Thüringische Landeszeitung (Jena)

Das liegen gelassene Portemonna­ie

Warum ein Rentner so erleichter­t ist und sich bei einem jugendlich­en Flüchtling bedanken möchte

- VON MICHAEL GROß

JENA. Glück gehabt! Bernd Stumpf kann tief durchatmen. Er hatte sein Portemonna­ie liegen lassen – mit 130 Euro, Girokarte, Visacard, Gesundheit­skarte, Führersche­in und mehreren Mitgliedsk­arten. Doch die Geschichte ging gut aus, er hat alles zurück.

Wie es dazu kam, erzählt Bernd Stumpf am Schauplatz des Geschehens, am Stand mit den Einkaufswa­gen vor dem Norma-Markt im Westvierte­l. Dorthin war er am Montagaben­d vergangene­r Woche noch einmal für einen schnellen Einkauf gefahren. Es war schon 20 Uhr, gleich schloss der Markt. Schnell hinein, an der Kasse bezahlt, wieder hinaus. Doch beim Heraushole­n der Waren aus dem Einkaufswa­gen dämmerte es ihm: Das bisschen Zeug kann doch nicht so viel gekostet haben. Und er rannte wieder hinein, um das zu korrigiere­n.

In der Eile ließ er den Geldbeutel auf einem der Wagen liegen. Das merkte er jedoch erst, als er an den Kasse tatsächlic­h bestätigt bekam, dass er 12 Euro zu viel bezahlt hatte und demzufolge Geld zurück erhielt. Er konnte das Geld nicht einstecken, weil das Portemonna­ie nicht mehr da war. Also rasch wieder hinaus, doch das Portemonna­ie war weg.

Zuhause angekommen überlegte er hin und her, sprach auch mit einem Bekannten, der einmal bei der Kriminalpo­lizei war, was alles zu regeln sei, wenn man seine Papiere und Geld verloren hat oder bestohlen wurde. Also Anzeige erstatten und eine Tippel-Tappel-Tour für das Wiederbesc­haffen der Karten beginnen. So fuhr er noch einmal hin und suchte alles ab, unter mehreren Einkaufswa­gen und daneben. Aber nichts zu entdecken. Bei all den Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, fiel ihm auch ein, dass er einen jungen Ausländer gesehen hatte, der nach 20 Uhr noch etwas einkaufen wollte, aber weil es schon fast 20.15 Uhr war, keinen Einlass mehr gefunden hatte. Doch noch mehr beschäftig­te ihn die Sorge, dass er nun am nächsten Tag eine große Lauferei wegen dieses Verlustes starten müsste.

Doch plötzlich, es muss an jenem Abend so gegen 21.45 Uhr gewesen sein, klingelte es an der Haustür. Es war Andreas Schmöller. Er stellte sich als Erzieher von der Kinder- und Jugendhilf­e der Stadt Jena vor und fragte Stumpf, ob er denn etwas vermisse. Ein Stein fiel ihm vom Herzen, als Schmöller ihm tatsächlic­h sein Portemonna­ie überreicht­e. Ein erster Blick hinein: Alles war noch vorhanden, das Geld und die Dokumente.

Er erfuhr von dem Überbringe­r, dass die Geldbörse wirklich durch den von Stumpf gesehenen jungen Ausländer gefunden worden war und der es mitgenomme­n habe in das Heim für unbegleite­te junge Flüchtling­e in der August-Bebel-Straße, wo er derzeit wohne. Dort habe er es der Heimleitun­g gegeben.

Klare Sache, dass sich der glückliche Rentner bedanken wollte. Gern hätte er dem jungen Mann einen Finderlohn gegeben, doch Schmöller verwies darauf, dass das Heim eine städtische Einrichtun­g sei und man Geld nicht annehmen dürfe.

Der junge Mann gehört zu den minderjähr­igen Flüchtling­en, die von der Jugendhilf­e der Stadt betreut werden. Da er nicht volljährig sei und auch einen Vormund habe, müsse er geschützt bleiben, hieß es. Daher kann er auch nicht in der Zeitung vorgestell­t werden.

In der Heimleitun­g zeigte man sich froh über das beherzte Verhalten des Jungen. Ebenso Andreas Amend, Integratio­nsmanager für geflüchtet­e Menschen bei der Stadt Jena. Er war ja in letzter Zeit nicht immer mit positiven Nachrichte­n im Zusammenha­ng mit jungen Flüchtling­en konfrontie­rt gewesen. Gerade die Vorfälle in der Goethe-Galerie und im Stadtzentr­um, bei denen eine Gang von jungen Straftäter­n aus dem Flüchtling­smilieu durch Diebstähle und Schlägerei­en negative Schlagzeil­en gemacht hatte, ist ihm in nicht so guter Erinnerung. Es sei erfreulich, dass es auch andere Nachrichte­n gebe.

Bernd Stumpf möchte wenigstens auf diesem Wege dem jungen Flüchtling ein herzliches Dankeschön sagen und wünscht ihm viel Glück auf seinem weiteren Weg. Wünschen, denen sich die Redaktion gern anschließt.

 ??  ?? Bernd Stumpf zeigt auf die Fläche des oberen Einkaufswa­gens. Hier hatte er an jenem Abend in aller Eile das Portemonna­ie abgelegt. Foto: Michael Groß
Bernd Stumpf zeigt auf die Fläche des oberen Einkaufswa­gens. Hier hatte er an jenem Abend in aller Eile das Portemonna­ie abgelegt. Foto: Michael Groß

Newspapers in German

Newspapers from Germany