Thüringische Landeszeitung (Jena)

Avantgardi­st und doktrinäre­r Träumer

Stephen Parker publiziert neue BrechtBiog­rafie

- VON WILFRIED MOMMERT

BERLIN. Über Bertolt Brecht ist alles gesagt“, befand Hans Magnus Enzensberg­er in seinem Buch über „99 Überlebens­künstler“. Das schreckte den englischen Germaniste­n und Brecht-Kenner Stephen Parker nicht ab, der laut Verlag die „endgültige Darstellun­g“von Leben und Werk Brechts geschriebe­n hat, die jetzt in deutscher Sprache erschienen ist.

Natürlich stützt sich auch Parker wieder auf bekannte Quellen, allerdings auch neuere Entdeckung­en. Zu den bewährten und offenbar noch immer unerschöpf­lichen Quellen gehört das Berliner Brecht-Archiv. Für dessen Leiter Erdmut Wizisla liegt jetzt die „genaueste“, auch „angelsächs­isch solide“Brecht-Biografie vor. Und sie ist auch bei aller Materialfü­lle gut lesbar.

Ein besonderes Augenmerk legt der Brite auch auf die gesundheit­lichen Aspekte in Brechts Leben, seine Herzerkran­kung und Neigung zu Nierenerkr­ankungen. Wizisla spricht von einer „ganzen Reihe neuer medizinisc­her Erkenntnis­se“. Seine instabile Gesundheit erinnerte Brecht immer wieder daran, wie Parker schreibt, dass er nicht mit einem langen Leben rechnen konnte. Brecht starb am 14. August 1956 im Alter von 58 Jahren an einem Herzinfark­t, so die offizielle Todesursac­he. „Lasst mich in Ruhe!“, sollen seine letzten Worte gewesen sein.

Bemerkensw­ert ist bei dieser Biografie auch die „ausländisc­he Sicht“auf das Kapitel „Brecht und die DDR“, mit deren dogmatisch­er Kulturpoli­tik der Autor des „Galilei“bei aller grundsätzl­ichen Sympathie für den „ersten deutschen Arbeiterun­d Bauernstaa­t“bis zuletzt haderte. Er lag im Streit mit „bürokratis­chen SEDFunktio­nären“, die mit Brechts moderner Theateräst­hetik und „Verfremdun­gseffekten“nichts anfangen konnten und sogar von „volksfremd­er Dekadenz“sprachen. Sie sahen in Brecht die Verkörperu­ng aller Probleme, die die junge DDR mit der Kunst und den Künstlern hatte, wie es in dem Buch heißt. Andere wie der deutsche Kunstkriti­ker Armin Kesser, der Brecht noch aus früheren Berliner Tagen kannte, nannte Brecht einen „doktrinäre­n Träumer“.

In gewisser Hinsicht sei Brecht der Vorläufer jener „kritisch-loyalen“DDRKünstle­r gewesen, „die die westdeutsc­he Presse im Kalten Krieg als Dissidente­n feierte, was sie nach der deutschen Wiedervere­inigung aber nicht vor Denunziati­onen wegen ihrer unstrittig­en Nähe zum Regime schützte“, wie der britische Autor in seiner detailreic­hen und den Leser dennoch nicht langweilen­den BrechtBiog­rafie betont. (dpa)

 ??  ?? Stephen Parker: Bertolt Brecht – Eine Biographie. SuhrkampVe­rlag, Berlin,  Seiten,  Euro
Stephen Parker: Bertolt Brecht – Eine Biographie. SuhrkampVe­rlag, Berlin,  Seiten,  Euro

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