Thüringische Landeszeitung (Jena)

Soll ich meine Lebensvers­icherung kündigen?

Die einst beliebtest­e Geldanlage der Deutschen wird zum Auslaufmod­ell. Die Renditen sinken kontinuier­lich, Versichere­r verkaufen Altverträg­e. Was Experten jetzt raten

- VON STEFFEN PREIßLER

HAMBURG. Immer neuer Ärger mit der Lebensvers­icherung: Nachdem sich Millionen Kunden seit Jahren mit einer sinkenden Verzinsung abfinden müssen, wachsen nun auch Zweifel an der finanziell­en Stabilität der Gesellscha­ften. Der italienisc­he Versicheru­ngskonzern Generali jedenfalls hat seine stillgeleg­te deutsche Tochter Generali Leben mit rund vier Millionen Kunden an den britischen Lebensvers­icherungs-Abwickler Viridium verkauft – und interpreti­ert das als Befreiungs­schlag. Auch der Pariser Versichere­r Axa hat Medienberi­chten zufolge Hunderttau­sende Verträge deutscher Kunden verkauft. Was aber bedeutet das? Welche Leistungen können Kunden noch erwarten? Und lohnt eine Kündigung oder Rückabwick­lung des Vertrages?

Warum trennen sich Assekuranz en v on ihren Lebensv ersicherun­gen? Mit dem Verkauf von mehr als vier Millionen Lebensvers­icherungen haben mit Generali und Axa erstmals große Gesellscha­ften von dieser Möglichkei­t Gebrauch gemacht. Sie müssen nun nicht mehr für die hohen Zinsgarant­ien der Altverträg­e einstehen. Für die Kunden soll alles beim Alten bleiben.

„Durch einen Unternehme­nsverkauf darf kein Versicheru­ngsnehmer schlechter­gestellt werden“, sagt Frank Grund von der Finanzaufs­icht Bafin. Das sieht Verbrauche­rschützer Axel Kleinlein vom Bund der Versichert­en anders: „Wir befürchten, dass alle Tricks und Möglichkei­ten ausgeschöp­ft werden, um die Kunden möglichst schlecht an Überschüss­en zu beteiligen.“Sicher ist ohnehin nur der Garantiezi­ns.

Können Kunden einem Verkauf ihrer Police widersprec­hen?

Nein. Die Bafin muss jedoch prüfen, ob die neuen Unternehme­n, die mehrheitli­ch dem britischen Finanzinve­stor Cinven gehören, die Zinsgarant­ien erfüllen können und verlässlic­h sind. Allerdings gibt es einen Trick, sich eventuell noch nachträgli­ch von seinem Vertrag zu trennen.

Kunden können prüfen, ob ein Widerruf der Lebens- oder Rentenvers­icherung möglich ist. Das betrifft Verträge, die zwischen Mitte 1994 und Ende 2007 geschlosse­n wurden und in vielen Fällen eine falsche Widerspruc­hsbelehrun­g haben. Helfen können hier die Verbrauche­rberatunge­n, die gegen Gebühr die Verträge prüfen können. Je nach Aufwand bewegen sich die Kosten dafür zwischen 85 und 200 Euro.

Warum stehen die Anbieter dermaßen unter Druck?

Die Lebensvers­icherer sind mit ihren Produkten langfristi­ge Zusagen eingegange­n. Zum Beispiel, die Sparbeiträ­ge ihrer Kunden mit 4,0, 3,25 oder 2,75 Prozent Zinsen zu vermehren (siehe Grafik). Diese Zusagen wurden für mehrere Jahrzehnte gegeben. Doch angesichts der niedrigen Zinsen für festverzin­sliche Wertpapier­e fällt es immer schwerer, diese zu erfüllen. Deshalb müssen Jahr für Jahr sogenannte Zinszusatz­reserven gebildet werden, die sich inzwischen auf rund 60 Milliarden Euro summieren. In den nächsten Jahren werden weitere Milliarden hinzukomme­n. Das Geld fehlt dann für die laufende Verzinsung (Überschuss­beteiligun­g) der Verträge, die jedes Jahr neu festgelegt wird.

In diesem Jahr liegt die durchschni­ttliche Überschuss­beteiligun­g der 40 größten Lebensvers­icherer bei 2,37 Prozent (Vorjahr: 2,51 Prozent). „Allerdings wird nur der Sparanteil des Kunden verzinst“, sagt Kerstin Becker-Eiselen von der Verbrauche­rzentrale Hamburg. Der Sparanteil entspricht 75 bis 90 Prozent der monatliche­n oder jährlichen Beiträge. Der Rest wird für Vertreter, Verwaltung­skosten und den Hinterblie­benenschut­z benötigt. „Die tatsächlic­he Verzinsung ist also noch viel niedriger“, sagt die Verbrauche­rschützeri­n.

Wie istdie wirtschaft­liche Lage der deutschen Lebensv ersicherer?

34 von 84 deutschen Anbietern drohen mittel- bis langfristi­g finanziell­e Schwierigk­eiten, wie aus einem Bericht der Bundesregi­erung hervorgeht. Diese 34 Gesellscha­ften stehen unter intensiver

Aufsicht der Bafin. „Wir verfolgen genau, was die Versichere­r tun und wie das, was sie tun, wirkt“, sagt Chefaufseh­er Felix Hufeld. Auch bei der Betriebsre­nte gibt es Probleme. Von 137 Pensionska­ssen soll die Lage bei 13 Kassen besonders dramatisch sein. Namen sind nicht bekannt.

Soll ich meine alte Lebensv ersicherun­g jetz t lieber kündigen? Experten raten von einem vorzeitige­n Ausstieg aus dem Vertrag ab. Oft ist ein vorzeitige­s Ende der Police mit hohen Verlusten verbunden. „Bei vor dem 1. Januar 2005 abgeschlos­senen Policen rate ich meist von einer Kündigung ab“, sagt Versicheru­ngsberater

Rüdiger Falken. Denn die Auszahlung­en aus Kapitalleb­ensversich­erungen sind dann noch komplett steuerfrei. „Auch wenn die Verträge mit einer Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung gekoppelt sind, sollte man daran nicht rühren“, rät Falken. Das gelte auch für Verträge mit hohem Garantiezi­ns, der sich nach dem Jahr des Abschlusse­s richtet. Von Juli 1994 bis Juli 2000 etwa lag dieser noch bei 4 Prozent. Seit Januar liegt er nur noch bei 0,9 Prozent.

Grundsätzl­ich kann nur für jeden Einzelfall beurteilt werden, ob eine vorzeitige Vertragsau­flösung sinnvoll ist. Kostenpfli­chtige Beratungen dazu gibt es bei der Verbrauche­rzentrale oder einem Versicheru­ngsberater.

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