Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Intoleranz und Hass machen ein freies Leben unmöglich“
Ministerpräsident Ramelow sieht den Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen – heute Besuch in Auschwitz
ERFURT. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) reist heute in die KZ-Gedenkstätte Auschwitz. Dort nimmt er gemeinsam mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman A. Mazyek, sowie der Union progressiver Juden in Deutschland, Rabbiner Walter Homolka, an einer Gedenkfeier teil. Zudem wird er sich – wie berichtet – mit jungen 25 Juden und Muslimen treffen.
Es gibt Kritiker die meinen, lasst die jungen Leute doch besser nach Tel Aviv reisen... ...ich kenne die Kritik. Sicher sind Aufenthalte in Tel Aviv und Haifa eine gute Sache, Besuche in Haifa gab es bereits. Aber bitte alles Schritt für Schritt. Ich sehe da überhaupt keinen Widerspruch, sondern viele weitere sinnvolle Austauschmöglichkeiten. Wie der Besuch der Leo Beck School aus Haifa in der Partnerstadt Erfurt mit jungen Muslimen und Juden, die gemeinsam das Musical Projekt „Sauwa-Sauwa, Step by Step“im Evangelischen Ratsgymnasium aufgeführt und in Erfurter Familien gewohnt haben.
Manchmal entsteht beim Thema Antisemitismus der Eindruck, dieses Problem sei mit den jungen muslimischen Männern, die hier als Flüchtlinge Schutz suchen, nach Deutschland zurückgekom men. Teilen Sie diese Meinung?
Nein. In Sachen Antisemitismus in Deutschland haben junge Flüchtlinge lediglich ein weiteres Kapitel aufgeschlagen, allzu
Bodo Ramelow, Linke, Ministerpräsident
oft wurden sie mit Hass auf Israel großgezogen. Der Antisemitismus war hier immer präsent, er ist jetzt aber – nicht nur in Thüringen –. in der gesellschaftlichen Mitte angekommen und wird mittlerweile wieder alltagstauglich. Das kann nicht den muslimischen Flüchtlingen zugeschoben werden, darf aber als Problem auch nicht aus dem Blick verloren werden.
Sie gelten als entschiedener Freund des Staates Israel. Können Sie manchmal die Wut der jungen Muslime auf Israel verstehen?
Ich habe viele jüdische Freunde, die der aktuellen Politik Israels mit Kritik und Trauer begegnen. Anat Hoffmann zum Beispiel, der ich mich verbunden fühle, hat mühsam, aber erfolgreich, das Recht erkämpft, als Frau an der Klagemauer beten zu dürfen. Intoleranz und Hass machen ein freies Leben unmöglich, das spüren gerade viele junge Menschen. Dass Intoleranz und Hass auch von Muslimen und Palästinensern ausgehen, ist unbestritten. Die Frage ist aber nicht: arabisch oder jüdisch?
Worum geht es dann? Wichtig ist, dass Kultur sich gegenseitig aushält. Ich bin froh, wenn ich mithelfen kann, die Türen zu öffnen für ein liberales Umdenken. Aber nur wenn auf der Seite der palästinensischen Verantwortungsträger das Existenzrecht Israels anerkannt wird, kann sich die Tür für einen eigenen Staat öffnen. Solange die Vernichtung Israels in den offiziellen Programmen von Hamas und Hisbollah als oberstes Ziel steht, wird der Nahe Osten noch weit von einem friedlichen Miteinander entfernt sein. Ich bedauere das sehr, und würde mir da mehr Ausgleich, mehr Mandela und Ghandi und weniger Waffengeklirre, Raketen, brennende Autoreifen und Messerstecher wünschen.
Das Wort Jude wird teilweise auf dem Schulhof als Schimpfwort verwendet. Womöglich fiele es schwerer, wenn jeder Schüler in Buchenwald oder dem Erfurter Erinnerungsort Topf & Söhne, wo die Verbrennungsöfen geplant und produziert wurden, gewesen ist. Warum werden Besuche in Gedenkstätten nicht für alle verpflichtend? Verpflichtende Besuche führten bei jungen Deutschen zu Selfies mit erhobenem rechten Arm. Das ist genauso schwer zu ertragen wie der Kanon „Juden Jena“im Erfurter Fußballstadion – skandiert nicht weit entfernt von Topf & Söhne und der ehemaligen Gestapo-Zelle im heutigen Landtag. All das ist für die Mitglieder der Jüdischen Landesgemeinde schier unerträglich. Der Weg hin zu Respekt und Toleranz kann nur der Weg der persönlichen Erkenntnis sein, Verpflichtungen als Zwang sind da nicht hilfreich. (epd)
„Selfies mit erhobenem rechten Arm sind so schwer zu ertragen wie der Kanon „Juden Jena“im Erfurter Fußballstadion.“