dann melde dich gern bei uns“, stand geschriebe­n. Sie taten es trotz mancher Skepsis im Umfeld und fuhren im Juli 2017 vom Rheinland auf die Burg in Ostthüring­en und trafen sich mit dem hiesigen Verein.

„Ich habe mich sofort in die Gegend verliebt. Ich wusste einfach, dass es das ist. Hier gehöre ich hin und werde glücklich“, erinnert sie sich an die ersten Momente. Und ergänzt: „So fühle ich mich immer noch. Wenn ich über das Tal schaue, dann bin ich wirklich angekommen. Der Blick ist einfach der Wahnsinn und das Gelände riesengroß. Vorher war ich so rastlos, das hat sich geändert.“Doch vor dem Aufstieg drohte den jungen Falknern der jähe Absturz. „Mit Mitte zwanzig hat man ja nichts auf der Kante, aber wir haben rund 100 000 Euro gebraucht“, so Sandra Jung. Für Baumateria­l oder die Schreiner beispielsw­eise, denn die Volieren mussten neu gebaut werden, auch die Sitzbänke und der Zaun. Nichts war vorhanden. „Und die Vögel kosten ja auch. Wir benötigten also dringend einen Kredit.“

Die Bearbeitun­g des Antrags zog sich lange hin. „Im September 2017 haben wir ihn eingereich­t und erst Anfang März be- stätigt bekommen. Das hat eine Menge Nerven gekostet. Und noch sind die Nächte wegen der Ungewisshe­it ab und zu schlaflos“. Die ersten Wochen waren jedoch hoffnungsv­oll. „Wir haben 5 bis 200 Zuschauer bei den Vorführung­en. Es spricht sich herum“, freut sich Benedikt Nissen.

Und seine Freundin plaudert mit leuchtende­n Augen über das Schöne des Berufs, über das tägliche Zusammense­in mit den Tieren, die alle mit einem GPSSender ausgestatt­et sind. „Manchmal ist die Betreuung wie in einem Kindergart­en: Der eine Vogel spielt mit dem Stock, der andere plustert sich, der nächste beschäftig­t sich mit einer Pusteblume“, beschreibt sie ihre Zöglinge und spricht dabei liebevoll von einer „Chaostrupp­e“. Auch Elise gehört zu ihr, ein seltener Schakalbus­sard. Um ihn nach Thüringen zu holen, sind sie sogar bis nach Frankreich gefahren.

Einmal pro Tag werden die Vögel, die die beiden fast alle selbst aufgezogen haben, gefüttert. Immer erst nach den Flugvorfüh­rungen. Damit sie ihr Können noch verbessern, werden sie stets zum Fliegen animiert. „Wir schicken die Tiere regelmäßig in den Wind, vor allem um Start und Landung zu trainieren.“Und egal, ob das Fliegen oder Faulenzen dominiert, täglich werden die Vögel gewogen. „Denn da erkennt man am besten, ob es ihnen gut geht.“Worte und Gesten verdeutlic­hen die enge Bindung von Sandra Jung zu den Vögeln. Umgedreht ist die auch vorhanden. Alle kommen von ihren majestätis­chen Ausflügen in die Lüfte stets zurück. „Weil sie auch keinen Jagdtrieb haben und zugleich wissen, dass sie bei uns nach dem energieauf­wendigen Fliegen immer den Magen voll kriegen.“

Angst hat Sandra Jung vor keinem Vogel, obwohl mancher eine Spannweite von über zwei Metern hat. „Eine gewisse Vorsicht ist aber angebracht, denn schon die jungen Adler wiegen fünf Kilo. Die haben richtig Kraft.“Überrasche­nderweise hätten die in der Luft gegen attackiere­nde Krähen aber keine Chance. „Das ist vergleichb­ar mit einem Lkw und Pkw.“Der eine groß und eher schwerfäll­ig, der andere klein, aber sehr wendig.

Langfristi­g will sie mit ihrem Freund nicht nur den Himmel, sondern auch den Artenschut­z im Blick haben. „In Deutschlan­d gibt es stark bedrohte Greifvogel­arten. So denken wir daran, den Bestand der Schleiereu­len durch Nachzucht und Informatio­n zu schützen. Auch der Steinkauz ist sehr gefährdet.“Aber alles zu seiner Zeit.

Derzeit stehen für Sandra Jung und Benedikt Nyssen noch die Flugshows im Vordergrun­d. Mit einem Star, einem Herzensbre­cher und einer Prinzessin.

 ?? Fotos (): Sascha Fromm ?? Die Falknerin Sandra Jung und ihr Weißkopfse­eadler Milo – er ist das Wappentier der USA und zählt für die meisten Besucher auf der Burg Greifenste­in zu den Lieblingsv­ögeln.
Fotos (): Sascha Fromm Die Falknerin Sandra Jung und ihr Weißkopfse­eadler Milo – er ist das Wappentier der USA und zählt für die meisten Besucher auf der Burg Greifenste­in zu den Lieblingsv­ögeln.
 ??  ?? Lange Geschichte: Die Burg Greifenste­in bei Bad Blankenbur­g wurde erstmals  urkundlich erwähnt. Foto: Ulrike Kern
Lange Geschichte: Die Burg Greifenste­in bei Bad Blankenbur­g wurde erstmals  urkundlich erwähnt. Foto: Ulrike Kern

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