Thüringische Landeszeitung (Jena)
Beschwerliche Neandertaler-Grabung
Internationales Forschungsteam in Ranis wird im August entscheidende Erdschicht erreichen – Fortsetzung folgt 2019
RANIS. Die Grabung an der Ilsenhöhle unterhalb von Burg Ranis ist beschwerlich. Nicht wegen der Hitze, im Erdreich ist es angenehm kühl. Die steinzeitliche Grabungsstelle weist teils bis zu einem Meter starke Felsbrocken auf, die das Vorankommen extrem verlangsamen. Der größte Brocken wurde bereits mithilfe einer Spezialfirma zerlegt. Die übrigen Felsstücke müssen mit dem Meißel von Hand in tragbare Teile aufgespalten werden.
Nach drei Jahren wird das internationale Grabungsteam am Ende der diesjährigen sechswöchigen Grabungsphase am 10. August nun endlich die eigentlich interessante Schicht in fünf Metern Tiefe erreichen. Diese 40 000 Jahre alte Erdschicht wird jedoch erst im nächsten Jahr untersucht. Die Grabungsleiter Tim Schüler vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Weimar und Marcel Weiß vom MaxPlanck-Institut für evolutionäre Anthropologie Leipzig hoffen dann auf Funde, die Aufschluss darüber geben, ob Mensch und Neandertaler in der Ilsenhöhle aufeinandertrafen. Dass beide Menschengruppen generell Kontakt miteinander hatten und sich sogar gemeinsam fortpflanzten, steht heute außer Frage.
Bereits in den 1930er-Jahren gruben Archäologen in der Ilsenhöhle. Sie förderten damals sogenannte Blattspitzen zu Tage – etwa 20 Zentimeter lange Feuersteinwaffen, die dem Neandertaler vor knapp 40 000 Jahren höchstwahrscheinlich zur Jagd dienten. Diese faustkeil-ähnlichen Waffen sind in ihrem Erhaltungszustand einzigartig und gaben einer ganzen Kulturgruppe ihren Namen: der Ranisian-Werkzeugkultur.
Zudem fanden die Archäologen damals Steinklingen und -kratzer des modernen Menschen. Diese Werkzeuge sind zwar nur 15 000 bis 30 000 Jahre alt. Dennoch hegt das Grabungsteam die Hoffnung, auch in der 40 000 Jahre alten Neandertaler-Schicht auf menschliche Spuren zu stoßen und somit einen Kontakt nachzuweisen.
Das Forschungsteam interessiert sich darüber hinaus auch für die jüngeren, darüber liegenden Schichten. Alle Funde, die gemacht werden, werden genauestens archiviert. Das sind zurzeit ziemlich viele – bis zu 150 größere Einzelstücke pro Tag.
Das Gros sind Knochenreste von kleineren und größeren Säugetieren, die etwa 12 000 bis 20 000 Jahre alt sind. Sie stammen unter anderen von Mäusen, Lemmingen und Pfeifhasen, aber auch von Pferden und Hirschen – alles Bewohner tundraartiger Vegetationszonen. Zur damaligen Zeit herrschte Eiszeit. Die Kleinsäuger waren vermutlich Beutetiere von Eulen, die in der Höhle lebten; die größeren Tiere wurden wohl von Wolf und Mensch gejagt.
So weist das Schädelstück eines Hirsches möglicherweise menschliche Bearbeitungsspuren an den Geweihansätzen auf. Die gefundenen feinen Rillen könnten von einem Stichel stammen, vermutet Tim Schüler nach erster Sichtung. Der Mensch habe damals aus dem harten Geweihmaterial Geschossspitzen hergestellt. Passend dazu wurde auch ein gut erhaltener Stichel gefunden.
Als weitgehend gesichert gilt, dass der Mensch die Höhle in kleinen Gruppen während der Jagd aufsuchte. Als Siedlungsstätte diente sie nie, auch dem Neandertaler nicht.
Bevor die Funde museumsgerecht verpackt und ins Weimarer Archiv gebracht werden, wird das Fundmaterial direkt an der Grabungsstelle grob gesiebt. Danach wird es in Säcken zum Sichtungsgebäude gebracht, einer ehemaligen Raniser Kinderkrippe. Dort wird das Material noch einmal nass gesiebt und nach dem Trocknen sortiert. Während große Stücke einzeln erfasst werden, werden Kleinteile unter zwei Millimeter in Plastiksäcken gesammelt. Dank modernster Vermessungstechnik kann bei jeden Fundstück der genaue Fundort bestimmt Das Raniser Grabungsteam wird von ausländischen Studenten unterstützt, etwa von Gracie Sharp (links) aus Großbritannien und Magdalena Cimbor aus Polen. Ryan Smith-Cooper aus New Jersey und Petr Kotrelev aus Moskau waschen das Fundmaterial. werden. Die größeren Einzelstücke werden zudem feinsäuberlich mit der Feder beschriftet.
Dass die Grabungsstelle so viele Felsbrocken aufweist, liegt am Höhlendach, das vor 20 000 Jahren größtenteils einstürzte und die Neandertaler-Schicht unter sich begrub.