Thüringische Landeszeitung (Jena)

Ryanair-Piloten planen Chaostag

Die Angestellt­en in Deutschlan­d gehen am Freitag in Streik. Prompt streicht der Billigflie­ger 250 Verbindung­en

- VON ALEXANDER KLAY

BERLIN. Jeder dritte Mitarbeite­r soll als Leiharbeit­er beschäftig­t sein. Der Arbeitsver­trag unterliegt irischem Recht. Bei Krankheit oder Schwankung­en im Geschäft wissen sie nicht, was am Monatsende auf der Lohnabrech­nung steht. Und im Zweifel droht ihnen die Versetzung zu einem anderen Standort quer durch Europa. Dies sind die typischen Arbeitsbed­ingungen bei Ryanair.

Doch den deutschen Piloten des irischen Billigflie­gers reicht es. „Weitere Verhandlun­gen machen für uns hier keinen Sinn mehr“, sagt Ingolf Schumacher, Tarifexper­te der Vereinigun­g Cockpit (VC). Am Freitag streiken die Piloten ab 3 Uhr morgens für 24 Stunden, zeitgleich mit ihren Kollegen aus Irland, Belgien und Schweden. Es wird der größte Ausstand in der Geschichte der Airline.

Das ganze Ausmaß des Chaostags bei Ryanair zeigt sich am Mittwoch kurz nach dem Streikaufr­uf der Pilotengew­erkschaft. Ryanair reagiert drastisch, streicht den Flugplan zusammen. Am Freitag entfallen 250 Flüge von und nach Deutschlan­d. Betroffen sind bis zu 55 000 Passagiere, vor allem Urlauber.

Den Betroffene­n will Ryanair den Ticketprei­s erstatten oder einen Ersatzflug anbieten. Wegen des Streiks in den drei anderen Ländern hatte der Billigflie­ger bereits 146 der 2400 geplanten Flüge abgesagt. Ein Warnstreik im Dezember war noch weitgehend folgenlos verpufft.

Den Piloten geht es ums Geld sowie um verlässlic­he Arbeitsbed­ingungen, die sie erstmals in Tarifvertr­ägen festschrei­ben wollen. Ihnen fehlen Tabellen für höhere Löhne bei steigender Erfahrung, vergleichb­are Einkommen an allen Standorten und Mitsprache­recht bei der Einsatzpla­nung. „Die Kollegen haben überhaupt keinen Einfluss darauf, ob sie viel oder wenig arbeiten“, sagt VC-Präsident Martin Locher. Froh darüber sind nur die Ryanair-Piloten: Nach fünf Tagen in der Luft haben sie vier Tage frei. Das ist selten in der Branche.

Ryanair kenne die Forderunge­n seit Dezember und sei bislang nicht ernsthaft darauf eingegange­n. Der Billigflie­ger wolle kein Papier unterschre­iben, das zu höheren Personalko­sten führe, sagen die Gewerkscha­fter. Bis zuletzt habe es kein verbessert­es Angebot gegeben. Bei einer Urabstimmu­ng stimmten 96 Prozent für den Streik. „Für die nun eingetrete­ne Eskalation trägt alleine Ryanair die Verantwort­ung“, sagt Locher.

Ryanair-Manager Kenny Jacobs nennt den Streik „unnötig“und „ungerechtf­ertigt“, mit nicht einmal 40 Stunden Vorlauf viel zu kurzfristi­g angekündig­t. Er ruft die Piloten zurück Martin Locher, VCPräsiden­t an den Verhandlun­gstisch. Der Marketing-Chef verweist auf „exzellente Arbeitsbed­ingungen“bei der Airline. Piloten verdienten mindestens 30 Prozent mehr als bei der Lufthansa-Billigtoch­ter Eurowings oder 20 Prozent mehr als beim Rivalen Norwegian.

Ryanair führt Auszüge aus Gehaltsabr­echnungen an: Demnach verdient ein Kapitän im Jahr 200 000 Euro. Nach Gewerkscha­ftsangaben kommt ein Co-Pilot dagegen auf ein sogenannte­s Garantiege­halt von 40 000 Euro, als Kapitän seien rund 110 000 Euro drin.

An zehn deutschen Flughäfen beschäftig­t Ryanair 400 Piloten. Wie viele in der Gewerkscha­ft organisier­t sind, gibt die VC nicht preis. Tarifexper­te Schumacher bleibt vage. Der Organisati­onsgrad sei „sehr hoch, wie bei anderen Airlines“. Nur in Baden-Baden hätten die Piloten zugesagt, ihren Dienst anzutreten, erklärt Ryanair-Manager Jacobs.

Seit einem Jahr fassen Gewerkscha­ften Fuß bei Europas größtem Billigflie­ger. 2017 war für Ryanair ein Krisenjahr. Nicht wegen der Geschäftsz­ahlen, denn mit einem um zehn Prozent auf 1,45 Milliarden Euro gestiegene­n Gewinn steht die Fluggesell­schaft glänzend da. Doch die Airline musste 20 000 Verbindung­en streichen. Offiziell wegen Fehlern in der Personalpl­anung. „Dieses Chaos ist auf unser eigenes Handeln zurückzufü­hren“, gestand Firmenchef Michael O’Leary ein. Oder, wie es in der Branche heißt: weil Piloten wegen der schlechten Arbeitsbed­ingungen zur Konkurrenz überliefen. Seitdem haben sich Piloten und Flugbeglei­ter europaweit verbündet.

Der angekündig­te Streik der Ryanair-Piloten in Deutschlan­d trifft bei den Kollegen der Unabhängig­en Flugbeglei­ter Organisati­on (Ufo) auf Zustimmung: „Ufo unterstütz­t den Streik der Kolleginne­n und Kollegen der VC als legitimes letztes Mittel, den Arbeitgebe­r zu substantie­llen Zugeständn­issen zu bewegen“, sagte Vorstandsm­itglied Christoph Drescher dieser Redaktion.

Auch die Flugbeglei­ter dringen auf bessere Arbeitsbed­ingungen: höhere Löhne, mehr Transparen­z und Mitbestimm­ung sowie das Ende von Leiharbeit. Flugbeglei­ter verdienen laut Ryanair im Schnitt 40 000 Euro im Jahr. „Uns liegen andere Zahlen vor“, entgegnet Drescher. Die 500 von Deutschlan­d aus eingesetzt­en Flugbeglei­ter hätten Jahreseink­ommen von 25 000 bis 30 000 Euro. Es hänge etwa davon ab, wie viel die Mitarbeite­r an Bord verkaufen. „Ryanair liegt damit am unteren Ende, eindeutig.“Ufo will bis zum Monatsende Forderunge­n formuliere­n und Verhandlun­gen aufnehmen. Bisher zeige sich Ryanair als „sachlicher Gesprächsp­artner“, sagt Drescher.

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Foto: Action Press Ryanair-Flieger am Flughafen Weeze in Nordrhein-Westfalen. Am Freitag bleiben die meisten am Boden.

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