Thüringische Landeszeitung (Jena)
Verantwortung tragen
Begegnung als wichtiger Lernbeitrag
Der junge Mann hatte sich zur Redaktion aufgemacht, um diese Botschaft loszuwerden: Mit der humanitären Schuld der Deutschen werde Politik und Geld gemacht... Er ging noch weiter: Wenn sein Opa Jude gewesen wäre, könnte er jetzt etwas zurückfordern, sagte mir der junge Thüringer. Wer nur Wehrmachtssoldaten als Vorfahren habe, bekomme nichts...
Ich hätte ihn sofort des Raumes verweisen können. Aber ich redete mit ihm, mit dem wohl nicht viele reden, die anders denken als er. Ich fragte ihn, ob er im Angesicht seines Großvater wiederholen würde, dass er dessen gewaltsamen Tod wünsche, um selbst zu erben?! Er solle, sagte ich ihm, darüber nachdenken, was er sich da zurecht gelegt habe – und könne sich dann gerne zu einem weiteren Gespräch anmelden.
Manch sagen mir: Was gibst du dich mit solchen Leuten ab? Ich denke: Wer kruden Gedanken anhängt, ist noch nicht verloren. Miteinander reden. Zuhören. Impulse geben. Aber auch deutlich machen, dass nicht alles im Leben eine Frage des Standpunktes ist. Rassismus, Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit sind keine Meinung, sondern Unrecht.
In Zeiten der Eskalation ist die Begegnung wichtig: redet miteinander, nicht übereinander. Dass das Wirkung hat, zeigt aktuell die Reise junger Menschen nach AuschwitzBirkenau – sie stammen aus ganz verschiedenen Herkunftsfamilien und haben unterschiedliche Religionszugehörigkeiten.
Ob einer, wie der eingangs beschriebene junge Mann, auf so einer Fahrt lernen könnte, dass es nicht um Schuld sondern um Verantwortung geht? Einen Versuch wäre es wert.