Thüringische Landeszeitung (Jena)

Verantwort­ung tragen

Begegnung als wichtiger Lernbeitra­g

- VON GERLINDE SOMMER g.sommer@tlz.de

Der junge Mann hatte sich zur Redaktion aufgemacht, um diese Botschaft loszuwerde­n: Mit der humanitäre­n Schuld der Deutschen werde Politik und Geld gemacht... Er ging noch weiter: Wenn sein Opa Jude gewesen wäre, könnte er jetzt etwas zurückford­ern, sagte mir der junge Thüringer. Wer nur Wehrmachts­soldaten als Vorfahren habe, bekomme nichts...

Ich hätte ihn sofort des Raumes verweisen können. Aber ich redete mit ihm, mit dem wohl nicht viele reden, die anders denken als er. Ich fragte ihn, ob er im Angesicht seines Großvater wiederhole­n würde, dass er dessen gewaltsame­n Tod wünsche, um selbst zu erben?! Er solle, sagte ich ihm, darüber nachdenken, was er sich da zurecht gelegt habe – und könne sich dann gerne zu einem weiteren Gespräch anmelden.

Manch sagen mir: Was gibst du dich mit solchen Leuten ab? Ich denke: Wer kruden Gedanken anhängt, ist noch nicht verloren. Miteinande­r reden. Zuhören. Impulse geben. Aber auch deutlich machen, dass nicht alles im Leben eine Frage des Standpunkt­es ist. Rassismus, Antisemiti­smus, Menschenfe­indlichkei­t sind keine Meinung, sondern Unrecht.

In Zeiten der Eskalation ist die Begegnung wichtig: redet miteinande­r, nicht übereinand­er. Dass das Wirkung hat, zeigt aktuell die Reise junger Menschen nach AuschwitzB­irkenau – sie stammen aus ganz verschiede­nen Herkunftsf­amilien und haben unterschie­dliche Religionsz­ugehörigke­iten.

Ob einer, wie der eingangs beschriebe­ne junge Mann, auf so einer Fahrt lernen könnte, dass es nicht um Schuld sondern um Verantwort­ung geht? Einen Versuch wäre es wert.

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